Europa-Abgeordnete Cornelia Ernst: „Da lachen die Hühner“

, von  Dilnaz Alhan

Europa-Abgeordnete Cornelia Ernst: „Da lachen die Hühner“
Die Europa-Parlamentarierin Cornelia Ernst (Die Linke) mit treffpunkteuropa.de-Redakteurin Dilnaz Alhan. Foto: privat

Eine humane Asylpolitik ist das Herzensanliegen von Cornelia Ernst. Die 57-Jährige sitzt seit Mitte 2009 für Die Linke im Europäischen Parlament. Im Interview erzählt sie über die Kurdenfrage, die Lage im Nordirak und eine mögliche Lösung des Ukraine-Konflikts.

Treffpunkteuropa: Zu allererst: Herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Wiederwahl, Frau Ernst!Nun ist die Sommerpause zu Ende. Was kommt auf Sie und Europa zu?

Cornelia Ernst: Ein völlig neues Parlament. Zum einen ist unsere Linksfraktion, die GUENGL, deutlich gewachsen. Wir haben neben den bisherigen Parteien auch völlig andere Strömungen in der Fraktion, wie „Podemos“ aus Spanien, die Tierschutzparteien aus den Niederlanden und Deutschland, aber auch die italienische „Tsipras-Liste“. Wir sind im Norden und im Süden Europas deutlich verstärkt worden, eine bunte und von Bewegungen stark geprägte Fraktion, wie es sie auf der linken Seite im Europäischen Parlament noch nie gegeben hat. Zum anderen gibt es einen unübersehbaren Rechtsruck im Parlament. Die rechtskonservative ECR-Fraktion ist die drittgrößte Fraktion, in der auch die neue deutsche Tea-Party AfD verankert ist. Aber auch die faschistische EFDD ist gewachsen und es gibt bei den Fraktionslosen einen großen Anteil von Rechtsaußen, wie die Chefin von Front National Marine Le Pen. Das sind wirklich neue Herausforderungen. Wir müssen mehr als in der letzten Legislatur um vernünftige Mehrheiten für friedliche Konfliktlösungen, soziale, demokratische und umweltverträgliche Werte kämpfen.

Was sind Ihre konkreten Ziele?

Erstens will ich, dass wir ein progressives Datenschutzpaket beschließen, das alle Beteiligten dazu zwingt, personenbezogene Daten konsequent zu schützen und Grundrechte einzuhalten. Dazu muss das EU-Recht zwingend sein und gegenüber den USA geltend gemacht werden. Grundsätzlich dürfen Geheimdienste, egal welchen Staates, keinen Freibrief zum Ausspähen haben. Zweitens gilt es, Rassismus und Nationalismus auf europäischer Ebene die Stirn zu bieten. Skandalös ist die Propaganda antiziganistischer Hetze mitten in Europa. Was in Ungarn, Tschechien, Rumänien und auf dem Balkan gegenüber den Roma passiert, ist Diskriminierung pur. Auch die deutsche Politik trägt mit der sogenannten Armutseinwanderungsthese und dem Gerede vom „Missbrauch der Sozialsysteme“ kraftvoll dazu bei. Die Gesetze zu den „sicheren Herkunftsstaaten“ auf dem Balkan entbehren jeder Grundlage. Ich war in vielen Balkanländern und weiß, dass dies keine sicheren Länder für Roma sind. Drittens brauchen wir dringend einen starken Schub in Richtung erneuerbare Energien und eine drastische Senkung des Kohlendioxidgehaltes in der Luft.

Wie stehen Sie zu den Waffenlieferungen an die Kurden im Irak?

Das Morden durch den IS erschüttert uns alle. Kurden gehören seit langem zu unseren Bündnispartnern. So demonstrieren in der Türkei sehr oft linke Abgeordnete gemeinsam mit den Kurden für deren Autonomie. Jährlich tragen wir eine europäische Kurdenkonferenz aus. Die PKK steht bis heute auf der Terrorliste in Deutschland, was wir kritisieren. Nun sollen Waffen in den Irak und, nach Meinung der Bundesregierung, nicht an die PKK geraten. Da lachen die Hühner! Wir als europäische Linke unterstützen seit Jahrzehnten den kurdischen Kampf um Selbstbestimmung und Anerkennung in den verschiedenen Ländern. Und wir sagen zugleich: Waffenlieferungen in den Irak ist das Letzte, was dort nötig ist. Echte humanitäre Leistungen, damit die Bevölkerung IS nicht unterstützt, sind viel wichtiger. Generell sind wir der Auffassung, dass Kurden -wie andere Menschen auch- ein Selbstbestimmungsrecht haben. Konsequente Autonomie, Beendigung des „Kulturkampfes“ gegen die Kurden und Streichung der PKK von der Terrorliste sind notwendig. Im Irak ist eine übergreifende Regierung nötig, in der Kurden, aber auch Christen und andere sich wiederfinden, eine Regierung der nationalen Einheit. Das gilt auch für Syrien. Ich hoffe, dass es dafür nicht schon zu spät ist. Aber ich will auch sagen: Wenn wir die Welt jetzt in Ethnien aufteilen, machen wir sie nicht friedlicher. Es muss möglich sein, dass in einem Land Platz für alle ist und Gleichberechtigung herrscht.

