Die Lizenz zum Fischen - Ein Showdown vor Jersey

, von  Lina Abraham

Die Lizenz zum Fischen - Ein Showdown vor Jersey
Foto: Pixabay / Nel Botha / Lizenz Großbritannien nach dem Brexit - ein einsamer Trawler? (Symbolbild. )

Zwei Kriegsschiffe gegen 60 wütende Fischer*innen: Im Ärmelkanal vor der Insel Jersey kommt es zum Showdown zwischen London und Paris. Seit dem Brexit verweigert die britische Regierung den französischen Fischern den Zugang zu ihren ehemaligen Fischereigründen. Dabei fangen die französischen Fischer*innen vor den Kanalinseln teilweise bis zu 70% ihres Umsatzes. Paris ist empört und wirft der Regierung in London Vertragsbruch vor. London kontert und entsendet zwei Kriegsschiffe. Beide Seiten sehen sich im Recht, um die juristischen Bestimmungen des Brexit-Vertrags. Doch was besagt dieser wirklich? Wer besitzt ab jetzt die Lizenz zum Fischen?

Der Himmel dämmert lila blau, als Laurent Navet mit seinem kleinen, roten Kutter in See sticht. Im Licht der aufgehenden Sonne steuert der französische Fischer, der an diesem Tag von einem Filmteam der Deutschen Welle begleitet wird, die Kanalinsel Jersey an. Neben dem Fischer mit dem leuchtend blauen Overall stehen bereits zwei Plastikkörbe, in denen die ersten gefangenen Krabben im Takt der Wellen hin- und herschaukeln. Die morgendliche Szene wäre so idyllisch, wäre da nicht die Sache mit dem Brexit.

Die Rechtslage vor und nach dem Brexit

Die fischreichen Gewässer rund um die Kanalinseln gehören zum britischen Hoheitsgebiet. Mit dem Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union werden diese, mitsamt dem Königreich, juristisch zu einem „unabhängigen Küstenstaat“. Gemäß dem Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen, erstreckt sich die Souveränität Großbritanniens nun auf alle seine Territorialgewässer. Zu den souveränen Rechten, die jetzt wieder alleine in den Händen Londons liegen, gehört insbesondere die Fischerei. Innerhalb der ersten zwölf Meilen vor der Küste gelten diese Rechte absolut, danach begrenzt. Die Insel Jersey, die Fischer Navet ansteuert, liegt nur 14 Meilen vor der Küste der Normandie und im absoluten britischen Souveränitätsraum.

Mit dem Brexit sind alle bisherigen Abkommen erloschen, die den Zugang der französischen Fischer*innen zu den Kanalinseln regeln. Bis zum Austritt Großbritanniens aus der EU galt in allen britischen Territorialgewässern, in der Zone zwischen zwölf und 200 Meilen, die sogenannte „Gemeinsame Fischereipolitik“. Die Fischbestände des Königreichs wurden als gemeinsame, europäische Ressource definiert, mit gleichem Zugang für alle Mitglieder. Die EU-Staaten handelten die zulässigen Fangquoten jeweils unter sich aus. Ergänzt wurde die „Gemeinsamen Fischereipolitik“ durch das Londoner Fischereiabkommen aus dem Jahr 1964. Das Abkommen, dem sich Großbritannien schon vor seinem Eintritt in die Europäische Gemeinschaft im Jahre 1973 verpflichtet hatte, erlaubte es den französischen Kanalfischer*innen bis zu sechs Seemeilen an die Küste Großbritanniens heranfahren. Bisher hatten EU-Kutter damit ein Anrecht auf mehr als 60 Prozent des Fischs, in den britischen Gewässern. Im Ärmelkanal wurden die dafür erforderlichen Fischereilizenzen von der Normandie, der Bretagne und Jersey gemeinsam ausgegeben.

Damit ist jetzt Schluss. Im Rahmen des von der EU und Großbritannien ausgehandelten Brexit-Vertrages werden Fischereirechte jetzt nur noch von der Regierung auf Jersey allein vergeben.

