Europa nach der Münchner Sicherheitskonferenz

Europäische Bomben und nicht-europäische Bomben

, von  Dominik Winkler

Europäische Bomben und nicht-europäische Bomben
NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg bei der Münchner Sicherheitskonferenz.
Foto: Flickr / NATO North Atlantic Treaty Organization / CC BY-NC-ND 2.0

Eine Woche nach der Münchner Sicherheitskonferenz wird ein stärkeres Engagement Europas gefordert - mal wieder. Doch diese Diskussion verfehlt den eigentlichen Kern des Problems: Viel entscheidender als die Frage, „wie viel“ europäische Sicherheitspolitik wir brauchen, ist die Frage, „welche“ europäische Sicherheitspolitik wir brauchen. Letztere ist nicht zwingend besser, nur weil sie europäisch ist. Ein Kommentar.

Es war mal wieder soweit. Im Zuge der Münchner Sicherheitskonferenz wurde von Deutschland und Europa „mehr Verantwortung“ gefordert, der Kontinent solle „Führung zeigen“. Laut Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier darf in Europas Mitte „kein ängstliches Herz schlagen“. Inmitten von gescheiterter Friedensmediation in Libyen, Eskalationen in Syrien und Trumps andauernden politischen Abenteuern erklingt damit zumindest eine altbekannte Konstante: Die fast schon gebetsmühlenartige Forderung nach einer verstärkten außenpolitischen Verantwortung Europas. Im Grunde nichts Neues und im Inhalt auch relativ monoton. Europa überlasse in weltweiten Krisen anderen das Feld, sei in der NATO zu schwach, Deutschland sei außerdem zu zaghaft, könne nichts gegen Trump und Putin aussetzen, so die Kernaussage. Wolle Europa inmitten aktueller Konflikte wirklich etwas unternehmen, führe an einer militärischen Operation kein Weg vorbei. Kurzum: Das Problem seien nicht zu viele Panzer und Bomben in der Welt, sondern zu wenig europäische.

In einem Punkt haben diese Stimmen recht: Tatsächliche Mitsprache und Macht ohne die Bereitschaft für militärische Handlungen sind inmitten von Krieg und machiavellistischer, rein interessensbasierter Politik oft nicht zu haben. Die ganze Diskussion geht allerdings am entscheidenden Punkt vorbei. Robert Fisk bringt es in seinem Roman zum Libanonkrieg auf den Punkt: Die amerikanische Waffe in der Hand von Israelis ist genauso gefährlich wie die sowjetische Waffe in der Hand von Syrer*innen. Übertragen auf „Europas Verantwortung“: Was macht Europas Waffen so besonders, dass wir mehr davon brauchen? Was macht die europäische Bombe besser als die nicht-europäische?

Europas Außenpolitik existiert bereits. Wenn jetzt „mehr Verantwortung“ gefordert wird, klingt das erst einmal nett. „Europäisches Engagement“ klingt zudem mehr nach Ehrenamt als nach Krieg. Wenn aber eine offensivere Außenpolitik gefordert wird, dann müssen wir uns darüber klar sein, dass Europa genauso Teil interessensgeleiteter Politik ist. Wer glaubt, dass europäische Außenpolitik wirklich einen Beitrag zu einer friedlicheren und gerechteren Welt leisten kann, der*die muss auch formulieren, wie er*sie sich das vorstellt.

Europas Außenpolitik: eine Bestandsaufnahme

Am Ende ist nicht nur die Nächstenliebe der Europäer*innen für die Welt die treibende Motivation zur Lösung der Konflikte in Libyen oder Syrien. Im Vergleich zu letzteren scheinen „uns Europäer*innen“ beispielsweise der bereits jahrelang andauernde Konflikt in der Demokratischen Republik Kongo oder das Sterben im Jemen kaum zu interessieren. Ein Teil der Begründung für das mangelnde Interesse ist bitterweise die romantisch-rassistische Vorstellung, dass eine aggressivere europäische Außenpolitik zu weniger Geflüchteten führt. Wenn Europa also Krieg führt, dann flüchten weniger Menschen, so die Annahme. Was aber macht europäische Militäroperationen so besonders, dass niemand flieht? Natürlich ist diese Vorstellung absurd, aber genau das ist die zugrundeliegende Annahme, wenn die Aufrüstung der NATO als Wundermittel für Frieden und weniger Geflüchtete betrachtet wird.

Die Frage ist also nicht “wie viel europäische Außenpolitik“, sondern in erster Linie „was für europäische Außenpolitik“. Denn nüchtern ausgedrückt ist die europäische Geschichte keine reine Ruhmesgeschichte: ganz grundsätzlich angefangen bei der Kolonialgeschichte und Völkermorden über Weltkriege und Holocaust bis zu Beteiligungen an den „Interventionen“ der vergangenen Jahre wie Afghanistan oder Irak. Ist Europa mehr als das selbsterklärte Zentrum der Aufklärung, des Humanismus oder der Werte? Es war deutsches Giftgas, das Saddam Hussein im Massaker an Schiit*innen und Kurd*innen einsetzte, und es sind deutsche Panzer, die sich in dem immer noch stattfindenden völkerrechtswidrigen Angriff der Türkei auf die kurdisch kontrollierten Gebiete in Nordsyrien bewegen. Frankreich unterstützt in Libyen zudem weiterhin General Haftar – und diese Aufzählung europäischer Beteiligungen an internationalen Konflikten ließe sich beliebig verlängern. Europäische Bomben sind bereits in der Welt, stoßen aber in den betroffenen Ländern oft auf weniger Begeisterung als erwartet.

Aber irgendwas muss man doch tun?

James Ferguson geht am Ende seiner grundlegenden Kritik am entwicklungspolitischen Apparat auf die Forderung ein, dass gegen Hunger, Armut, vermeidbare Krankheiten und mehr etwas getan werden müsse. Selbst nach dreihundert Seiten detailliertester Kritik an der aktuellen Entwicklungspolitik streitet er also nicht ab, dass etwas getan werden müsse, aber, so Ferguson, die Forderung selbst sei falsch gestellt. Die richtige Frage wäre: Wer muss was machen?

Die EU macht bereits mehr Außenpolitik als oft angenommen - meist ganz ohne Panzer und Bomben, aber nicht unbedingt friedlicher. Ein Beispiel sind Europäischen Subventionen, die lokale Märkte auf dem afrikanischen Kontinent kaputt machen, aber auch grundsätzlicher gesprochen unfaire Wirtschaftsabkommen, die den Globalen Süden ausbeuten. Das alles produziert Ungleichheit und schafft Grundlagen für Konflikte. Das heißt nicht, dass Europa nicht zu einer faireren, sichereren Welt beitragen könnte. Außenpolitik ist nicht automatisch böse, schlecht oder rein interessengetrieben. Sie kann ebenso post-kolonial und feministisch sein. Dass sich solche Perspektiven selbst in den Zirkeln der Münchner Sicherheitskonferenz behaupten können, zeigte beispielsweise das Centre for Feminist Foreign Policy.

Wenn also wieder einmal Europas empfundene außenpolitische Ohnmacht in einem Drang danach endet, sich selbst in die Welt zu exportieren, dann ist die passende Frage nicht, wie viel, sondern was für ein Europa wir in der Sicherheitspolitik brauchen – und in diese Richtung muss sich auch die Diskussion um europäische Sicherheitspolitik bewegen. Am Ende sind europäische Bomben auch nur Bomben. Frieden bringen sie nicht unbedingt.

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