Die EU und USA reagieren mit harschen Sanktionen auf das Vorgehen Russlands in der Ukraine. Kann damit der Konflikt gelöst werden?

Jeder Konflikt ist lösbar, auch dieser, weil von Menschen gemacht. Jede andere Herangehensweise disqualifiziert die Politik. Gegenüber der Ukraine hat die EU, haben die USA alles, was man falsch machen kann, falsch gemacht. Das Assoziierungsabkommen mit der EU, welches das Land zerreißt, die Ignoranz gegenüber Russlands Sicherheitsinteressen, das Riskieren eines neuen kalten Krieges – das ist ein falscher politischer Ansatz. Natürlich glaubt auch DIE LINKE nicht, dass Putin ein frommes Lämmlein ist. Auch er verfolgt Machtinteressen, auch er pokert, siehe die Krim-Annektion, die völkerrechtswidrig ist, selbst wenn sie im Einverständnis mit der dortigen Bevölkerung geschah. Putins großer Fehler ist, Nebelschwaden über die Separatisten aufsteigen zu lassen und diese zu unterstützen. Es gibt große Unterschiede zwischen Ost und West in der Ukraine, historisch gewachsen und verfestigt. Man kann die Ukraine nicht wirklich zusammenhalten, wenn man die russische Amtssprache verbietet, wenn man Kommunisten einsperrt und deren Partei verbietet, wenn der Osten nur strategisch wichtig ist und nicht sozialökonomisch. Die Ukraine steht vor dem Zusammenbruch, aber es wird hemmungslos weitergezündelt, das tun alle Beteiligten. Die Stationierung von NATO-Truppen gegen die mit Russland geschlossenen Verträge wird als Angriff auf die russische Souveränität aufgefasst. Und Sanktionspolitik ist die dümmste Antwort. Wir schneiden uns ins eigene Fleisch. So kommen wir zu keiner Lösung. Das Gebot der Stunde heißt „Abrüsten“, militärisch und verbal. Der Konflikt in der Ostukraine muss im Sinne der Menschen gelöst und der Krieg sofort beendet werden. Weder zu einem „Neurussland“ noch zu einem Vorhof europäischer Machtinteressen darf die Ostukraine verkommen.

In den Zeitungen wird die junge Generation oft als verlorene Generation und europafern betitelt. Stimmen Sie dem zu?

Ach was, die jungen Leute sind doch nicht europafern! Täglich kommen bei uns Bewerbungen für Praktika oder Jobs an. Viele Jugendliche leben viel mehr eine offene europäische Atmosphäre als wir Älteren. Sie beherrschen Sprachen, nutzen Jobangebote in unseren Nachbarländern, sind vernetzt. Wenn europäische Politik aber in Hinterzimmern ausgetragen wird, Regierungschefs die Parlamente außen vor lassen und geheime Abkommen verhandeln, nach denen US-Firmen demokratische Standards aushebeln dürfen, dann muss sich keiner wundern, wenn dazu immer mehr Menschen NEIN sagen. Europäische Politik braucht Transparenz, Einbeziehung der Bürgerinnen und Bürger und vor allem weniger alte Männer. Das Europaparlament ist deutlich jünger geworden, unsere Fraktion besteht zur Hälfte aus Frauen. Das sind gute Zeichen.

Wo sehen Sie Europa in fünf Jahren?

Visionen entstehen nicht am Reißbrett. Indem wir hübsche Bilder malen, wird die Welt nicht besser und fünf Jahre sind nur ein winziger Abschnitt in der Geschichte. Aber fünf Jahre können auch die Welt verändern, zum Guten wie zum Schlechten. Um die miesen Nachrichten zu reduzieren, kommt es darauf an, begreifbar zu machen, dass Konflikte welcher Art auch immer, nur friedlich und respektvoll lösbar sind. Wir leben alle auf ein und demselben Kontinent, dieser einen Welt, da müsste es doch möglich sein, ein bisschen sozialer, ein bisschen gleicher und ziviler und ein bisschen umweltfreundlicher zu werden. Dafür braucht Europa die Macht der Zivilgesellschaft.

Was möchten Sie unseren jungen Lesern mit auf den Weg geben?

Es ist an der Zeit, dass Ihr die Zügel in die Hand nehmt. Wir Älteren haben einiges bewegt. Die EU, Europa und unsere weltweiten Nachbarn haben Euch verdient. Es kommt darauf an, so manches Bestehende infrage zu stellen, wenn es nach vorn gehen soll. Ihr habt alles dafür, was man braucht. Geht nicht erst durch die Mühlen der Institutionen, damit verlieren wir nur Zeit und Ihr werdet grau. Geht Euren Weg.

INTERVIEW: Dilnaz Alhan

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