EU - Biodiversitätsschutz: „Die Rhetorik stimmt nicht mit der aktuellen Praxis überein.”

, von  Charlotte Felthöfer, Timon Satzky

EU - Biodiversitätsschutz: „Die Rhetorik stimmt nicht mit der aktuellen Praxis überein.”
Blühstreifen können die Biodiversität in einer Kulturlandschaft deutlich erhöhen. Foto: Pixabay / Didgeman / Lizenz

Im Mai 2020 stellte die EU-Kommission die Biodiversitätsstrategie 2030 sowie die damit verbundene „Vom Hof auf den Tisch“-Strategie für eine nachhaltige Landwirtschaft vor. Gleichzeitig stehen Agrarsubventionen im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) in der Kritik, diesen Wandel zu behindern. Wie zielführend im Sinne der biologischen Vielfalt agiert die EU wirklich? Eine Analyse.

Die Covid-19-Pandemie macht die Auswirkungen des Biodiversitätsverlusts für den Menschen deutlicher als je zuvor, denn: Je biologisch vielfältiger ein Ökosystems, desto schwieriger ist es für einen Krankheitserreger, zu dominieren und sich schnell auszubreiten.

Die UNESCO bezeichnet den Biodiversitätsschutz als „besten Impfstoff für die Zukunft.“

Um diesen Impfstoff ist es allerdings momentan nicht gut bestellt. Die Konvention über die biologische Vielfalt der Vereinten Nationen (CBD) zieht eine ernüchternde Bilanz zur weltweiten Lage der Biodiversität: Von den 20 Biodiversitätszielen, die 2010 von der Konvention beschlossen und bis 2020 erreicht werden sollen, hat die Weltgemeinschaft bislang kein einziges vollständig erreicht. Dies sei nach Angaben der Konvention vor allem auf nationale Maßnahmen der Unterzeichnerstaaten zurückzuführen: In weniger als einem Viertel der Staaten stehen diese im Einklang mit den Biodiversitätszielen.

Der zunehmende Verlust der biologischen Vielfalt hat direkte Auswirkungen auf die größten Herausforderungen unserer Zeit, die in den 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen, kurz SDGs, festgehalten wurden. So bedroht der Rückgang der Biodiversität laut Angaben des Weltbiodiversitätsrates rund 80 Prozent der SDGs, von der Armutsbekämpfung bis zum Klimaschutz. Wissenschaftler*innen appellieren an die nationalen Regierungen, dem Verlust der biologischen Vielfalt effektive Maßnahmen entgegenzusetzen. Folgt die EU dem Rat der Wissenschaftler*innen?


Kurz erklärt: BiodiversitätDie biologische Vielfalt, auch Biodiversität genannt, misst die biologische Variation innerhalb eines bestimmten geographischen Gebietes. Hierbei wird zwischen drei Teilbereichen unterschieden: der Variation an Genen innerhalb einer Art, der Anzahl an Arten sowie der Menge an Ökosystemen. Die Artenvielfalt ist somit ein Teilbereich der Biodiversität und nicht synonym.


Was hat die Landwirtschaft damit zu tun?

Im Bericht zur Lage der Natur in Europa der Europäischen Umweltagentur wird ein großer Teil des Biodiversitätsrückgangs auf die Landwirtschaft sowie auf starke urbane Planungsmaßnahmen zurückgeführt. Außerdem werden Maßnahmen zum Biodiversitätsschutz vor allem über den Europäischen Landwirtschaftsfond finanziert. Dies hat zur Folge, dass die Effektivität der Maßnahmen stark mit der Europäischen Landwirtschaft zusammenhängt und somit auch von der aktuell angestrebten Agrarreform der EU-Agrarminister*innen beeinflusst wird.

Unter klarer Bezugnahme zur Covid-19-Pandemie veröffentlichte die EU-Kommission unter Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im Frühjahr 2020 zwei miteinander verbundene Strategiepapiere: die Biodiversitätsstrategie 2030 und die „Vom Hof auf den Tisch“-Strategie, im englischen Original “Farm-to-Fork”-Strategie. Beide Strategien richten sich nach den SDGs der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung sowie dem Pariser Klimaabkommen. Die Biodiversitätsstrategie setzt sich zum Ziel, dass sich die biologische Vielfalt in Europa bis 2030 „auf dem Weg der Erholung befindet“. So sollen bis 2030 mindestens 30 Prozent der Landfläche und ein ebenso hoher Anteil an Meeresgebieten als Schutzgebiete ausgezeichnet werden, davon ein Drittel als streng geschütztes Gebiet. Auch sollen geschädigte Ökosysteme renaturiert werden, Bestäuberinsekten besonders geschützt und drei Milliarden Bäume gepflanzt werden.

