Digitalgipfel in Tallinn - welche Antworten auf die Herausforderungen?

, von  Théo Boucart, übersetzt von Lydia Haupt

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Digitalgipfel in Tallinn - welche Antworten auf die Herausforderungen?
Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und der Estnische Premierminister Jüri Ratas bei einer gemeinsamen Pressekonferenz im Juni 2017 © EU2017EE Estonian Presidency / Flickr/ Creative Commons 2.0-Lizenz

Die Rede Emmanuel Macrons an der Sorbonne war noch kaum verarbeitet, da trafen sich am 29. September die 28 Staatenlenker der EU bereits in Tallinn, der malerischen Hauptstadt Estlands, um einen gemeinsamen Fahrplan in den Bereichen digitale Wirtschaft, Transparenz und Sicherheit zu erarbeiten. Themen, die Estland zu den Prioritäten seiner Ratspräsidentschaft erklärt hat.

Das Land kann diese glaubwürdig vertreten, denn es hat seine gesamte Verwaltung und Wirtschaft einer digitalen Transformation unterzogen und im Jahr 2007 einem Cyberangriff von beispielloser Größenordnung, der wahrscheinlich vom Kreml gesteuert wurde, widerstanden.

Anfang der Woche befürchteten manche, dass das Herzensthema Estlands vom schwachen Fortschritt der Brexit-Verhandlungen sowie den Spannungen zwischen Madrid und Barcelona hinsichtlich des umstrittenen katalonischen Unabhängigkeitsreferendums überschattet würde. Außerdem wurde am Donnerstagabend ein informelles Abendessen veranstaltet, in dessen Rahmen der französische Präsident erneut seine Pläne für europäische Reformen vorstellte, ein Projekt, das von seinen Kollegen begrüßt wurde, trotz verschiedener Vorbehalte. In diesem Zusammenhang gab es die Sorge, dass das Thema Digitalisierung in die zweite Reihe verwiesen werden könnte.

Das passierte zum Glück nicht. Nach der gemeinsamen Pressekonferenz von Donald Tusk, dem estnischen Premierminister Jüri Ratas und Jean Claude Juncker präsentierte Emmanuel Macron seine Vorschläge im Bereich der Digitalisierung. Es sind ehrgeizige Pläne, die auf die wichtigsten Herausforderungen reagieren, welche durch die hektischen Entwicklungen der letzten Jahre entstanden sind. Um wirklich einen Unterschied zu machen, müssen Macrons Ideen aber vollständig umgesetzt werden. In Abstimmung mit dem estnischen Präsidenten Kersti Kaljulaid und Jüri Ratas diskutierte der französische Präsident vor allem vier Themen: den digitalen Binnenmarkt, Transparenz, den Kampf gegen die digitale Kluft und Cyber-Sicherheit.

Ein Fahrplan für die Herausforderungen der digitalen Welt

Die ökonomischen und sicherheitstechnischen Aspekte der „digitalen Baustelle Europas“ dürften unter den 28 Mitgliedern der Union die meiste Aufmerksamkeit erhalten. Innovation und digitale Wirtschaft werden seit mehr als fünfzehn Jahren diskutiert, vor allem im Bezug auf die Lissabon-Strategie von 2000 und dem Vorschlag des digitalen Binnenmarktes im Mai 2015. Dennoch liegt die Europäische Union in diesem Bereich hinter den USA zurück. Die Vollendung des Binnenmarktes, insbesondere durch die Harmonisierung der Rechtsvorschriften in diesem Bereich, kann ein Aufholen möglich machen.

In den vergangenen Jahren ist zudem Cyber-Sicherheit vermehrt zum Thema geworden, auch angesichts der Einmischung in die US-amerikanischen und französischen Wahlen. Die Sicherheit persönlicher und sensibler Daten muss unbedingt auf europäischer Ebene gewährleistet werden, um angesichts von Hackern, die oft im Dienst von Staaten wie Russland oder Nordkorea stehen, wirklich effektiv zu sein. Regelmäßig werden Lücken in digitalen Sicherheitssystemen aufgedeckt. Auch Estland bleibt davon, trotz seiner Erfolge in diesem Bereich, nicht verschont.

Ein noch größeres Problem dürfte die Intransparenz digitaler Plattformen bereiten. Der Druck großer Internet-Unternehmen wird an diesem Punkt besonders hoch sein, vor allem gegen die sogenannte „GAFA-Steuer“ (Akronym aus den Firmen-Namen Google, Amazon, Facebook und Apple), ein Projekt, das von Emmanuel Macron und Bruno Le Maire getragen wird. Der Plan ist, Umsätze in dem Land als steuerpflichtig zu erklären, in dem sie anfallen, um es den Unternehmen zu erschweren, zum Zweck der Steuervermeidung Gewinne in europäische Länder mit vorteilhaften Steuersätzen zu verschieben. In dieser Frage drohen Irland und Luxemburg jeden Vorschlag, der zu einer stärkeren Steuerharmonisierung führt, zu blockieren, trotz der Zustimmung aus 19 Ländern der Union.

Das Treffen der europäischen Telekommunikationsminister, welches im Oktober stattfindet, wird die Gelegenheit bieten, konkrete Vorschläge zu den Themen zu entwickeln, die auf diesem digitalen Gipfel diskutiert wurden, der der erste in der Geschichte und gleichzeitig Höhepunkt der estnischen Präsidentschaft war. Auf der Besteuerung von Online-Giganten wird ein besonderes Augenmerk liegen. Aufgrund der tiefgreifenden wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Implikationen muss die digitale Technologie unbedingt einen zentralen Platz im europäischen Recht finden. Für das Projekt einer „Neugründung Europas“ von Emmanuel Macron, der sich als Kämpfer für ein fortschrittliches Europa präsentiert, muss das Thema eine zentrale Rolle spielen. Er darf in seinen Bemühungen nicht nachlassen, sondern muss nun vielmehr konkrete und ambitionierte Vorschläge liefern.

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