Parlamentswahlen in Polen

„Ein moderner Wohlfahrtsstaat“ - Die Wahlversprechen der Linken

, von  Maria Popczyk, übersetzt von Thea Sumalvico

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„Ein moderner Wohlfahrtsstaat“ - Die Wahlversprechen der Linken

Vor der Parlamentswahl in Polen stellte die Kuriera Redaktion die oppositionellen Wahlkomitees [1] vor. Eines dieser Wahlkomitees war Sojusz Lewicy Demokratycznej (Bündnis der demokratischen Linken). Was bietet die Linke in ihrem Programm an? Worin unterschiedet sie sich von der Bürgerkoalition Koalicja Obywatelska Bürgerplattform, einem für die Parlamentswahl 2019 gegründeten Bündnis aus PO, der Partei Nowoczesna, den Grünen und der Bewegung für die Autonomie Schlesiens? Und warum scheint sie das stärkere anti-PiS-Bündnis zu sein?

Drei Generationen der Linken

Von der Linken hört man seit Anfang August. Da war schon klar, dass die Sojusz Lewicy Demokratycznej (SLD) der Koalicja Obywatelska (KO) nicht beitreten wird. In Polen ist es stattdessen zu einer interessanten, beispiellosen Verbindung dreier Parteien gekommen, die als mitte-links einzuordnen sind: Der SLD, der Lewica Razem (Linke Gemeinsam) und der Wiosna (Frühling) von Robert Biedroń (Anmerkung: Polnischer Politiker und Publizist, der seine eigene Partei gegründet hat). Wie diese Verbindung zustande gekommen ist? Teilweise resultiert sie aus der Unentschlossenheit der KO, die lange überlegte, auch die PSL (Polskie Stronnictwo Ludowe, Polnische Bauernpartei) einzubinden. Die Erweiterung der Koalition um eine konservative Partei wäre für die linke SLD nicht akzeptabel gewesen. Teilweise entstand sie auch aus den schwachen Ergebnissen aller drei Gruppierungen bei den EU-Parlamentswahlen.

Schließlich verständigten sich SLD, Razem und Wiosna darauf, dass es höchste Zeit sei, den Pol*innen eine Chance auf eine linke Repräsentation im Sejm (bildet neben dem Senat eine der beiden Kammern der polnischen Nationalversammlung) zu geben. Zur Wahl treten sie als Komitet Wyborczy Sojusz Lewicy Demokratycznej (Wahlkomitee des Büdnisses der demokratischen Linken) an.

„Uns verbindet die Zukunft“ – was findet sich also im Wahlprogramm der Linken?

Im Hinblick auf die zwanzigjährige Bestehen der SLD und den verhältnismäßig jungen Parteien (im Falle der Partei von Robert Biedroń sogar sehr jungen Partei) Razem und Wiosna spricht man von „drei Generationen der Linken“. Drei Parteien, drei Generationen der Linken und auch drei Kapitel im Wahlprogramm, das den Titel „Uns verbindet die Zukunft“ („Łączy nas przyszłość“) trägt. Jedes Kapitel bildet dabei einen Pfeiler der linken Koalition: Zusammenarbeit, Gemeinschaft und Freiheit. Themen wie Klima, Umwelt, Landwirtschaft, Arbeit, Gesundheit, Sozialhilfe, Rechtsstaatlichkeit, Frauenrechte, Wohnungsbau, Transport, Kultur… stehen dabei im Fokus und klingen vielversprechend. Nun zu den interessantesten Forderungen und vor allem was die Linke von der Koalicja Polska und der Koalicja Obywatelska unterscheidet.

Arbeitnehmer*innenrechte und Gesellschaftspolitik in der linken DNA

Wie es sich für ein linkes Programm gehört, finden sich unter den Forderungen Versprechen für Arbeitnehmer*innen: Eine Anhebung des monatlichen Mindestlohns auf 2700 Zloty (Anmerkung: ca. 630 €) im Jahr 2020, und auf 60% des Durchschnittsgehalts bis 2030, die Garantie eines minimalen Einkommens von 3500 Zloty im öffentlichen Sektor, die Abschaffung von Müllverträgen (so werden in Polen umgangssprachlich Verträge genannt, die Arbeits- und Steuerrecht umgehen oder/und befristet sind). Ein interessanter Vorschlag ist „ein Ende mit der Strafe für Krankheit“, also eine Anhebung des Krankengeldes auf 100% statt der derzeitigen 80%, oder manchmal sogar 70%. Es ist zu sehen, dass die Linke sich von anderen Ländern der Europäischen Union inspirieren lässt, wie beispielsweise beim Vorschlag zum Versicherungssystem für Künstler*innen. Hier fungiert Frankreich als Vorbild, wo es eine Sozialversicherung für Schriftsteller*innen, Komponist*innen und bildende Künstler*innen gibt. Die Einführung eines ähnlichen Systems in Polen würde den Status von Kulturschaffenden regulieren und ihnen eine Sozial- und Gesundheitsversicherung garantieren.

