Einmalig: Die Konferenz zur Zukunft Europas
Die Konferenz zur Zukunft Europas war ein gemeinsames Projekt des Europäischen Parlaments, der Europäischen Kommission sowie des Rates. Über ein Jahr hinweg waren Bürger*innen aus allen Mitgliedsstaaten dazu eingeladen, sich über die Zukunft Europas auszutauschen. Das Hauptziel war es, allen die Chance zu geben, die Europäische Union so zu gestalten, wie sie es sich wünschten. Dabei sollte jedem und jeder gleich viel Gehör geschenkt werden. Doch wie lief das genau ab?
Die Konferenz zur Zukunft Europas bestand aus vier Teilen. Der wichtigste Teil war die digitale Plattform. Hier konnten Ideen und Beiträge für Veränderungen eingereicht und diskutiert werden. Daneben wurden immer wieder Veranstaltungen zu einzelnen Themen in den Mitgliedsstaaten organisiert. Initiiert wurden diese von allen möglichen Akteur*innen: von den Verbindungsbüros der Mitgliedstaaten, NGOs, Studierenden, Schüler*innen oder ganz normalen Bürgerinnen und Bürgern. Jede Veranstaltung und deren Ergebnisse wurden in einem Veranstaltungsbericht in die digitale Plattform eingetragen. In insgesamt vier “Europäischen Bürgerforen” wurden dann die Schwerpunktthemen genauer diskutiert. Die Teilnehmenden dieser Bürgerforen waren zufällig, aber repräsentativ für alle Mitgliedstaaten ausgewählt. Die Kriterien dafür waren Geschlecht, Alter, geographische Herkunft, Bildungsniveau und sozioökonomischer Hintergrund.
Der letzte Teil war die Plenarversammlung der Konferenz. Hier kamen Mitglieder des Europäischen Parlaments, Vertreter*innen von EU-Kommission und Rat, von den Europäischen Bürgerforen, den nationalen Regierungen sowie Bürger*innen aus den Mitgliedstaaten zusammen. Darüber hinaus waren Vertreter*innen des Ausschusses der Regionen, des Wirtschafts- und Sozialausschusses, der regionalen und lokalen Behörden sowie Vertreter*innen von Sozialpartnern und der Zivilgesellschaft mit dabei. Die Plenarversammlung der Konferenz war die letzte Instanz der Konferenz zur Zukunft Europas. Hier wurden die Empfehlungen der nationalen und europäischen Bürgerforen sowie der digitalen Plattform gesammelt und diskutiert. Am Ende stand der Abschlussbericht. In diesem Bericht sind die Dokumentation der Konferenz sowie konkrete Empfehlungen mit entsprechenden Maßnahmen zu finden.
Forderungen nach mehr Beteiligung
Die Forderungen des Abschlussberichts schneiden alle Themenbereiche an: Klimawandel und Umwelt, Gesundheit, Eine stärkere Wirtschaft, soziale Gerechtigkeit und Beschäftigung, Die EU in der Welt, Werte und Rechte, Rechtsstaatlichkeit und Sicherheit, Digitaler Wandel, Demokratie in Europa, Migration, Bildung und Kultur und Jugend und Sport. Für die Umsetzung mancher Forderungen wären jedoch grundlegende Vertragsänderungen notwendig. Um diese umsetzen zu können, müssen Vertreter*innen von EU-Parlament, Rat und Kommission sowie aus nationalen Parlamenten darüber abstimmen.
“Es gibt eine Lücke zwischen dem, was die Menschen [in Europa] erwarten und was Europa in diesem Moment anbieten kann. Deswegen brauchen wir eine Konvention als nächsten Schritt. Es gibt Probleme, die einfach nicht warten können” betonte die Präsidentin des EU-Parlaments Roberta Metsola dazu bei der Abschlussveranstaltung der Konferenz zur Zukunft Europas.
I want #Europe to lead.
In areas such as defence, energy, climate change, health, economy, migration, equality & solidarity.
Following citizens' proposals for Conference on the Future of Europe, next step is a convention.#CoFoE #TheFutureIsYours #EuropeDay #EuropeDay2022 pic.twitter.com/v67RTp7OCr
— Roberta Metsola (@EP_President) May 9, 2022
Was steht im Abschlussbericht?
