Eine Freundin fragte mich vor ein paar Tagen, welche Parteien eigentlich genau bei den Europawahlen antreten. Als Politikstudentin fühlte ich mich in der Verantwortung und zugleich in der unangenehmen Erwartung, eine umfassende Antwort zu geben. Also versuchte ich es: Ein paar einleitende Sätze, mehr aus Verlegenheit, als aus überzeugtem Wissen, dann geriet ich ins Stocken. Ich musste zugeben, dass ich mir nicht allzu sicher war, wer denn genau und mit welchem Programm antritt. Sicher hingegen war ich mir, dass es vielen Millionen Menschen in Deutschland genauso geht. Also fragten wir Google um Rat.
Die Parteien sollten sich inhaltlich stärker profilieren
Die Suchmaschine spuckte sofort eine ungeheure Menge an Ergebnissen aus und der erste Klick führte uns auf die offizielle EU-Website zum europäischen Wahlkampf. Von da klickten wir uns weiter zum europäischen Wahl-O-Mat, der Aufzeichnung der ersten europäischen Debatte um den Posten des Kommissionspräsidenten und zu einem skurrilen dänischen Video, dass junge Menschen mit brutalen und sexistischen Darstellungen zum Wählen auffordern soll.
Einige Websites und Artikel später sind wir zwar ein wenig schlauer, doch das Europawahlfieber hat uns nicht gepackt. Irgendwie wirkt das alles noch sehr weit weg. Sicherlich, so ein europäischer Wahlkampf ist ein schwieriges Unterfangen – zu groß sind die Fraktionen, dessen Interessen es zu bündeln gilt und zu unterschiedlich sind die Lebensrealitäten, die in den 28 Mitgliedsstaaten der EU vorherrschen.
Dabei gibt es einiges, was die europäischen Parteien besser machen könnten: In erster Linie sollten sie sich klarer voneinander abgrenzen und sich mit bestimmten Themen profilieren. Nur dann kann in einem Wahlkampf ein offen ausgetragener Streit, ein echter Wettbewerb zwischen den einzelnen politischen Visionen entstehen. Leidenschaft und Wortgefechte fehlen bislang komplett in diesem europäischen Wahlkampf, der sich im Vergleich zum deutschen Wahlkampf im vergangenen Jahr, stillschweigend und im Verborgenen vollzieht.
Das hat strukturelle Gründe: Die Kandidaten unterscheiden sich inhaltlich nur in Nuancen – denn proeuropäisch sind sie alle eingestellt. Doch so schön es auch ist, dass sie alle diese Grundeinstellung eint, so lähmend ist es doch für die europäische Demokratie, wenn die Parteien öffentlich ihre Programme nicht stärker exponieren und ihre inhaltlichen Unterschiede herausstellen.
Wenig Medienpräsenz in Deutschland
Doch das liegt nicht nur an den Parteien, denn Wahlkampf wird immer öffentlich ausgetragen. Es sind auch die Medien, die die Verantwortung für diesen gefühlt nicht-existenten Wahlkampf tragen. Die deutschen Medien zeigten bisher kaum Interesse am Streit zwischen den europäischen Parteien. Während für die Bundestagswahl im vergangenen Herbst die TV-Programme mit Sondersendungen und Diskussionsrunden gespickt und die Zeitungen mit Einschätzungen und Analysen gefüllt waren, schafft es die Europawahl nicht ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit.
Das einzige, worauf sich die deutschen Medien in den vergangenen Wochen stürzten, waren das Wiedererstarken nationalistischer und rechtspopulistischer Parteien, wie beispielsweise dem französischen Front National. Diese problematische Entwicklung ist zwar wichtig, doch überschattete diese einseitige Berichterstattung die Programme der anderen europäischen Parteien.
Fazit: Eine verschenkte Chance
Zum ersten Mal in der Geschichte der Europäischen Union wird bei den diesjährigen Europawahlen der Kommissionspräsident direkt von den EU-Bürgern mitbestimmt. Das ist ein enormer Fortschritt in Richtung einer demokratisch legitimierten politischen Führung in Europa. Diese strukturelle Veränderung birgt ein großes Mobilisierungspotential – schade nur, dass es in diesem Wahlkampf nicht ausgeschöpft wurde. Die zentrale Botschaft, nämlich dass der eigene Gang zur europäischen Wahlurne wirklich etwa bewegen und einen Politikwechsel herbeiführen kann, ist nicht angekommen.
Als Resultat wird die Wahlbeteiligung in Deutschland auf ihrem niedrigen und aus demokratietheoretischer Sicht besorgniserregenden Stand bleiben. Somit wird sich auch diese Europawahl in einen paradoxen Trend einreihen: Seit seiner Gründung 1979 wurden dem Europaparlament zwar schrittweise neue Kompetenzen zugeteilt – zugleich sank europaweit die Wahlbeteiligung. So wird es auch in einer Woche sein, wenn die EU-Bürger zur Wahlurne gebeten werden: Nach neuesten Prognosen werden nur knapp die Hälfte aller Stimmberechtigten in der EU wählen gehen. Das sollte den europäischen Parteien und ihren Spitzenkandidaten einen Denkzettel verpassen – die EU kann nur dann eine lebendige Demokratie sein, wenn auch der Wahlkampf zum Europa-Parlament lebendig geführt wird.
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