Deutsche EU-Ratspräsidentschaft: Was im Oktober passiert ist

, von  Florian Bauer, Julia Bernard, Marie Menke, Moritz Hergl

Deutsche EU-Ratspräsidentschaft: Was im Oktober passiert ist
Der Haushalt der Europäischen Union ist ein heikeles Thema: Deshalb ist eine gute Verhandlungsführung durch die deutsche EU-Ratspräsidentschaft essenziell. Ums Geld ging es diesem Monat aber nicht nur bei den Verhandlungen umd den Mehrjährigen Finanzrahmen. Foto Unsplash / Christian Dubovan / Unsplash Lizenz

Vor vier Monaten übernahm die deutsche Bundesregierung die Präsidentschaft im Rat der EU. Die Redakteur*innen aus dem „EU-Politik“-Ressort haben gesammelt, was ihnen im Oktober besonders im Gedächtnis geblieben ist. Von internen Haushaltsverhandlungen über Agrarreformen bis hin zu “Coronahilfen” in der Außenpolitik: Diesen Monat ging es um die Fließrichtung vieler Gelder.

#1 EU-Haushalt: Die Verhandlungen gehen weiter – unter zunehmendem Zeitdruck

Marie Menke, Redakteurin mit Schwerpunkt „Europa erklären“

Der Oktober brachte die inzwischen siebte Runde der Verhandlungen um den EU-Haushalt. Im Juli hatten sich die Staats- und Regierungschef*innen auf einen Mehrjährigen Finanzrahmen für die Jahre 2021 bis 2027 in Höhe von 1074 Milliarden Euro geeinigt. Nicht eingerechnet sind dabei die Corona-bedingten Finanzhilfen in Höhe von weiteren 750 Milliarden Euro. Der Streit um den EU-Haushalt ging jedoch weiter: Das Europäische Parlament hatte eine Aufstockung des Haushalts gefordert, um insbesondere Programme wie Horizon (Forschung) und Erasmus (Austausche) zu finanzieren.

Während der deutschen Ratspräsidentschaft vertritt die Bundesrepublik die Mitgliedsstaaten in den Verhandlungen. Anfang Oktober legte daher der deutsche EU-Botschafter Michael Clauß dem Europäischen Parlament einen Vorschlag vor, dem zufolge eine Erhöhung „um eine hohe einstellige Zahl (in Milliarden Euro) für den gesamten Zeitraum des Haushalts eventuell möglich“ sei. Das Europäische Parlamente hatte zuletzt knapp 40 Milliarden Euro gefordert.

Anschließend kamen die Staats- und Regierungschef*innen – wenn auch mit einigen Corona-bedingten Ausfällen – in Brüssel zusammen. Dabei ebenso Diskussionsthema: die sogenannte Konditionalität. Der bisherige Gipfel-Beschluss enthielt eine eher vage Formulierung, der zufolge die Vergabe von EU-Geldern potenziell an bestimmte Standards, z.B. rechtsstaatliche Prinzipien, geknüpft werden könnte. Gerade weil es konkreter nicht wurde, ist es nun an der deutschen Ratspräsidentschaft, zwischen Parlament und Mitgliedstaaten zu verhandeln. Keine einfache Aufgabe: Den Vorschlag der deutschen Ratspräsidentschaft, der das Hauptaugenmerk nicht mehr auf Rechtsstaatlichkeit insgesamt, sondern nur auf die rechtmäßige Verwendung von EU-Geldern legte und zudem eine qualifizierte Mehrheit der Staaten beim Verhängen von Sanktionen forderte, bezeichnete Europaabgeordneter Rasmus Andresen (Grüne/EFA) als „so gut wie gar nicht wirksam“. Die Diskussionen gehen daher weiter - allerdings unter zunehmendem Zeitdruck: Schließlich sollen schon ab Januar 2021 die dringend gebrauchten Gelder fließen.

#2 Brexit: Ein “No Deal” möglich?

