Es läuft immer nach dem gleichen Prinzip ab. Ein Land verfällt in eine Krise, die EU wägt ab, greift vielleicht ein und versucht die Probleme mit eigenen Instrumenten zu lösen. Meistens sind diese wenig hilfreich, wichtig sind sie trotzdem. Die Krise wird selten gelöst. Ein gutes Beispiel hierfür ist Somalia.
Das ostafrikanische Land am Horn von Afrika gilt als failed state, ein gescheiterter Staat also. Nachdem Somalia 1960 seine Unabhängigkeit erlangte, litt das Land zunächst unter dem Diktator Mohamed SIAD Barre. Seit dem Zusammenbruch seines Regimes Anfang 1991, jagt ein Bürgerkrieg den nächsten. In das Vakuum staatlicher Ordnung stießen neben Warlords und islamistischen Fundamentalisten auch Piraten, die in den Gewässern vor der Küste Somalias operieren. Weder weist Somalia eine funktionierende Regierung vor, noch ein Rechtssystem. Zwar konnte 2012 eine Übergangsregierung mit Hilfe internationaler Organisationen, wie der UN, aufgebaut werden, aber auch diese existiert höchstens auf dem Papier. UN, USA und die EU - alle mischen mit im Land und doch scheint sich die Lage dort nicht zu verbessern. Somalia bleibt unregierbar, die Zahl der Flüchtlinge in die afrikanischen Nachbarstaaten, wie Kenia, Äthiopien oder Jemen, ist bisher auf knapp eine Million angestiegen. Aber auch im Land sind rund 1,5 Millionen Menschen auf der Flucht. Nur wenige schaffen es bis nach Europa. Gleichzeitig nutzt die somalische Terrororganisation Al-Shabaab den gescheiterten Staat als Standort, um ihre Terrormiliz weiter auszubauen.
Drei EU-Missionen
Mit einem umfassenden Ansatz (comprehensive approach) aus aktiver Diplomatie, der Unterstützung politischer Prozesse und der Sicherheit sowie Entwicklungshilfe und humanitärer Hilfe ist die EU in Somalia seit 2008 aktiv.
Im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GASP) startete die EU drei Missionen: Erstens, seit 2008, EU-geführte Seestreitkräfte (EU NAVFOR) der EU-Anti-Piraten-Mission Atalanta. Mit dieser Mission wagte die EU erstmals einen Militäreinsatz auf See. Zweitens, eine militärische Ausbildungsmission (EUTM) zur Unterstützung der somalischen Sicherheitskräfte, die seit 2010 operiert. Drittens, seit 2012, EUCAP NESTOR, eine zivil-militärische Ausbildungsmission, unter anderem um den Aufbau eines somalischen Küstenschutzes zu fördern und damit die Piraterie vor der Küste Somalias zu bekämpfen. Der Erfolg der Einsätze ist umstritten. Es kann aber insgesamt ein Rückgang der Piratenangriffe verzeichnet werden.
Gleichzeitig ist die EU Somalias größter Entwicklungspartner und mit mehr als einer Milliarde Euro der größte Geber finanzieller Hilfe. Zudem pflegt die EU eine enge Partnerschaft mit der Übergangsregierung, um deren Autorität im Land zu festigen. Die EU-Einsätze sind bisher nur wenig erfolgreich. Zudem tragen heftige Auseinandersetzungen innerhalb der Übergangsregierung dazu bei, dass Stabilität in Somalia weiterhin ein Fremdwort bleibt. Warum mischt sich die EU also weiterhin ein?
Gründe für das Engagement in Somalia
Erstens sind Terroranschläge, islamistischer Extremismus, die Gefahr von Piraterie vor der Küste Somalias und die anhaltende Instabilität eine globale Sicherheitsherausforderung. Somalia ist aufgrund seiner geographischen Lage von internationaler strategischer Bedeutung. Regionale Akteure wie die Afrikanische Union (AU) und die somalischen Nachbarstaaten (Kenia, Äthiopien, Dschibuti und Uganda), arbeiten zusammen mit internationalen Akteuren, wie UN, NATO und den USA an einer Anti-Piraten-Mission und zur Bekämpfung der lokalen Terrorgruppe Al-Shabaab. Auch die EU beteiligt sich als international verantwortlicher Akteur an diesen Aktionen.
