Europäische Bildung im Vergleich

Digitale Bildung: Diffuser Zukunftstraum oder Rettung aus der Corona-Krise?

, von  Julia Fischer

Digitale Bildung: Diffuser Zukunftstraum oder Rettung aus der Corona-Krise?
Die International Computer and Information Literacy Study misst, ob Schüler*innen für digitales Lernen und Arbeiten vorbereitet sind. Foto: Unsplash / Annie Spratt / Unsplash License

Digitale Bildung ist derzeit in aller Munde: Homeschooling, E-Learning oder digitale Klassenzimmer sind nur einige der Optionen, die diskutiert werden. In der Corona-Krise wird deutlich, dass digitale Medien im Zeitalter der Digitalisierung unumgänglich und oftmals sehr nützlich sein können - wenn sie richtig eingesetzt und erklärt werden. Zu digitaler Bildung gehört schließlich auch, Kindern und Jugendlichen beizubringen, wie ein verantwortungsvoller Umgang mit dem Internet aussehen kann und welche Inhalte als Recherchegrundlage genutzt werden können. Wie setzen die unterschiedlichen europäischen Länder aber digitale Bildung in der Praxis um? Ein Blick in die Daten der International Computer and Information Literacy Study.

Durchgeführt wurde die Studie von der International Association for the Evaluation of Educational Achievement (IEA). Sie besteht aus einer internationalen Kooperation zwischen nationalen und staatlichen Forschungseinrichtungen, Wissenschaftler*innen und Analytiker*innen. Ziel der IEA ist, den weltweiten Bildungsstand zu erforschen, zu verstehen und zu verbessern. Für diese Studie wurden 2018 weltweite Vergleichstests in den achten Klassen der jeweiligen Schule durchgeführt. Mehr als 46.000 Schüler*innen und 26.000 Lehrer*innen haben mit dem Ziel teilgenommen, festzustellen, wie gut die Schüler*innen für das Studieren, Arbeiten und Leben in einer digitalen Welt vorbereitet werden. Doch nicht alle Länder haben zum selben Umfang an den Vergleichstests teilgenommen. Deswegen werden im Folgenden vier europäische Länder näher begutachtet, deren Ergebnisse gut miteinander vergleichbar sind: Deutschland, Dänemark, Frankreich und Portugal.

In Deutschland ist das Bildungssystem föderal organisiert: Jeder Bundesstaat hat daher legislative und administrative Kompetenzen inne, sodass die Bildungssysteme verschiedener Bundesländer sehr unterschiedlich sein können. Trotzdem wurde 2016 während der Kultusminister*innen-Konferenz eine gemeinsames, nationales Handlungskonzept unter dem Titel „Bildung in der digitalen Welt“ veröffentlicht, die 2018/2019 angelaufen ist. Hier geht es darum, den digitalen Wandel in den Lern- und Lehrprozess zu integrieren. In diesem Rahmen wurde der nationalen Digitalpakt Schule eingeführt, in dem der Bund den Schulen 5 Millionen Euro zur Verfügung stellt, um sie mit Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) auszustatten. Hier ist das Ziel ein flächendeckender Ausbau einer digitalen Bildungsinfrastruktur. Gleichzeitig verpflichten sich die Kommunen, das Lehrpersonal im Umgang mit IKT aus- und weiterzubilden und zu prüfen, ob die Schulkonzepte zur Digitalisierung ausreichend sind.

Auch wenn in Dänemark das Bildungsministerium nationale Stundenplanstandards, Klausuren und Regulierungen vorgibt, obliegt es dort den Schulen sich selbst oder alternativ den Gemeinden ihre Schulen innerhalb dieser nationalen Standards zu organisieren. Zwischen 2011 und 2017 stellte der Staat rund 1 Billionen DKK, umgerechnet US$ 152 Millionen, zur Verfügung, um digitale Bildungsmaterialen auszubauen. Mittlerweile werden Schüler*innen nicht nur als Konsumierende, sondern auch als Produzierende von sogenannten Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) gesehen. Deswegen wurde 2018 ein Experiment vom Bildungsministerium eingeführt: Von nun an können Schulen „Technologisierte Fähigkeiten“ als Schulfach oder als integrierten Teil eines Schulfaches einführen. In diesem Fach werden Kompetenzen wie das kritische Verständnis von IKT und digitales Design unterrichtet. 46 Schulen haben dieses Angebot bisher angenommen.

In Frankreich wird die Bildungspolitik zentral vom Ministerium für Bildung & Jugend organisiert. Für den Bereich der digitalen Bildung gibt es kein separates Unterrichtsfach. Stattdessen werden digitale Komponenten in alle anderen Fächer integriert. Dazu zählt zum Beispiel, dass Schüler*innen im Fach Mathe und Technologie lernen, Computercodes mithilfe von Algorithmen zu erstellen.