Die Landwirtschaftsstrategie „Vom Hof auf den Tisch“ ist in einigen Punkten deckungsgleich mit der Biodiversitätsstrategie und soll die Transformation zu einer nachhaltigen Lebensmittelproduktion verstärken. So soll in der Landnutzung, die in besonderem Maße für den Rückgang der biologischen Vielfalt verantwortlich ist, ein um 50 Prozent verringerter Einsatz von Pestiziden erreicht und mindestens 25 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche ökologisch bewirtschaftet werden. Zehn Prozent der landwirtschaftlichen Fläche sollen gar nicht länger bewirtschaftet werden, sondern zu artenreichen Lebensräumen umgestaltet werden. Diese Ziele lässt sich die EU einiges kosten: So sollen jedes Jahr 20 Milliarden Euro aus EU-Fonds sowie nationalen und privaten Quellen in Biodiversität investiert werden.

Global Assessment Animation / GlobalGoalsUN / Vimeo.

EU-Maßnahmen - Nicht mehr als heiße Luft?

Die Strategien wurden von Zivilgesellschaft und Medien überwiegend positiv aufgenommen. Auch Umweltverbände wie der deutsche Naturschutzbund (NABU) begrüßen die Strategie und drängen nun auf eine zeitnahe Umsetzung der Maßnahmen. Lisa Tostado, Programmleiterin für internationale Klima-, Energie- und Landwirtschaftspolitik der Heinrich-Böll-Stiftung in Brüssel, kritisiert jedoch die Divergenz zwischen den Absichtserklärungen und der tatsächlichen europäischen Agrarpolitik:

„Selbst nach einem zweieinhalbjährigen Gerangel um Reformen, um nationale Strategiepläne, um eine gewisse Renationalisierung der Agrarpolitik, ist es nicht gelungen, Biodiversität deutlicher zu verankern. Trotz der vielversprechenden Kommunikationen rund um die Farm-to-Fork-Strategie und der Biodiversitätsstrategie 2030. Da stimmt einfach die Rhetorik nicht mit der aktuellen Praxis überein.“

Auch Audrey Mathieu, Referentin für EU-Klimapolitik bei Germanwatch, begrüßt den Aktionismus der EU-Kommission in der Umweltpolitik, pocht allerdings auf eine schnelle Umsetzung:

„Wir begrüßen die EU-Biodiversitätsstrategie, aber es ist wichtig zu betonen, dass die Biodiversität, so wie wir sie haben, drei Säulen des Handelns erforderlich macht: Erstmal allgemein naturverträgliche Landnutzung in der Fläche, das ist zentral und dabei spielt die Agrarwirtschaft eine wichtig Rolle. Zweitens wirksame Schutzgebiete und drittens eine Renaturierungsagenda.“

Eine rechtlich bindende Umsetzung der Strategie sei daher wünschenswert. Durch das zivilgesellschaftliche Interesse würden Mitgliedsstaaten ähnlich wie beim Pariser Klimaabkommen zumindest stärker unter dem Druck stehen, die Maßnahmen auch in der Praxis umzusetzen.



Der Landwirtschaft kommt bei dem Schutz von Biodiversität eine hohe Verantwortung zu. Foto: Unsplash / no one cares / Lizenz


Hat die EU die richtige Strategie gewählt?

Zumindest bei der Biodiversitätsstrategie 2020 lässt sich dieser Effekt allerdings kaum beobachten: Laut der Halbzeitbilanz der Biodiversitätsstrategie 2020 der EU-Kommission hat man von acht formulierten Zielen nur bei der Bekämpfung von invasiven Arten den Zeitplan eingehalten und die gewünschten Vorgaben erreicht. Bei den restlichen sieben Zielen ist eine unzureichende oder nicht signifikante Entwicklung zu beobachten. Insgesamt hat sich die Biodiversität in der EU, trotz einiger positiver Trends, sogar verschlechtert.

Norbert Lins, Vorsitzender der konservativen Europäischen Volkspartei im Ausschuss für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung des Europäischen Parlaments, sieht für das Scheitern der Biodiversitätsstrategie 2020 vor allem zwei Gründe: Zunächst dass „die Ziele der Biodiversitätsstrategie noch nicht in Rechtstexte gegossen wurden und damit nicht bindend sind“, und zweitens, dass die ambitionierten Ziele nicht die Unterstützung aller Akteure sicherstellen würden, da sie weder auf den Verbraucher*innenwillen eingehen noch marktorientiert und rentabel seien. Das sei nicht zielführend. Der CDU-Politiker sieht eine größere Erfolgschance für den effektiven Schutz von Biodiversität in der Nutzung des Vertragsnaturschutzes, der jedoch auch in der neuen Biodiversitätsstrategie 2030 keine Erwähnung findet.


Kurz erklärt: VertragsnaturschutzDer Vertragsnaturschutz beschreibt eine Strategie, nach der lokale Naturschutzbehörden zusammen mit Landwirt*innen auf freiwilliger Basis eine regional angepasste landwirtschaftliche Nutzung und konkrete Naturschutzmaßnahmen vertraglich vereinbaren, etwa durch das tierschonende Mähen von Wiesen oder die Ergänzungspflanzung von Streuobstwiesen oder Blühstreifen. Diese ergebnisorientierte Strategie könnte nicht nur zum Erhalt der Kulturlandschaft beitragen, sondern regional angepassten Biodiversitätsschutz hervorheben, was durch europaweite Strategiepläne möglicherweise nicht berücksichtigt werden könnte.