Moritz Hergl, Redakteur mit Schwerpunkt „EU-Politik“

Beim Treffen der Staats- und Regierungschef*innen war außerdem die zukünftige Beziehung der EU zu Großbritannien ein Thema. Das Land war am 1. Februar 2020 aus der EU ausgetreten und Premierminister Boris Johnson hat bereits angekündigt, nicht von einer weiteren Verlängerung der noch bis zum 1. Januar 2021 geltenden Übergangsphase Gebrauch zu machen. Falls bis zum Jahresende kein neues Abkommen ausgehandelt wird, droht deshalb der sogenannte “No-Deal”. Diesen kommunizierte Johnson im Oktober erneut als ernsthafte Option - sollte die EU ihren Ansatz in den Verhandlungen nicht grundlegend ändern.

Es geht um viel, denn das Vereinigte Königreich verlässt auch den europäischen Binnenmarkt und damit gelten für die Insel Zollfreiheit, Reise- und Niederlassungsfreiheiten und viele einheitliche EU-Standards, zum Beispiel im Bereich des Datenschutzes, nicht mehr. Das alles muss jetzt in Rekordtempo neu verhandelt werden - und dabei geht es für beide Seiten vor allem um viel Geld. Deshalb haben die Verhandlungspartner im Oktober beschlossen von nun an auch am Wochenende weiterzuverhandeln. Vonseiten der EU ist das vor allem die Taskforce für die Beziehungen zum Vereinigten Königreich, doch die deutsche Ratspräsidentschaft fällt in die heiße Phase der Verhandlungen. Geht es weiter so schleppend wie im Oktober voran, wird das auch als Versäumnis Deutschlands gesehen werden.

Die Zeit tickt: ein mögliches Abkommen müsste in den nächsten Wochen ausgehandelt werden, denn es müsste dann noch rechtzeitig sowohl vom britischen Unterhaus als auch vom EU-Parlament akzeptiert werden. „Bis spätestens 31. Oktober muss ein unterschriftsreifes Abkommen mit dem Vereinigten Königreich vorliegen”, sagte der CDU-Europaabgeordnete David McAllister Mitte Oktober, denn auf Last-Minute-Verhandlungen wolle man sich im Europäischen Parlament nicht einlassen. Diese Frist ist nun abgelaufen.

Trotzdem zeigte sich die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel im Oktober hoffnungsvoll - es bleiben schließlich noch zwei Monate.

#3 Agrarpolitik-Reform: Fehlender Veränderungswille gefährdet Green Deal

Florian Bauer, Redakteur mit Schwerpunkt „Wirtschaft“

Die Landwirtschaftsminister*innen im Rat und das Europäische Parlament haben sich am 21. und 23. Oktober jeweils auf Verhandlungspositionen zur Reform der EU-Agrarpolitik geeinigt. Dabei geht es um eine wichtige Richtungsentscheidung für die europäische Landwirtschaft und sehr viel Geld: Mehr als ein Drittel des EU-Haushalts fließt in Unterstützungszahlungen an Landwirt*innen.

Die Kernfrage ist, nach welchen Kriterien diese Gelder fließen sollen. Bisher orientieren sie sich fast ausschließlich an der bewirtschafteten Fläche, was Klima- und Umweltschützer*innen scharf kritisieren. Sie fordern stattdessen, weitergehende Ansprüche an die Subventionsempfänger*innen zu stellen und ausschließlich nachhaltige, ökologische und tierfreundliche Landwirtschaft zu fördern. Dagegen wehren sich wiederum die großen Lobbyverbände der Bäuer*innen [https://www.bauernverband.de/fileadmin/user_upload/dbv/positionen/2020/05-2020/042a_Anliegen_des_Deutschen_Bauernverbandes_zur_Agrarministerkonferenz.pdf], welche steigende Produktionskosten und eine größere Bürokratielast befürchten.

In ihrer Positionierung haben sich sowohl die europäischen Agrarminister*innen im Rat unter der Leitung von Julia Klöckner, als auch das EU-Parlament letztlich vor allem am bestehenden System orientiert und dieses mit grünen Anteilen ergänzt. So will der Rat 20 Prozent der Gelder im Rahmen sogenannter Eco-Schemes vergeben, die für umwelt- und klimafreundliche Bewirtschaftung finanzielle Anreize bieten, während das Parlament ambitioniertere 30 Prozent fordert. Beides bleibt aber sehr weit hinter der Idee eines „Systemwechsels“ zurück, die Agrarministerin Klöckner nichtsdestotrotz für sich beanspruchte [https://www.bmel.de/SharedDocs/Meldungen/DE/Presse/2020/201021-gap-einigung.html]. Für Klimaaktivist*innen wie Greta Thunberg, die vor der Parlamentsabstimmung noch emotional an die Abgeordneten appellierte, ist die Entscheidung dagegen blanker Hohn.

