Der Sturz der Götter in Weiß

, von  Jagoda Pokryszka

Der Sturz der Götter in Weiß
Seit etwas mehr als einer Woche stehen Dutzende Assistenzärzte in Warschau im Hungerstreik. Karolina Kijek Więcej tokfm.pl, zur Verfügung gestellt für treffpunkteuropa.de

Seit etwas mehr als einer Woche stehen Dutzende Assistenzärzte in Warschau im Hungerstreik. Zuletzt sind drei weitere Städte hinzugekommen: Breslau, Krakau sowie Stettin. Sie erwarten die Erhöhung der Gehälter, der Staatsaugaben für die Gesundheit und die Entbürokratisierung. Der alle medizinischen Berufe vertretende Verein hat sich dem Protest angeschlossen. Viele Patienten unterstützen die Ärzte. Wie reagiert die Regierung, die die sogenannten „Eliten“ bekämpfen möchte?

Da liegt der Hund begraben

Sie haben mehrere Arbeitsverträge, arbeiten nicht selten mehr als 50 Stunden in der Woche. Dabei müssen sie sich ständig weiterbilden. Der Alltag der Assistenzärzte – also Ärzte mit bereits absolvierten Studium, die sich gerade in der Facharztausbildung befinden – ist nicht leicht. Sie werden zwar vom Gesundheitsministerium bezahlt, der Lohn schwenkt jedoch zwischen 3170 und 3602 PLN brutto (ca. 750 - 857 €). Wegen des Personalmangels nehmen sie oft Überstunden, was sich sowohl auf die Behandlung der Patienten auswirkt sowie ein Gesundheitsrisiko für Ärzte selbst darstellt. Von wie vielen verstorbenen Ärzten, die länger als 24 Stunden am Stück gearbeitet haben, haben wir schon gehört?

Der Personalmangel spiegelt sich ebenfalls in den langen Wartezeiten wider. Man bedenke, dass sich 30 % der arbeitenden Ärzte im Pensionsalter befindet. Wenn sie bald in den Ruhestand gehen, wird sich die Situation verschlimmern. Außerdem sind zahlreiche Krankenschwestern ausgewandert. Darüber denken immer mehr Medizinabsolventen nach, weil sie um die gewünschte Facharztausbildungsstelle (zum Beispiel eine in der ganzen Woiwodschaft) gegen zahlreiche andere Kandidaten ankämpfen müssen. Derzeit fallen 2,3 Ärzte auf 1000 Einwohner in Polen. Der europäische Durchschnitt liegt bei 3,3. Während Deutschland, Schweden oder Frankreich ca. 11% ihres BIPs für das Gesundheitswesen ausgeben, sind es in Polen 6,3%. Schlechter schneiden nur Estland, Lettland und Rumänien ab.

Gegenangriff der Regierung

Gegen die verheerenden Verhältnisse hat man in Polen vielmals protestiert. Dieser Streik unterscheidet sich dennoch von den vorherigen in vielerlei Hinsicht. Erstens wurde der Hungerstreik beschlossen, was die Dramatik des Ereignisses hervorhebt. Zweitens ist man auf die außergewöhnliche Geringschätzung seitens der PiS-Regierung gestoßen. Obwohl den Assistenzärzten das Treffen mit der Ministerpräsidentin Beata Szydlo versprochen wurde, ist nur die Leiterin ihrer Kanzlei, Beata Kempa, gekommen. An einem anderen Tag wurde den Demonstrierenden gesagt, dass die Verhandlungen erst dann begännen, wenn sie den Streik beenden würden. Eine PiS- Abgeordnete Jozefa Hrynkiewicz hat während der Debatte über das dringende Thema auf die Worte der Oppositionsabgeordnete, dass junge Ärzte auswandern könnten, mit „Dann sollten sie fahren!“ geantwortet. Der PiS-Vorsitzende wiederum hat unterstellt, dass sich etwas hinter dem Streik verbergen möge.

Die abwertende Stellung der regierenden Partei überrascht angesichts der Tatsache, dass die Gesundheitsversorgung einen derartig fundamentalen Wert ausmacht, dass deren Aufrechterhaltung und die Stabilität des Gesundheitssystems überparteiliche Brücken bauen sollte. Vergessen wir aber nicht, dass sich hochrangige Politiker (und überhaupt mächtige Kapazitäten) auf die Bekanntschaften nicht selten verlassen. Sie vermeiden dadurch Wartezeiten und kennen die Probleme der Mehrheit der Gesellschaft nicht. Darüber hinaus führt PiS den ständigen Kampf gegen die Elite. Ins Visier hat man schon Richter und Juristen gefasst. Nun sind scheinbar sind Ärzte an der Reihe. Die regierende Partei bevorzugt das Bild eines polnischen Patrioten, der sich gegen äußere Welt abkapselt, in die Fesseln der Religion begibt, sich mit ein paar staatlichen Zuschüssen zufrieden gibt und die undemokratischen Tendenzen der Behörden leichtfertig hinnimmt. Der Intellektuelle hingegen, der denkt und die populistischen Reformen in Zweifel zieht, stellt eine Gefahr dar. Er muss diffamiert werden. Zu Hilfe kommen die öffentlichen Medien.

Das ist der letzte Unterschied, den ich erwähnen möchte. Noch nie hat man ein so stark ausgeprägtes Dirtycampaigning geführt. Der öffentliche Fernsehsender hat vom Staatshaushalt 800 Millionen PLN bekommen, um Propaganda im Name der Regierung zu verbreiten. Das gelingt ihm hervorragend. Neulich hat man sogar nach den Social-Media-Konten der Protestierenden gegriffen. Das Paradebeispiel: das Foto auf dem Profil von Daniel Luszczewski zeigt das deutsche Parlament. Man hat deswegen hingedeutet, dass sein Streik von dem Ausland finanziert wird. Katarzyna Pikulska, eine der Koordinatorinnen des Streiks, hat Fotos von ihren Reisen gepostet. Sie wurde kritisiert, dass sie regelmäßig exotische Orte besuche. Dass sie in Kurdistan, im Kriegsgebiet, gearbeitet hat, wurde nicht erwähnt.

Die gute Wende?

Obwohl ich keine Unterstützerin der polnischen Regierung bin, hoffe ich auf eine rationale Lösung des Streits. Die Postulate sind richtig. Ohne der Erhöhung der Ausgaben für die Gesundheit wird das System zugrunde gehen und junge Ärzte einen Job im Ausland suchen. Andererseits muss das Bewusstsein der Bevölkerung gesteigert werden, denn kein System auf der ganzen Welt ist imstande, die Behandlung der sich rasant alternden Gesellschaft zu deckeln. Die präventiven Maßnahmen bzgl. Erkrankungen des Kreislaufs und Übergewichts müssen strikter umgesetzt werden. Außerdem sollten die Beiträge in die Krankenkasse gerechter verteilt werden. Manche Berufsgruppen zahlen unproportional wenig im Verhältnis zu den anderen. Wer ein paar Arbeitsverträge hat, muss häufig den Beitrag ein paar Mal bezahlen. Manche jammern, dass Ärzte schon viel verdienen. Die Polen müssen jedoch sich von der Überzeugung lösen, dass sich ihnen alles gebührt. Ärzte bilden sich stets aus und tragen enorme Verantwortung. Werden sie jedoch schlecht bezahlt und erniedrigt, werden sie ihren Job an den Nagel hängen. Mit geringen Kosten erreicht man nichts.

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