Die Hoffnung stirbt mit uns. Mobilisierung gegen Grünen Kolonialismus

Europas Griff nach der Westsahara

, von  Ramona Schnall

Die Hoffnung stirbt mit uns. Mobilisierung gegen Grünen Kolonialismus
Flaggen der EU Image Source: Pixabay/ NakNakNak / Inhaltslizenz

Westsahara wird völkerrechtswidrig von Marokko besetzt. Doch nicht nur Marokko beutet seine Ressourcen aus, sondern auch europäische Konzerne. Wo liegt die Kraft, Konzerne dazu zu bewegen, Menschenrechte und internationales Recht zu achten - und eine faire Energiewende zu bewirken?

Gerichtshöfe ohne Einfluss

Westsahara, die Wüstenregion, die an Marokko grenzt, wird nicht nur von seinen marokkanischen “Kolonialherren” ausgebeutet, sondern auch von europäischen Firmen und Unternehmen. Die Möglichkeiten von Sonnen- und Windenergie sind für kapitalistische Akteur*innen so verlockend, dass sie im Namen des Klimaschutzes Ressourcenabbau, Ausbeutung, Vertreibung, Menschen- und Völkerrechtsverletzungen ohne Zögern hinnehmen. Doch wie nachhaltig ist ein Klimaschutz, der auf kolonialer und kapitalistischer Ausbeutung beruht – auf der Missachtung von Natur und Mensch?

Der Weltklimarat und der Europäische Gerichtshof (EuGH) haben diesen Widerspruch am 4. Oktober 2024 als solchen erkannt und die Ressourcenausbeutung in Westsahara für illegal erklärt.

Trotz internationaler Bemühungen, europäische Klimaziele ohne kolonialistische Ausbeutung zu realisieren, verbleiben Unternehmen in Westsahara.

Beispielsweise Macron und seine Legion französischer Unternehmen, für die die Entscheidung des EuGHs nichtig scheint. Doch wie kann es sein, dass der französische Präsident und europäische Unternehmen den EuGH und seine Gesetze so unverhohlen ignorieren, wenn wir annehmen, dass wir in einem internationalen System aus respektierten Gesetzen leben?

Bild: Pixabay

Lücken im Gesetz

Eine Antwort findet sich in der Abwesenheit von exekutiver Macht in der EU und der Nutzung von taktischen Grauzonen seitens der Unternehmen. Eine gängige Praktik ist das Erwerben von Tochtergesellschaften, wie es die europäische Firma MGH Energy mit der marokkanischen MGH Energy Maroc tat. Bei Menschenrechtsverletzungen werden nur diese Tochtergesellschaften und nicht die europäische Firma belangt. Andere Unternehmen kommen schlicht zu dem Schluss, dass Extraktivismus und Ausbeutung trotz rechtlicher Konsequenzen und Strafzahlungen weitaus profitabler sind.

Das Ende des Kolonialismus?

Natürlich stellt sich die Frage, inwieweit kapitalistische Organisationen wie die EU Kapitalismus, Kolonialismus und die daraus resultierende Zerstörung unserer Umwelt überhaupt entgegenwirken können. Prinzipiell gehen die Ansichten, wie weit die EU Klimaschutz vorantreiben kann, auseinander.

Radikale Positionen würden ganz klar für ein Nein plädieren. Die Grundlage für ihre Gründung in 1992 war die Europäischen Kohle und Stahl Gemeinschaft (ECSC), die Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EEC) und die Europäischen Atomgemeinschaft sowie der Wunsch, den Fluss von Kapital innerhalb der europäischen Grenzen zu fördern. Somit waren und sind liberaler Kapitalismus, profitable Handelsabkommen und die Idee wirtschaftsfördernd – wenn auch nur für die größeren Volkswirtschaften – zu fungieren, immer noch Kernfunktionenen der EU. Deswegen steht die Sorge im Raum, dass die kapitalistischen Strukturen der EU zu dominant sind, als dass sie eine anti-koloniale und anti-kapitalistische Politik zulassen könnten.

Reformist*innen hingegen argumentieren für eine langsame institutionelle Veränderung für mehr Schutz der Umwelt von innen heraus, an die sich der Mensch und sein Wirtschaften anpassen können. Sie würden argumentieren, um wirksam kolonialistische Geschäftspraktiken europäischer Unternehmen in anderen Ländern zu bekämpfen, brauche die Europäische Union einen effektiven exekutiven Arm. Einen, der ernsthafte finanzielle und rechtliche Sanktionen verhängen könnte, um koloniale Profitstreben weniger lukrativ zu machen. Allerdings scheint die Angst, dass Unternehmen und Kapital den europäischen Markt verlassen könnten, weil hier die Bedingungen ungemütlicher sind als anderswo, die Politik zu lähmen.

