Die Staatsbürgerschaft westlicher Industrienationen hat auf viele eine Anziehungskraft. Trauriger Beleg dafür sind die vielen Geflüchteten, die es wagen in einfachsten Booten das Mittelmeer zu überqueren um Europa zu erreichen. Für die Menschen, denen es tatsächlich gelingt, ein europäisches Land zu erreichen, beginnt dann allerdings oft die nächste Odyssee – diesmal durch den Bürokratiedschungel von Ausländerbehörden und Sozialämtern. Vor allem die Gefahr der Abschiebung lässt Betroffene oft Jahre in Unsicherheit leben. So können die im Jahr 2015 nach Deutschland geflüchteten erst in diesem Jahr eine deutsche Staatsbürgerschaft beantragen. Denn neben Deutschkenntnissen, einem Nachweis über ausreichendes Einkommen und das Bestehen eines Einbürgerungstestes, müssen mindestens acht Jahre Aufenthalt in Deutschland nachgewiesen werden. Die Ampelregierung will diesen Zeitraum nun auf fünf Jahre reduzieren. Die meisten europäischen Länder haben ähnliche Einbürgerungsprozesse. Sie sollen sicherstellen, dass eine nachhaltige Verbindung zwischen dem Individuum und dem Staat besteht, dessen Staatsbürgerschaft angenommen werden soll. Einmal erlangt, öffnet die Staatsbürgerschaft den Weg in die imaginierte Gemeinschaft der Nation, die durch den Glauben an eine gemeinsame Vergangenheit, Kultur und Entscheidungsfindung zusammengehalten wird. Staatsbürgerschaft entscheidet darüber wer Teil des Demos ist und an der Demokratie teilhaben darf. Sie erschließt den Zugang zu Solidarität und Sozialleistungen sowie zu Mitbestimmung und Wahlrecht.
Staatsbürgerschaft ist käuflich – auch in der EU
Doch nicht alle Bewerber*innen müssen diese Voraussetzungen erfüllen und viele Jahre auf ihre Staatsbürgerschaft warten. Besonders Wohlhabende können sich in einigen Ländern von den umständlichen Auflagen freikaufen. Vor allem in der Karibik bieten Staaten wie Dominica oder St. Kitts und Nevis ihre Staatsbürgerschaft für etwas über 100.000 USD zum Kauf an. Auch wenn man etwas tiefer in die Tasche greifen muss: In der EU gibt es ähnliche Programme, denn Zypern und Malta gehören zu den EU-Mitgliedern, die sogenannte Citizenshyp by Investment-Programme in den späten 2000er und frühen 2010er Jahren einführten. In Malta muss man heute knapp 1,5 Mio. EUR in die Hand nehmen um innerhalb weniger Monate maltesische*r Staatsbürger*in zu werden. Sprach- oder Landeskenntnisse, nicht einmal ein vorheriger Aufenthalt im Land sind dafür notwendig. Damit einher gehen alle Vorteile einer EU-Staatsangehörigkeit. Anschließend kann man sich also auch in Frankreich, Schweden oder Deutschland niederlassen und geschäftlich betätigen.