Klima und Umwelt
Von der EU wird eine klimaverträgliche, nachhaltige und gerechte Lebensmittelproduktion gefordert. Sie soll sich mehr für den Kampf gegen den Klimawandel einsetzen und unter anderem für die Wiederherstellung und den Schutz der biologischen Vielfalt stark machen. Darüber hinaus wird vorgeschlagen, sich auf eine Kreislaufwirtschaft zu fokussieren, um unabhängiger und resistenter gegenüber globalen Krisen zu werden. Angesichts des aktuellen Krieges in der Ukraine lag ein weiterer Schwerpunkt auf der Energieversorgungssicherheit innerhalb der EU, welche mit einer hochwertigen, modernen und grünen Infrastruktur einhergehen sollte.
Gesundheit
Auch die COVID-19 Pandemie hat ihre Spuren hinterlassen: Laut den Teilnehmenden soll es ein allgemeines “Recht auf Gesundheit” geben. Dieses soll allen Europäer*innen den Zugang zu einer bezahlbaren, präventiven oder heilenden und hochwertigen Gesundheitsversorgung ermöglichen und sicherstellen. Dazu gehört auch ein verbessertes Gesundheitssystem sowie Informationen über gesunde Ernährung und bezahlbare, gesunde Lebensmittel kaufen zu können.
Wirtschaft, Arbeit und soziale Gerechtigkeit
Der Abschlussbericht der Konferenz zur Zukunft Europas fordert auch im Bereich Wirtschaft mehr Nachhaltigkeit und einen größeren Fokus auf soziale Gerechtigkeit. Die Teilnehmenden schlagen vor, zu einem nachhaltigen und widerstandsfähigen Wachstumsmodell zu wechseln. Dabei sollen die sozialen Dimensionen nicht aus den Augen verloren werden.
Die EU-Wirtschaft konkret soll wettbewerbs- und widerstandsfähiger werden. Besonders kleine und mittlere Unternehmen sowie Neugründungen und und die Umsetzung innovativer Ideen, welche digitale sowie grüne Lösungen bieten, sollen gefördert werden. Ein weiterer Punkt sind gerechtere Arbeitsbedingungen. Besonders wichtig für vor allem junge Menschen: Unbezahlte Praktika sollen verboten werden, was zu einer höheren Chancengerechtigkeit beitragen soll.
Generell sollen soziale Ungleichheiten sowie Armut bekämpft werden. Dazu gehören auch die Herausforderungen des demographischen Wandels, welche mit Maßnahmen für alle Generationen angegangen werden sollen. Zuletzt wünschen sich die Teilnehmer*innen der Konferenz, dass große Unternehmen und Tech-Giganten für ihre Umweltverschmutzungen und Ungerechtigkeiten zur Rechenschaft gezogen werden. Sie sollen nicht weiter zu Lasten von EU-Bürger*innen sowie kleiner und mittelständiger Unternehmen arbeiten.
Die EU in der Welt
Für die Rolle der Europäischen Union in der Welt wünschen sich die Teilnehmenden laut des Abschlussberichtes eine verstärkte Betonung von ethischen und ökologischen Faktoren in Handels- und Investitionsbeziehungen. Generell soll sich die EU bei kritischer Infrastruktur autonomer positionieren. Dies soll besonders bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen, medizinischen Produkten, Energie, strategischen wirtschaftlichen Gütern sowie digitalen sowie Umwelttechnologien umgesetzt werden.
Nichtsdestotrotz soll die EU ihre Rolle als wichtiger Vermittler und starker Akteur weiterhin beibehalten. Dies soll sie durch eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, die Förderung von Dialog, Frieden und Multilateralismus erreichen. Außerdem soll die EU selbst zugänglicher werden - Vorschläge dafür sind mehr Transparenz, bessere Information und Aufklärung und Bürgerbeteiligungen.
Werte, Rechtsstaatlichkeit und Sicherheit
Alle Mitgliedstaaten sollen sich weiterhin um die Aufrechterhaltung ihrer Rechtsstaatlichkeit bemühen. Darüber hinaus sind Digitalisierung sowie Medien und deren Chancen und Bedrohungen von großer Bedeutung. Die Teilnehmenden wünschen sich eine stärkere Bekämpfung von Desinformation und illegalen Inhalten, Cyberkriminalität und hybriden Bedrohungen durch nichtstaatliche Akteure oder autoritäre Staaten. Dazu gehört auch die Förderung von Medien und Medienkompetenz sowie die Gewährleistung von Unabhängigkeit und Pluralismus der Medien.