Das Bildungsministerium in Portugal ist für übergeordnete Ziele und Richtungen der portugiesischen Bildungspolitik verantwortlich, wozu auch die Stundenplangestaltung, Finanzierung, Ressourcenplanung & Organisation der Schulen gehört. Mit dem 2017 erschienenen Dokument „Schüler*innenprofil am Ende der verpflichtenden Schulzeit“ wurden vier Bereiche für die digitale Bildung festgelegt: die digitale Staatsbürger*innenschaft, digitale Forschung, Kommunikation und Zusammenarbeit und Kreativität und Innovationsgeist im digitalen Raum. Zwischen der fünften und neunten Klasse gibt es sogar ein Pflichtfach zu IKT. Zusätzlich unterstützt die portugiesische Regierung mehrere Schulprojekte: Eins davon ist das Nationale Netzwerk der Programmier- und Roboterklubs, von dem bisher an 269 portugiesischen Schulen Ableger gegründet wurden.

Im Vergleich: Vorbereitung des Lehrpersonals

Vergleicht man diese vier Länder, werden deutliche Unterschiede sichtbar. Wenn es zum Beispiel um die Anforderungen für das Lehrpersonal an Schulen geht, bilden weder Deutschland noch Portugal ihr Lehrpersonal im Lehramtsstudium in den Bereichen „Technische Kapazitäten, um IKT zu benutzen“ oder „Benutzung von IKT in der Pädagogik“ aus. Hier stellt sich die Frage, wie Lehrer*innen den Schüler*innen den Umgang mit IKT beibringen sollen, wenn sie selbst den richtigen Umgang mit und die Vermittlung dieser Technologien im Studium nicht gelernt haben. In Dänemark und Frankreich gehören diese beiden Punkte hingegen zum Pflichtbestandteil der Lehramtsausbildung.

Ähnlich steht es um die Durchführung von Weiterbildungsmaßnahmen für Lehrpersonal. In der Entwicklung von digitalem Unterrichten und Lernmaterialen werden Lehrer*innen am meisten vom französischen und dänischen Staat unterstützt. Dänemark finanziert Weiterbildungsprogramme, stellt technische Ressourcen, auf die das Lehrpersonal zugreifen kann, um sich weiterzubilden, sowie Vertretungspersonal zur Verfügung, damit Lehrer*innen an Fortbildungen teilnehmen können. Frankreich verzichtet auf die Finanzierung von Weiterbildungsprogrammen, bietet aber Ressourcen und Vertretungspersonal. Deutschland und Portugal stellen lediglich Ressourcen zur Verfügung.

Im Vergleich: Zugang zu digitalen Medien an Schulen

Grundlage dafür, dass Lehrpersonal und Schüler*innen digitale Median in der Schule nutzen können, ist ein Zugang zum Schul-WLAN. Hier führt eindeutig Dänemark, wo 100% der Schulen mit einem WLAN-Zugang ausgerüstet sind. Auch 85% der portugiesischen Schulen haben einen WLAN-Zugang. Anders sieht es in Frankreich mit lediglich 37% und Deutschland mit nur 26% aus. Aus der mangelnden WLAN-Ausstattung und Vorbereitung des Lehrpersonals in Deutschland ergibt sich ein äußerst negatives Bild: Im europäischen Vergleich ist es dort kaum möglich, Schüler*innen auf einen digitalen Arbeitsplatz vorzubereiten oder im Umgang mit digitalen Medien zu schulen.

Gerade zu Zeiten der Corona-Pandemie wird deutlich, welche Länder schon zuvor in digital verfügbare Lehrmaterialen investiert haben. Ihnen kommt zu Gute, dass sie nun weniger neue Vorbereitungs- und Anpassungszeit benötigen, um den Unterricht normal weiterlaufen zu lassen. Vergleicht man die vier Länder zum Beispiel darin, wie viel Prozent der Schulen ein Lernmanagementsystem eingeführt haben, so sind dies in Dänemark 84%, in Frankreich 29%, in Deutschland immerhin 49% und in Portugal 84%. Wieder sind portugiesische und dänische Schulen besser vorbereitet als französische und deutsche. Auch im Bereich „Digitale Lernspiele für Einzelpersonen“ liegen Dänemark mit 72% und Portugal mit 59% vor Frankreich mit 46% und schließlich Deutschland mit 35%.

Was dieser europäische Vergleich zeigt

Die Digitalisierung der Bildung stellt manche Länder vor eine große Herausforderung. Nicht nur zu Corona-Zeiten, auch im Alltag mangelt es in Deutschland und Frankreich an Fächerangeboten, die den richtigen Umgang mit IKT vermitteln. Weiter bereitet sowohl in Deutschland als auch in Portugal die Lehramtsausbildung nur schlecht auf die Vermittlung von IKT vor. Hinzu kommen organisatorische Punkte wie die fehlenden WLAN-Zugänge an vielen der deutschen oder französischen Schulen und der Zugang zu digitalem Lehrmaterial.

Die Corona-Krise deckt diese Missstände nun auf: Schulen sind geschlossen, Kinder zuhause und Lehrpersonal ratlos. Dänemark, aber auch Estland und Finnland, können nun auf ihrem bisherigen Ausbau von digitalem Unterricht aufbauen. Die Hoffnung bleibt, dass sich Länder wie Deutschland oder Frankreich daran ein Beispiel nehmen oder es vermehrt zu europäischen Initiativen zum Austausch von bewährten Best-Practice-Beispielen kommt, wie zum Beispiel durch den „Europäischen Rahmen für die digitale Kompetenz Lehrender“.

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