Das Problem mit den Lizenzen

Fischer*innen wie Laurent Navet, die nach dem Brexit weiter in ihren üblichen Fanggründen fischen wollen, mussten bis Ende April 2021 eine neue Lizenz beantragen. Für den Zugang zu den Gewässern (in der sechs bis zwölf Meilenzone) verlangt die britische Regierung jedoch einen Nachweis, dass die fraglichen Schiffe schon zwischen 2012 und 2016 in britischen Gewässern gefischt haben. Für die Gewässer um die Inseln Guernsey und Jersey gilt abweichend eine Nachweispflicht für den Zeitraum vom 1. Februar 2017 bis zum 31. Januar 2020.

Viele der französischen Flotten im Ärmelkanal wurden jedoch erst nach 2016 zugelassen. Andere Boote verfügen nicht über die notwendige Technik und können die geforderten GPS-Details nicht liefern. Diesen Fischer*innen werden nun die Lizenzen verweigert. Doch selbst mit Nachweis scheint es im Einzelnen nicht klar zu sein, auf welcher Entscheidungsbasis die Lizenzen der britischen Regierung verteilt werden. Ohne Lizenz setzen sie die Fischer*innen dem Vorwurf der illegalen Fischerei aus. Ein Betroffener ist Fischer Laurent Navet.



Lage der Inseln und Hoheitsgebiete im Ärmelkanal Foto: Wikimedia Commons / Hogweard / Lizenz


Nach wenigen Minuten erreicht sein kleines Boot die unsichtbare Grenze. „Jetzt sind wir in den Gewässern von Jersey“, sagt er dem Filmteam der Deutschen Welle und seufzt. Er deutet auf ein paar kleine, spitze Felsen, die im morgendlichen Licht aus den Wellen ragen. „Dort findet man am meisten Lobster“, sagt er. Er schaut auf den Boden seines Bootes und schweigt für einige Momente. Seit zwanzig Jahren fischt er in den Gewässern, erzählt er anschließend. Niemals hätte er erwartet, dass eine solche Regel nach dem Brexit erlassen wird. „Wenn ich britische Gewässer nicht mehr befahren darf, verliere ich bis zu 70% meines Einkommens“, sagt er.

Die Eskalation – Kriegsschiffe vor Jersey

Fischer Navet ist mit seiner Empörung nicht alleine. Wie ihm, geht es vielen seiner Kolleg*innen. Anfang Mai 2021 kam es zum Showdown vor Jersey. Nachdem die dortige britische Regierung bis dato nur 41 der 344 beantragten Lizenzen vergeben hatte, setzten sich 60 Fischer*innen in Bewegung. Sechs Stunden lang blockierten sie den Hafeneingang von St. Helier auf der Insel Jersey. Nachdem die lokale Küstenwache vergeblich versucht hatte die Blockade zu durchbrechen, riss in London der Geduldsfaden. Kurzerhand näherten sich zwei Kriegsschiffe der Insel. Zum Selbstschutz. Der Außenminister der Insel Jersey stellte daraufhin klar, dass es „auf keinen Fall“ zum Krieg mit Frankreich kommen soll. Laut der britischen Regierung sollten die Kriegsschiffe jedoch dort bleiben „um die Situation zu überwachen, als vorsorgliche Maßnahme“.

„Ich will meine Lizenzen zurück“

Das Manöver im Ärmelkanal schlug hohe Wellen. Noch im September 2021 war der Konflikt brandaktuell. Um ihrem Ärger Luft zu machen, griff die französische Ministerin für Meerespolitik Annick Girardin auf eine rhetorische Waffe zurück, die der Regierung in London bestens bekannt sein sollte. „Ich will meine Lizenzen zurück“, sagte sie im Interview mit dem Radiosender Europe I. Eine Anspielung auf Margaret Thatchers historische Äußerung „Ich will mein Geld zurück“.

So resolut wie Margaret Thatcher ihr Geld, will Annick Girardin ihre Lizenzen zurück – und zwar alle. Neun Monate lang verhandelt sie nun schon mit Großbritannien, vergeblich. Unterstützt wird sie dabei von der europäischen Kommission. Ende September forderte eine Pressesprecherin der Kommission Großbritannien auf, die Gründe für die fehlenden Lizenzen offenzulegen.

Befeuert wird der Konflikt jedoch nicht nur von der britischen Regierung. Ministerin Girardin drohte bereits im Frühling 2021 damit, Jersey den Strom abzustellen. Denn die kleine Insel wird durch ein Unterwasserkabel aus Frankreich mit Elektrizität versorgt. Im Herbst legte der französische Regierungssprecher Gabriel Attal dann nach und drohte damit, britische Einfuhren stärker zu kontrollieren. Darüber hinaus könnte es britischen Fischer*innen verwehrt werden, ihren Fang in Frankreich an Land zu bringen und wie bisher dort zu verkaufen. Ein Schlag ins Gesicht für die Fischer*innen der Insel Jersey.