Viele soziale Forderungen erinnern an das Programm der Partei Wiosna beispielswiese die Garantie einer Mindestrente von 1600 Zloty oder die Unterstützung für Menschen mit Behinderung und ihre Helfer*innen. Wie es im Lied der Koalition heißt: „Drei Köpfe sind mehr als einer“ (polnisches Sprichwort, frei übersetzt; das Lied der Linken kann man sich hier anhören): Ein großes Plus des Programms der Koalition ist eine neue, konkrete Forderung nach billigen Wohnungen– dies solle auf staatlichem Baugrund ermöglicht werden. So ein Vorschlag kann vor allem für junge Leute interessant sein, die einen Umzug planen.

Programmpunkt: Gesundheitsinvestitionen

Wie im letzten Artikel erwähnt, gelang es der Opposition ein gemeinsames Thema einzubringen: Das Gesundheitswesen. Schließlich hat die Krise des polnischen Gesundheitssystems die öffentliche Meinung so bewegt, dass die Zeitschrift Dziennik Gazeta Prawna die Initiative ergriffen und einen „Pakt für die Gesundheit 2030“ verfasst hat. Das Dokument bestimmt die Prioritäten im Gesundheitswesen für die nächsten Jahre. Alle gesamtpolnischen Wahlkomitees haben das Dokument unterschieben außerdie Konföderation [Konfederacja Wolność i Niepodlegość, die Konföderation der Freiheit und Unabhängigkeit, ein Bündnis aus euroskeptischen, rechtsorientierten Parteien].

Die Linke hat auch eine eigene Lösung – „Medikamente für 5 Zloty“ ist das erste, was man im Wahlprogramm der Linken über Gesundheit lesen kann. Das klingt populistisch , aber im weiteren Verlauf ist zu lesen, dass es nur um Medikamente auf Rezept geht. Man findet auch die Forderung der Partei Wiosna zur Verkürzung der Wartezeit auf einen Facharzttermin, über die wir (Anmerkung: unser polnisches Schwestermagazin berichtete darüber) noch vor den Europawahlen berichtet hatten. Eine weitere sehr wichtige Frage ist die nach der stufenweisen Erhöhung der staatlichen Ausgaben für Gesundheit auf 7,2% des Bruttoinlandprodukts, also auf den Durchschnitt der Ausgaben in den Ländern der Europäischen Union.

Eine fortschrittliche Gesellschaftsvision…

Die Frage des Gesundheitsschutzes schafft in der Opposition für weitestgehenden Konsens , allerdings sticht die Linke doch durch ein sehr stimmiges, progressives Programm heraus. Weder die konservative Koalicja Polska noch die sehr breit gefächerte Koalicja Obywatelska kann sich eine offene Verteidigung von Frauenrechten, so etwa bei Entscheidungen über den eigenen Körper, ehelicher Gleichberechtigung oder einer angemessenen Gesundheits- und Sexualerziehung vorstellen . Die Trennung von Kirche und Staat ist eine weitere progressive Forderung, die nur die SLD erwähnt.

… und etwas für die Umwelt

Natürlich dürfen Forderungen für Klima und Umwelt nicht fehlen. Fridays for Future und die Appelle von Greta Thunberg sorgten dafür, dass jedes Wahlkomitee auf seine Weise für den Umweltschutz wirbt. Das Programm „Uns verbindet die Zukunft“ beginnt mit Klimapolitik: Die Begrenzung der Verbrennung fossiler Brennstoffe in der Energiewirtschaft zugunsten erneuerbarer Energien; Finanzierungshilfe für den Wechsel von Kohleöfen auf emissionsfreie Heizungsanlagen. Die Linke will garantieren, das 10% der polnischen Wäldervor menschlicher Intervention geschützt werden. Auch der Gedanke an einen Sprecher für Tierrechte, den die Partei Wiosna schon vor den Wahlen im Mai beworben hatte, taucht wieder auf

Die Linke und europäische Standards

Obwohl die Parlamentswahlen hauptsächlich Polen betreffen, beruft sich die Linke häufig auf europäische Standards. Beim Thema Gesundheit möchte sie zum Beispiel das Europäische Krebsbekämpfungsprogramm einführen. Wenn es um Bürgerrechte geht, hat das Komitee einen „Kalender zur Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit“ vorbereitet, also einen konkreten Plan von Gesetzen, die dem Verfassungsbruch ein Ende setzen und das Image von Polen in Europa verbessern sollen.

Das bessere Anti-Pis-Bündnis?

Zusammenfassend ist der Kerngedanke der Linken ein „moderner Wohlfahrtsstaat“. Viele Forderungen für Arbeitnehmer, Familien, für die Zukunft unserer Umwelt, eine Garantie der Grundfreiheiten.

Das Ausbleiben von Skandalen und innerer Streitigkeiten (und der sog. Verbindungsbonus) sorgt dafür, dass die Linke in den Umfragen viel Zustimmung erhält. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sie bei einem guten Ergebnis anderer Oppositionsparteien mit der Koalicja Obywatelska gemeinsam regieren könnte. Selbst wenn es dazu nicht kommt, hat die Linke während ihrer Kampagne viele konkrete Vorschläge gemacht – angefangen mit dem Pakt gegen Gewalt bis zur Präsentation von 37 Gesetzen für die nächsten 2 Jahre im Sejm – so ein Beitrag wird ungeachtet dem tatsächlichen Ergebnis den Abgeordneten der nächsten Wahlperiode des Sejms sehr nützlich sein.

Anmerkungen

[1In Polen gibt es für die Anmeldung der Kandidaten zuständige Wahlkomitees

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