Ein Nachteil dieser Strategie ist laut Umweltschutzverbänden jedoch, dass sie auf Freiwilligkeit beruht und meist keine rechtlich gesicherte, großräumige und vernetzte Schutzfläche bieten kann, die für einen effektiven Biodiversitätsschutz nötig wäre.

Agrarreform oder -reförmchen?

In der EU-Biodiversitätsstrategie 2030 wird betont, die Kommission werde “sicherstellen, dass die GAP-Strategiepläne anhand solider Klima- und Umweltkriterien bewertet werden”. Somit wäre die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU zukünftig an bewertbare Kriterien geknüpft und mit den Zielen der Biodiversitätsstrategien verbunden. Die Vorstellung der neuen GAP wird von Umweltschützer*innen allerdings massiv für ihre wenig wirksamen Maßnahmen kritisiert.

Einer der größeren Streitpunkte der Agrarreform, die in den letzten Wochen durch die EU-Agrarminister*innen entstand, war die Kopplung der Agrarsubventionen an die Größe der landwirtschaftlichen Betriebe. Kritiker*innen zufolge würde bei dieser Regelung nicht genug darauf geachtet, was tatsächlich mit der Nutzung der Fläche passiert. Zudem sei es nicht mehr zeitgemäß, Betriebe mit Millionen zu fördern, unabhängig von ihrem Einsatz für Umwelt und Gesellschaft. Denn besonders auf großen landwirtschaftlichen Nutzflächen, auf denen einen intensive Landwirtschaft betrieben wird, lässt sich ein großer Biodiversitätsverlust feststellen.

Bernhard Krüsken, Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes, betont dagegen, dass „Umwelt- und Klimaleistungen nun einmal auf der Fläche erbracht werden“ und auch erst dann erfolgreich seien. Des Weiteren werde anders als oft behauptet „auch praktisch alle Agrarumweltzahlungen auf die Fläche bezogen“. Auf die Fläche bezogen heißt: Je größer der landwirtschaftliche Betrieb, desto mehr Geld von der EU.

Ein weiterer Streitpunkt war die Höhe der Subventionen an landwirtschaftliche Betriebe, die an sogenannte eco-schemes, also Öko-Programme, gekoppelt werden. Die EU-Agrarminister*innen einigten sich auf 20%, das EU-Parlament sprach sich für 30% aus. Während Umweltschutzorganisationen und Aktivist*innen diese Quote nicht weit genug geht und es einen medialen Protest gegen die Agrarreform unter dem Hashtag #VoteThisCAPdown gab, sehen Befürworter*innen darin „wichtige Schritte auf dem Weg in eine grünere Agrarpolitik“, so Norbert Lins der EVP.

Twitter: Die Klima- und Umweltaktivistin Greta Thunberg spricht sich öffentlich gegen die EU-Agrarreform aus.

Bernhard Krüsken des Deutschen Bauernverbandes verweist in diesem Zusammenhang zusätzlich auf die wachsenden Herausforderungen für landwirtschaftliche Betriebe. Denn durch die eco-schemes würden sich „die Einkommensprobleme der Landwirte weiter verschärfen“.

In der Tat findet man weder in der Biodiversitätsstrategie 2030 noch in den Vorschlägen für die Agrarreform eine strukturelle Verbesserung der Einkommensstruktur landwirtschaftlicher Betriebe. Dennoch könnten die neuen eco-schemes die Attraktivität von Biodiversitätsschutz erhöhen. Zum einen, weil Öko-Programme zukünftig einkommenswirksam einen Beitrag zum Einkommen der Landwirt*innen leisten dürfen und nicht wie bisher nur mit einem Nachteilsausgleich entschädigt werden. Zum anderen, weil Naturschutzmaßnahmen von nun an auch sichtbar und öffentlichkeitswirksam gefördert werden, was dazu beitragen könnte, das Image landwirtschaftlicher Betriebe zu verbessern.

Strategien gut - Alles gut?

In den kommenden Wochen und Monaten werden sich die EU-Institutionen auf einen Kompromiss in der Agrarreform einigen. Denn: Noch ist das Strategiepapier nicht rechtlich bindend. Die Kommission sieht vor, in diesem Jahr einen gesetzlichen Rahmen vorzuschlagen, um die Ziele in den einzelnen Mitgliedstaaten rechtlich bindend umsetzen zu können. Ob dies gelingen wird, ist bislang jedoch unklar, da es die Zustimmung aller 27 Mitgliedstaaten der EU benötigt.

Wie zielführend die Strategien der EU zur Verbesserung der Biodiversität waren, lässt sich abschließend erst bei der nächsten Halbzeitbilanz im Jahr 2025 bewerten. Klar ist jedoch: Die EU-Kommission legt mit der Biodiversitäts- und der “Vom Hof auf den Tisch”-Strategie ambitionierte Papiere auf den Tisch, mit denen sie eine globale Vorreiterrolle im Biodiversitätsschutz übernehmen soll. Die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik lässt auf die verheißungsvollen Versprechen bislang allerdings wenig eindeutige Taten folgen. Diese werden von Naturwissenschaftler*innen und Landwirt*innen gleichermaßen kritisiert.

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