Wie Firmen an die EU gebunden sind

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Colen Hay, Professor für Politikwissenschaften an der Sciences Po, würde über diese Annahme lächeln: In der realen Welt sind Kapital und Unternehmen nicht so mobil, wie sie es erscheinen lassen. Die Kosten für den Umzug eines Unternehmens in eine andere Region sind oft höher als die Anpassung an europäisches Recht. Vor allem, wenn unsere Wohlfahrtsregime eine hoch qualifizierte, gebildete und produktive Arbeitskraft ermöglichen – und somit noch höhere Profite versprechen als billige Arbeitskräfte.

Er präsentiert ein Argument, das Forderungen nach dem Ende von Grünem Kolonialismus stützt. Ein Argument, das selbst für Institutionen, die in Kapitalismus eingebettet sind, wie die EU, nachvollziehbar sind. Fraglich ist dennoch, ob wir, wenn wir dem reformistischen Ansatz folgen, genügend Zeit haben, um langsam von innen heraus das Klima zu retten.

Vorreiter gegen Kolonialismus

Doch was bleibt, ist, dass jede Veränderung in die richtige Richtung, so auch das EuGH-Urteil und der Klimarat gegen Grünen Kolonialismus ein Schritt in die richtige Richtung sind und damit auch konkrete Auswirkungen auf das Leben von Sahraui und Westsaharas Wirtschaft haben.

Einige europäische Staaten scheinen dieses und Colin Hays Argumente für sich zu beanspruchen und danach zu agieren. Schon bereits vor dem EuGH-Urteil haben Dänemark, Schweden und Norwegen ihre Finanzierung von Projekten in der Westsahara eingestellt. 2017 folgte Deutschland und entzog Siemens die finanzielle Unterstützung für seine Westsaharaprojekte.

Die Hoffnung stirbt mit uns

Bild: Pixabay

Es gibt also Hoffnung auf eine konsequente Politik, die die Umwelt und die Menschenrechte schützt. Die juristischen Voraussetzungen sind gegeben, und sogar ein politischer Wille scheint teilweise zu existieren. Auch die Tatsache, dass du diesen Essay liest, zeigt, dass die Informationsblockade Marokkos durchbrochen werden kann. Zugang zu diesem Wissen eröffnet aber die Möglichkeit, als informierte Bürger*innen zu agieren und ernsthafte Mechanismen zur Bekämpfung von Grünem Kolonialismus zu fordern.

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Dass informierter zivilgesellschaftlicher Druck effektives Mittel sein kann, europäische Unternehmen zur Rechenschaft zu ziehen, haben schon zahlreiche Fälle in der Vergangenheit bewiesen. Einer davon war die „Clean Clothes Campaign“ (CCC). 2013 verweigerte Adidas Löhne für Kizon-Angestellte. CCC übte so viel legalen und öffentlichen Druck auf Adidas aus, dass das Unternehmen letztlich diese Löhne auszahlte. Ein anderer Fall war der Apple- und Foxconn Skandal von den “Fallenden Körpern”. Die Arbeitsbedingungen waren in der chinesischen und größten Iphone-Manufaktur so dramatisch, dass sich ihre Angestellten reihenweise von den Fabrikgebäuden in den Tod stürzten. “Public Awareness”-Kampagnen, Reportagen über inhumane Arbeitsbedingungen, mediale Aufmerksamkeit, Petitionen, Demonstrationen und NGOs wie China Labor Watch, die sich für bessere Arbeitsbedingungen eingesetzt haben, konnten so viel Druck aufbauen, dass sich Apple den Forderungen beugen musste. Heute sind die Arbeitsstunden reduziert und feste Pausen etabliert.

Obwohl Westsahara immer noch im Dunstkreis des Bewusstseins unserer Öffentlichkeit zu schweben scheint, sieht man auch immer mehr Menschen, die sich für das Land und seine Leute mobilisieren.

Gruppen wie Sandblast Arts, Western Sahara Resource Watch und Western Sahara Support Group üben politischen Druck der Form von Öffentlichkeits- und Aufklärungsarbeit aus. Auch diepolitische Partei der Polisario-Front, die vor der Waffenruhe den militarisierten Kampf für die Freiheit führte, setzt sich auf europäischen Boden politisch für ihr Land ein. Durch Lobbyarbeit, Forschung und Veröffentlichungen von Berichten versuchen sie, in der UN und EU Druck aufzubauen. Die klassischste Form von politischer Unzufriedenheit, Demonstrationen, findet man auch in europäischen Städten hin und wieder. Madrid machte 2019 Schlagzeilen mit Pro-Westsahara-Protesten, die sich über einen ganzen Monat zogen.

Es gibt also Grund für Hoffnung, dass Siemens Gamesa und MGH Energy die nächsten Unternehmen sind, die dem öffentlichen Druck nachgeben und die koloniale Ressourcenausbeutung beenden.

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