Zweitens, führen viele der Seewege der EU-Handelsrouten am Horn von Afrika vorbei. Somalias ostafrikanische Küstenlinie ist rund 3.000 Kilometer lang und grenzt an den Golf von Aden und den Indischen Ozean an. Regelmäßig durchfahren europäische Schiffe diese Routen. Somalias geographische Lage und die politische und regionale Instabilität im Inland machen die Küste zu einem Hotspot für Piraten, die die europäische Frachtschifffahrt gefährdet. Die EU hat deshalb ein starkes Interesse daran, eine Maritime Sicherheitsstrategie zu entwickeln, um ihre Handelsrouten zu schützen.
Drittens, ist die Bekämpfung des internationalen Terrorismus seit dem 11. September 2001 nicht nur Ziel der amerikanischen Außenpolitik, sondern auch anderer westlicher bzw. (EU-)Staaten. Als Staat, der seine grundlegenden Funktionen nicht mehr erfüllen kann, bietet Somalia einen optimalen Ausgangspunkt für internationalen Terrorismus und organisiertes Verbrechen. Die somalische Terrormiliz Al-Shabaab, die nach eigenen Aussagen eng mit Al-Qaida zusammenarbeitet, hat ihre Terror-Attacken verstärkt auf die Nachbarländer verlagert, wie 2013 auf das Einkaufszentrum in Nairobi, Kenia. Es gilt diese terroristische Gefahr in internationaler Zusammenarbeit weiter einzudämmen. Die Bekämpfung von terroristischen Organisationen liegt auch im Interesse der EU, um ihre eigene Bevölkerung zu schützen.
Die anhaltende humanitäre und politische Krise in Somalia zeigt, dass trotz der internationalen Bemühungen bisher kaum Erfolge verzeichnet werden konnten. Doch wie kann die EU gescheiterten Staaten wie Somalia wirklich helfen?
Outside-In Perspektive
Der Politikwissenschaftler Stephan Keukeleire schlägt hier eine Outside-In Perspektive vor, das heißt er betont die Bedeutung umfassender Kenntnisse der Lage in den Zielländern. Anstatt die Lage im Land ausschließlich aus einer europäischen Perspektive zu betrachten, soll der Fokus ebenso auf den inneren politischen Strukturen, Geographie, Sprache, Methodik und auf einer normativen Perspektive liegen. Die EU-Politik soll aus der Sichtweise des betroffenen Drittlandes evaluiert und die daraus gewonnenen Erkenntnisse in den Einsätzen berücksichtigt werden.
Aus der Perspektive von Somalia machen die EU-Einsätze im Land nicht in allen Bereichen Sinn. Anstatt weiterhin die erfolglose Übergangsregierung zu unterstützen, muss sich die EU verstärkt auf die clanbasierte Organisation des Landes konzentrieren und versuchen diese politischen Strukturen zu fördern. Dafür ist besonders eine Zusammenarbeit mit lokalen Nichtregierungsorganisationen erforderlich, die sich gut mit dem inneren Aufbau Somalias auskennen und in die die Bevölkerung vertrauen hat. Somaliland, ein international (noch) nicht anerkannter Nachbarstaat Somalias, könnte als gutes Beispiel dafür dienen, wie regionale Strukturen gefördert, die Wirtschaft angekurbelt und erfolgreiche Wahlen durchgeführt werden können.
Keukeleire empfiehlt dem Europäischen Auswärtigen Dienst und anderen EU-Institutionen, die in der EU-Außenpolitik zum Einsatz kommen, unter anderem den Einsatz von Länderexperten und regionalen Experten. Des Weiteren schlägt er länderspezifische Ausbildungen für verantwortliche EU-Beamte und Diplomaten vor, die auch einen Sprachunterricht beinhalten. Zusammenfassend sieht er einen dringenden Verbesserungsbedarf der EU-Einsätze in Drittländern durch eine verstärkte Expertise über das Land und die Region. Eine europäische dominierte Sicht der Außenpolitik muss durch eine Outside-In Perspektive ergänzt werden, um die Rolle der EU als globaler Akteur zu stärken. Eine Kombination aus der existierenden europäischen Sicherheitsstrategie und der Outside-In Perspektive könnte die EU-Einsätze in Somalia zukünftig erfolgreicher gestalten und die Position der EU in außenpolitischen Einsätzen insgesamt stärken.
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