Probleme am Horizont
Die Affinität zu einer Unabhängigkeitsbewegung bedeutet keine automatische Affinität zu allen anderen Unabhängigkeitsbewegungen. Von daher wollte ich unbedingt sicherstellen, dass meine Unterstützung für die schottische Unabhängigkeitsbewegung meine Einstellung zum katalanischen Pendant nicht beeinflusst.
Einem anderen Anliegen unabhängig von seiner Ideologie, Geschichte und Taktik zu folgen ist eine gefährliche Form des unüberlegten Nationalismus, die nicht wirklich zu der offenen, progressiven, bürgerlich orientierten Bewegung passt, zu der sich ich und andere Pro-Unabhängigkeit Schotten zählen. Es wäre nicht nur intellektuell problematisch, die katalanische Sache ohne Recherche zu unterstützen, sondern auch arrogant und respektlos gegenüber den einzigartigen Kulturen und der Geschichte beider „Möchtegernstaaten“.
Daher bin ich den Nachrichten über das unerlaubte Referendum in Katalonien mit Vorsicht und bemüht neutral begegnet. Ich habe alle Vor- und Nachteile abgewogen und war unsicher, was noch zu erwarten ist. Sollte Katalonien die Unabhängigkeit nach der Volksabstimmung erklären, so meine Gedanken, würde es sich an der Stelle eines Außenseiters im heutigen Europa befinden, ein Ausgestoßener in diesem Europa, in dem es an inspirierender oder radikaler Führung fehlt und das dem Beitritt eines neuen Staates zur Gemeinschaft daher skeptisch entgegensieht. Ich bin sicherlich nicht gegen die Gründung einer unabhängigen, proeuropäischen katalanischen Republik, aber nicht auf diese Weise.
Das waren meine Gedanken, als die Katalanen am 1. Oktober zu Wahl schritten. Ich konnte mich für keine der Seiten entscheiden und beschloss, dass dies ein Problem der Katalanen und Spanier sei. Am Horizont tauchten sowohl das Gespür für ein historisches Ereignis als auch für mögliche Probleme auf. Und dann begann die Gewalt.
Für immer verurteilt
Verzweifelt hat der spanische Staat einen entsetzlichen Vorgang gegen die demokratischen Wahlen zugelassen. Ich war sicher nicht der einzige, der die Szenen aus Barcelona mit Schrecken beobachtet hat. Ältere Damen mit fließendem Blut an ihren Wangen. Angegriffene und ausgeplünderte Wahllokale und verprügeltes Personal. Wählerinnen, die an den Haaren gepackt und schreiend die Treppe hinuntergestoßen wurden. Katalanische Feuerwehrleute, die die Wähler vor den spanischen Sicherheitskräften verteidigen wollten. Ein katalanischer Polizist, der in den Armen seines Kollegen geweint hat.
Die spanischen Behörden hätten auf das Referendum mit Anstand und Würde antworten können. Sie hätten die Abstimmung ablaufen lassen können, um später basierend auf dessen Illegalität die Verhandlungen mit der katalanischen Regierung zu beginnen. Sie hätten das Referendum auch einfach für nichtig erklären können, wissend, dass das Recht auf ihrer Seite zu stehen schien.
Stattdessen haben sie als Ausdruck der Verachtung die Sicherheitskräfte geschickt. Danach haben sie in einem Trump-ähnlichen Akt des Selbstbetrugs die Brutalität der eigenen Handlung bestritten und eine Gegenkampagne gestartet. Eine dramatische Abfolge der späteren Ereignisse hat den gleichen kindischen und provokativen Trend aufgewiesen, der die Katalanen sich nun in der unheilvollen politischen Schwebe wiederfinden lässt, während ihr Präsident (oder Ex-Präsident und Rebell laut Madrid) Carles Puigdemont in Brüssel um Sicherheit und Unterstützung bittet.
Die Vorsicht oder Neutralität, die von vielen zum Zeitpunkt des Referendums geäußert wurde, sollte dem Wut und Ärger über den spanischen Staat und Rajoys Regierung Platz weichen, die antidemokratische Gewalt ins Herz Westeuropas gebracht haben. Wir haben ein altes, stolzes Land beobachtet, das seine Fassade der Würde abwirft und sich in eine gewalttätige Macht verwandelt, um seine plötzlich mittelalterlich wirkende Form zu verteidigen. Die Glaubwürdigkeit von Spanien und ganz Europas sind zerfallen.
Die Situation in Katalonien ist ein weiteres Symptom einer von Instabilität und Verwirrung geprägten EU, das uns allen Sorgen bereiten sollte. Alex Salmond, der ehemalige schottische Ministerpräsident, beschrieb, dass die ganze EU für immer dazu verurteilt sein sollte, auf der anderen Seite der Straße gelaufen zu sein, als etwas komplett Inakzeptables in Westeuropa passiert sei. Es ist unsere Verantwortung als demokratische Europäer, die achtlose Grausamkeit der spanischen Regierung unter Mariano Rajoy zu verurteilen.
1. Am 28. November 2017 um 13:57, von Klaus Lenz Als Antwort Katalonien in den Augen eines Schotten
Mir ist es unverständlich, wieso ein schottischer Schreiber die Unabhängigkeitsbestrebungen Schottlands für legal empfindet, die von Katalonien aber nicht? Ich lebe in Spanien, bekomme etwas mehr mit über regionale Konflikte, die es auch anderswo gibt. In Valencia ist es zwar noch ruhig, unter der Oberfläche sind aber auch da Separatisten zugange.... Noch unverständlicher ist, dass der Autor etwas von nationalistischen Bestrebungen schreibt und die nur den Katalanen zuordnet. Das eigentliche Problem ist aber doch, dass sich die Regierung in Madrid als Nationalstaat versteht, welcher die Besonderheiten der Region Katalonien ignoriert. Und anderer Regionen auch. Mir stellt sich die ernsthafte Frage, ob ein solcher Nationalstaat Spanien überhaupt ansatzweise in der Lage ist, seine vermeintlichen Interessen den gemeinsamen Interessen der EU mal unterzuordnen? Rajoy macht mit keiner Silbe diesen Eindruck. Mir ist ein Europa der Regionen viel symphatischer als ein Europa der Nationalstaaten. Letzteres verhindert definitiv noch, dass irgendwas in Europa sich positiver entwickelt. Der Ansatz von Herrn Dewar orientiert sich leider an dem uralten Modell eines Europas der starken Nationalstaaten. Und genau das steht der Weiterentwicklung Europas zu einem Föderalem, Liberalem und Sozialem Europa noch im Weg.
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