Allen EU-Bürgerinnen und Bürgern soll außerdem der Zugang zu Internet und digitalen Diensten garantiert werden, unabhängig von ihrem Standort. Alle sollen von der Digitalisierung profitieren können. Dazu soll jede*r die Chance erhalten, sich die dazu notwendigen Fähigkeiten anzueignen. Dafür muss jedoch die digitale Infrastruktur der EU souveräner und unabhängiger werden. Aus Sicht der Teilnehmenden sind dafür umfassende Digitalisierungsmaßnahmen notwendig. Dies soll unter Beachtung der Datensouveränität des Einzelnen sowie der Datenschutzvorschriften der DSGVO geschehen. Im Zuge dessen soll die Um- und Durchsetzung der persönlichen Kontrolle über die eigenen Daten sowie eine Einschränkung des Datenmissbrauches verbessert werden.
Europäische Demokratie
Auch für die Demokratie der EU sehen die Teilnehmenden der Konferenz zur Zukunft Europas Verbesserungsbedarf. Die wichtigste Forderung in diesem Themengebiet ist eine höhere Bürgerbeteiligung an demokratischen Entscheidungsprozessen und eine engere Verbindung zwischen Bürger*innen und gewählten Vertreter*innen. Dies soll geschehen, um die Interessen aller Mitgliedstaaten besser berücksichtigen zu können und mehr Transparenz in der Entscheidungsfindung zu garantieren. Dabei sollen besonders junge Menschen stärker in diese demokratischen Prozesse einbezogen werden, um die allgemeine europäische Identität zu stärken.
Migration
Die EU soll sich stärker für legale Migration einsetzen und gemeinsame Vorschriften für die Erstaufnahme von Geflüchteten in allen Mitgliedstaaten einheitlich anwenden. Dafür ist auch eine verbesserte Integrationspolitik in den Mitgliedstaaten von Nöten. Die Teilnehmer*innen der Konferenz zur Zukunft Europas schlagen hierfür eine Reform des europäischen Asylsystems vor und empfehlen eine Grundlage der Solidarität für eine gerechte Aufteilung der Verantwortung. Darüber hinaus soll sich die EU stärker für die Bekämpfung von irregulärer Migration einsetzen sowie den Schutz der EU-Außengrenzen unter Wahrung der Menschenrechte garantieren.
Bildung, Kultur, Jugend und Sport
Alle EU-Bürger*innen sollen den gleichen Zugang zu qualitativ hochwertiger Bildung und lebenslangem Lernen haben, unabhängig von Wohnort, Geschlecht und Herkunft. Dabei sollen sich die Bemühungen vor allem auf die Bedürfnisse junger Menschen konzentrieren, um sie mit den bestmöglichen Voraussetzungen für Studium und Arbeit und den Start in ein unabhängiges Leben auszustatten. So werden sie direkt in das demokratische Leben und die Entscheidungsprozesse einbezogen. Ein weiterer wichtiger Punkt ist das Schaffen einer europäischen Identität. Dabei soll Sport eine entscheidende Rolle zukommen. Während für die demokratischen Werte der EU eingestanden sowie eine gesunde Lebensweise unterstützt wird, soll gleichzeitig die Vielfalt des europäischen Erbes gelebt werden.
Wie geht es nun weiter?
Die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, wies während der Abschlussveranstaltung darauf hin, dass viele Forderungen mit den aktuellen EU-Verträgen vereinbar sind. Sie versprach, dass die EU-Kommission spätestens im September zur “Lage der Europäischen Union” erste Vorschläge präsentieren wird. Sie betonte, dass die Forderungen erneut unterstrichen, wie wichtig es sei, diese direkt anzugreifen und umzusetzen.
Ob es die Konferenz zur Zukunft Europas noch einmal geben wird, ist aktuell unklar. Mehrere Teilnehmer*innen und Sprecher*innen von verschiedenen Organisationen haben aber bereits eine größere und dauerhaftere Möglichkeit für EU-Bürger*innen gefordert, um an Gesetzgebungsprozessen beteiligt zu sein.
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