Sie kritisieren vor allem die fehlende Ausrichtung der Agrarpolitik am europäischen Green Deal, der eigentlich starke Klimaschutzanstrengungen in allen Wirtschaftsbereichen fordert.

Die folgenden Verhandlungen zwischen Rat, Kommission und EU-Parlament werden im mit den Beschlüssen gesteckten Rahmen erfolgen und keine ambitionierten Klimaziele verfolgen. Damit haben sich wohl die historisch engen Verbindungen der mächtigen Agrarlobbyverbände in die europäischen Entscheidungsgremien ein weiteres Mal ausgezahlt.

#4 Weiterer internationaler Gipfel fällt ins Wasser: Die Zukunft der Beziehungen zwischen der Afrikanischen und der Europäischen Union

Julia Bernard, Redakteurin mit Schwerpunkt „Europa und die Welt“

Der Coronavirus erschwert Beziehungen über weite Entfernungen deutlich - dies zeigte sich auch im Oktober. Diesen Monat ist nach der Absage des EU-China-Gipfels im September erneut ein wichtiges außenpolitisches Ereignis aufgrund der Corona-Pandemie ins Wasser gefallen: der Gipfel der Europäischen mit der Afrikanischen Union (AU).

Der deutsche Entwicklungsminister, Gerd Müller, sprach im Januar diesen Jahres von einem dringend notwendigen Pakt zwischen der EU und dem afrikanischen Kontinent: Die Beziehungen zwischen den zwei Kontinenten habe während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft höchste Priorität. Müller forderte einen “Jahrhundert-Vertrag". Deutlich nüchterner klingen die Worte der Bundeskanzlerin nach dem Europäischen Rat, am 16. Oktober 2020: Angela Merkel sprach von einer “neuen strategische Ebene”, die insbesondere “angesichts der Betroffenheit Afrikas von der Pandemie und der wirtschaftlichen Folgen” notwendig sei.

Der Gipfel hätte der Startschuss “einer umfassenden EU-Afrika-Partnerschaft markieren” sollen, den die EU seit März vorbereitet. Stattdessen unterstützt die EU den afrikanischen Kontent zwar im Namen der “Coronahilfen”, nimmt hierfür aber kein “neues Geld” in die Hand. Die angekündigte Neuausrichtung blieb bisher aus.

Trotzdem wurden wichtige Debatten angestoßen. Sowohl im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft als auch in der gesamten EU wurden in den letzten Monaten viele Themen neu ausgehandelt: Hinzu zu den “traditionellen” Themen, wie Fair Trade, Demokratieförderung und ökologischen Themen, treten Fragen der Gesundheitspolitik stärker in den Mittelpunkt. Die Bereitstellung von Impfstoffen ist ein brandaktuelles Thema. So sind jüngst sowohl die EU als auch Deutschland der Impfstoffplattform COVAX beigetreten. Das Auswärtige Amt betonte hierbei die Wichtigkeit einer “fairen Verteilung” von Impfdosen: “Es geht darum, zum Beispiel auch Pfleger und Ärztinnen in Afrika prioritär zu versorgen und nicht nur die die gesamte Bevölkerung in den Industriestaaten.” Nur eines der vielen Themen, welches bei dem noch bevorstehenden EU-AU Gipfel auf der Tagesordnung stehen wird.

Wie wichtig ein Gipfel eigentlich ist, zeigt auch: Das zwei Jahrzehnte bestehende Handlesabkommen zwischen der EU und vielen „Entwicklungsländern“, der Cotonou-Vertrag, läuft Ende 2020 aus. Auch wenn viele Punkte eines neuen Vertrages bereits stehen, bleiben viele offen. Auch hier wird die Fließrichtung vieler Gelder eine zentrale Rolle spielen.

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