Kriminalität und Korruption
Länder, die ihre Staatsbürgerschaft nicht zum Kauf anbieten, sind durch die Freizügigkeit innerhalb der EU trotzdem maßgeblich davon betroffen. Den Investoren*innen geht es selten darum, sich tatsächlich in Malta oder Zypern niederzulassen. Viel interessanter ist für sie der Zugang zu den ökonomisch attraktivsten EU Staaten. Auf den ersten Blick profitieren neben den Kund*innen auch die Verkaufsstaaten. Denn Zypern und Malta können so zusätzliche Investitionen in ihrem Staatsgebiet fördern. Doch auch sie zahlen einen Preis für die Einführung der Programme. Die Gesellschaft der eigenen Bevölkerung wird unweigerlich destabilisiert, denn ein finanzielles Investment allein kann kaum Grundlage für ein Zugehörigkeits- und Solidaritätsgefühl innerhalb der Gesellschaft sein. Die Programme schaffen zudem einen Nährboden für Kriminalität und Korruption. 2020 veröffentlichte Al Jazeera Berichte wonach in Zypern gegen Bestechungszahlungen hunderte Personen eingebürgert wurden, von denen bekannt war, dass sie in Verbindung mit illegalem Menschen-, Drogen-, oder Waffenhandel gebracht werden konnten. Mehr als 200 Mio. EUR an Einnahmen aus dem Programm konnten außerdem nicht auf Regierungskonten gefunden werden. In der Folge wurden auch drei Abgeordnete, unter ihnen der ehemalige Parlamentspräsident Dimitris Syllouris, wegen Korruptionsverdacht angeklagt. Auch in Malta gibt es Hinweise auf Korruption und Veruntreuung. Diesen Spuren nachzugehen erfordert allerdings großen Mut. 2017 kam die Journalistin Daphne Caruana Galizia ums Leben, als in ihrem Auto eine Bombe explodierte. Sie hatte zuvor zu Korruption hochrangiger Politiker*innen in Malta recherchiert, auch im Zusammenhang mit Unregelmäßigkeiten beim Verkauf maltesischer Staatsbürgerschaften. 2020 wurde der ehemalige Kabinettschef Schembri deswegen verhaftet. Die Programme schaffen zudem ein Zwei-Klassen-Einbürgerungs- und Migrationssystem, in dem Migrant*innen sich einerseits in Lebensgefahr begeben und Jahre in Unsicherheit leben, während Millionär*innen sich in wenigen Monaten Zugang zur Börse in Frankfurt und den Stränden der Côte d’Azur verschaffen können.
Alle schauen zu – bis jetzt!
Die Verleihung von Staatsbürgerschaft berührt den Kern staatlicher Souveränität. Länder können daher kaum am Verkauf ihrer Staatsbürgerschaft gehindert werden. Die EU hat in diesem Bereich eigentlich keine Kompetenzen. Trotzdem hat sich die EU-Kommission als scharfe Kritikerin positioniert. 2020 eröffnete sie ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Zypern und Malta mit dem Vorwurf, dem Gebot der aufrichtigen Zusammenarbeit mit anderen EU-Staaten nicht nachzukommen. Infolgedessen und der Korruptionsenthüllungen gab Zypern den Verkauf der Staatsbürgerschaft 2020 auf. Im Rahmen von Beitrittsgesprächen konnte die Kommission auch Montenegro überzeugen, den Verkauf einzustellen und Albanien daran hindern ihn einzuführen. Auf Malta, das letzte EU-Land das Staatsbürgerschaften direkt verkauft, wächst der Druck immer weiter. Im Februar 2022, kurz nach Beginn des großflächigen russischen Angriffskriegs auf die Ukraine, erklärten die G7 gemeinsam mit der EU-Kommission, „Maßnahmen zu ergreifen, um den Verkauf von Staatsbürgerschaften […] zu beschränken, mit denen wohlhabende Russen, die mit der russischen Regierung verbunden sind, Bürger unserer Länder werden und Zugang zu unseren Finanzsystemen erhalten können.“ Mit dem Krieg ist der Verkauf der EU-Staatsbürgerschaften plötzlich zu einer Angelegenheit der Sicherheitspolitik geworden und hat damit bei Entscheidungsträger*innen scheinbar an Bedeutung gewonnen. In ungewöhnlich kurzer Zeit konnte durchgesetzt werden, dass russische Staatsbürger*innen vom Verkauf maltesischer Staatsbürgerschaften ausgeschlossen werden. Damit hat Malta die größte Kundengruppe für seine Staatsbürgerschaft verloren. Die Sicherheitsbedenken haben die EU-Kommission 2022 außerdem dazu veranlasst die letzte Stufe des Vertragsverletzungsverfahren zu eröffnen und Malta vor dem Gerichtshof der Europäischen Union zu verklagen. Die Richter in Luxemburg müssen nun also entscheiden, ob der Verkauf von Staatsbürgerschaften tatsächlich gegen EU-Recht verstößt. Auch wenn Staaten wie Portugal weiterhin Aufenthaltsgenehmigungen zum Kauf anbieten ist es gut möglich, dass der Verkauf von Staatsbürgerschaft – zumindest durch EU-Mitgliedsländer – bald Vergangenheit ist.
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