Das harte Brot der britischen Fischer

Auf der Kanalinsel selbst schüttelt Don Thompson leicht den Kopf. Der alte Mann mit dem grau melierten Bart versteht die Franzosen nicht. „Die wirklichen Schwierigkeiten haben die Fischer auf Jersey, nicht die französischen Fischer“, sagt er in die Kamera des britischen Senders Channel 4. Die Stimme des Fischers ist ruhig, aber resolut. Bei diesen Worten werden die Falten in seinem Gesicht noch ein wenig tiefer. „Seit dem ersten Januar werden unsere Fischer daran gehindert ihre Produkte in der EU abzusetzen, während die französischen Fischer einfach weiter in unseren Gewässern fischen“, sagt er. Viele seiner Kolleg*innen seien seit dem Brexit aus dem Geschäft gedrängt worden.

Nicht nur Thompson fühlt sich ungerecht behandelt. Am Morgen des 1. November folgt eine schmallippige Stellungnahme der britische Außenministerin Liz Truss. Im TV-Sender Sky News erklärt sie den Vorwurf einer Verletzung des Brexit-Vertrages seitens Großbritannien für abwegig.

Rechtliche Vorgaben des Brexit-Vertrages

Der Brexit-Vertrag wurde an Weihnachten 2020 von der Europäischen Union und Großbritannien unterzeichnet. Erst in aller letzter Sekunde, konnten sich beide Verhandlungspartner auf den 1298 Seiten langen Vertragstext einigen. Bis zuletzt blieb das Fischereirecht ein Knackpunkt. Zähneknirschend verständigte man sich in einer Nacht- und Nebelsitzung darauf, die europäischen Fangquoten in britischen Gewässern in den nächsten sechs Jahren um 25 % zu senken. Das heißt, dass die europäischen Mitglieder in den nächsten Jahren 25 % weniger Meerestiere in den britischen Gewässern fangen dürfen. Diese Fangoptionen werden zurück an Großbritannien übertragen. Das „wie viel“ ist damit grundsätzlich geklärt.

Vage bleibt die Formulierung jedoch bei der Frage „wo“ die Fischer*innen fangen dürfen. Eine schrittweise Rückübertragungen von Fangrechten könnte bedeuten, dass in der Zwölf-Meilen-Zone weniger Lizenzen ausgegeben werden. Es könnte aber auch heißen, dass die Anzahl an Fanglizenzen gleichbleibt, nur mit schrittweise weniger Fangertrag. „Im Rahmen des Brexit sind einige Fangoptionen an Großbritannien rückübertragen worden, für die küstennahen Gebiete in der Zwölf-Meilen-Zone wurde jedoch nie im Detail geklärt, wie viele Fanglizenzen dies bedeutet“, sagt Gerd Kraus, Leiter des Thünen-Instituts für Seefischerei in Bremerhaven im Deutschlandfunk. „Auch für uns Experten ist nicht eindeutig nachvollziehbar, ob dies jetzt eine Regelverletzung ist, die UK im Rahmen des Brexit begeht oder ein übliches Geplänkel, weil beide Seiten nicht wirklich zufrieden sind mit Abkommen“, erklärt er. Bis jetzt haben sich beide Seiten auf weitere Gespräche geeinigt und den Fischereistreit vertagt. Eine Einigung ist jedoch nicht in Sicht. Die Zwölf-Meilen-Zone rund um Jersey bleibt ein juristisches Pulverfass.

Fischer Navet zuckt mit den Achseln. Etwas dagegen gegen tun kann er vorerst nicht. Dann gibt der Fischer Gas. Der Motor des kleinen roten Bootes heult auf und der Kutter schlängelt sich mitsamt dem Fischer, im Sonnenlicht durch die Wellen zurück. Zurück in Richtung französischen Festlandes.

Dieser Artikel ist der erste in einer zweiteiligen Serie über den Fischereikonflikt im Ärmelkanal. Im zweiten Teil wird das politische Ausmaß der Auseinandersetzung im Fokus stehen.

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