E-Demokratie in Zeiten von Corona und danach

Europäische Demokratie digital denken

, von  Marie Menke

Europäische Demokratie digital denken
Noch zeigen sich viele europäische Länder zögerlich, Wahlen auch online durchzuführen. Foto: Unsplash / Kaitlyn Baker / Unsplash License

Da die Corona-Pandemie viele Teile des öffentlichen Lebens lahmgelegt hat, fällt es Bürger*innen schwer, sich Gehör zu verschaffen. Eine Alternative: demokratische Prozesse ins Internet verlagern und von zu Hause aus an politischen Prozessen teilnehmen. Obwohl eine sogenannte E-Demokratie mit Risiken verbunden ist, könnte sie auch eine Gelegenheit für die Europäische Union sein, um neue Diskussionsformen auszuprobieren.

Brando Benifei und Wietse Van Ransbeeck arbeiten beide daran, digitales Bürger*innenengagement möglich zu machen – allerdings auf sehr unterschiedlichen politischen Ebenen. Während der italienische Sozialdemokrat Benifei seit 2014 Mitglied des Europäischen Parlaments ist, gründete der belgische Unternehmer Van Ransbeeck das CitizenLab, eine digitale Plattform, die zum Beispiel Städte und Kommunen mit ihren Bürger*innen ins Gespräch kommen lässt. Beim European Youth Event Online kamen Benifei und Van Ransbeeck zu einer digitalen Live-Debatte über E-Bürgerschaft, partizipative Demokratie und Online-Wahlen zusammen.

Kann Demokratie digital sein?

E-Demokratie wird vom Demokratiezentrum Wien als die „Umsetzung und Unterstützung demokratischer Prozesse unter Verwendung digitaler Informations- und Kommunikationstechnologien“ definiert. Sie kann von Social-Media-Plattformen bis hin zu alternativen Plattformen reichen, die speziell für öffentliche Konsultationen geschaffen wurden. Das Demokratiezentrum unterscheidet weiter zwischen E-Government (zum Beispiel digital stattfindende Behördengänge), E-Partizipation wie das digitale Einreichen von Unterschriftensammlungen und E-Voting. Während viele europäische Länder nach wie vor zögern, digitale Wahlen abzuhalten, fand die erste landesweite Abstimmung mit elektronischer Fernabstimmung bereits 2007 in Estland statt.

Seit Beginn der Corona-Pandemie beobachtet Van Ransbeeck ein zunehmendes Interesse an digitaler Bürger*innenbeteiligung: "Es werden große politische Entscheidungen getroffen, aber die Regierungen sind ratlos und müssen Ersatz für öffentliche Veranstaltungen suchen.“ Für Van Ransbeeck war die Pandemie ein Auslöser für die Förderung demokratischer Innovation. Sein Unternehmen CitizenLab bereitet solche seit 2015 vor: Zum Beispiel organisierte es das erste Online-Referendum in der belgischen Region Flandern. Dort wurde digital entschieden, ob die Stadt Kortrijk Auto-freie Sonntage einführen soll.

Van Ransbeeck ist sich bewusst, dass E-Demokratie mit Risiken verbunden ist. Dazu zählt die zunehmende Polarisierung von Online-Diskussionen. Für Van Ransbeeck ist die Entwicklung von Plattformen, die speziell für die demokratische Beteiligung konzipiert sind, der Schlüssel zu einem digitalen Raum für politische Debatten: „Es ist bemerkenswert, wie wenig unangemessene Inhalte wir auf unserer Plattform haben“, so Van Ransbeeck. Da CitizenLab im Gegensatz zu den meisten sozialen Netzwerken in der Lage ist, die Identität der Benutzer*innen zu verifizieren, ist es mit vergleichsweise wenig Spam und Trolling konfrontiert: „Die Leute wissen, dass sie mit ihren Nachbar*innen in einem von ihrer Regierung gestalteten Raum interagieren“. Auf europeanyouthideas.eu argumentiert der Nutzer Mathieu außerdem, eine „europäische Social-Media-Plattform speziell für die Zivilgesellschaft“ könne der nächste Schritt für die EU sein: „Wir können uns nicht auf ausländische Social-Media-Plattformen verlassen, denen Werte wie Solidarität, Engagement, Verständnis, Bildung und Dialog nicht am Herzen liegen“, schreibt er.

Datenschutz und Transparenz gewährleisten

Van Ransbeeck hält Transparenz für eines der wichtigsten Prinzipien von E-Demokratie: „Man muss die Art und Weise ändern, wie man kommuniziert, und bei allen Entscheidungen transparent sein“, rät er Regierungen, die digitale Werkzeuge ausprobieren. Bürger*innen, die an Online-Konsultationen teilnehmen, sollten genau wissen, wann sie von der Regierung Rückmeldung erhalten, wie ihr Feedback verarbeitet wird und welchen Einfluss das Ergebnis der Konsultation haben wird. "Wenn die Leute das Gefühl haben, ihre Meinung in eine Black Box zu werfen, ohne dass etwas passiert“, warnt er, „werden sie sich nicht die Zeit nehmen, später zurückzukommen und sich erneut zu engagieren.“

Laut Brando Benifei beschneidet eben diese mangelnde Transparenz das Potential einer erfolgreichen E-Demokratie in der EU. „Man muss [als Bürger*in, der*die sich beteiligen möchte,] sehr gut verstehen, worüber gesprochen wird, da man riskiert, etwas erst dann zu diskutieren, wenn die Diskussion schon sehr weit fortgeschritten oder gar vorbei ist“, sagt er. Seiner Ansicht nach sind die digitalen Kommunikationsmittel wie die Webseiten der EU-Institutionen im Laufe der Jahre besser geworden. Dennoch sieht er weiterhin Raum für Verbesserungen: "Wir können uns manchmal noch besser verständlich machen, damit die Menschen wissen, was sie verlangen können und was wir diskutieren.“

Ein Instrument, das in der Vergangenheit entwickelt wurde, um den europäischen Bürger*innen eine Beteiligung an der Entscheidungsfindung der EU zu ermöglichen, ist die Europäische Bürgerinitiative: Wenn es einer als Europäische Bürgerinitiative registrierten Unterschriftensammlung gelingt, eine Million Unterschriften von EU-Bürger*innen aus mindestens sieben EU-Ländern zu sammeln, muss eine Anhörung zu diesem Thema im Europäischen Parlament stattfinden. Die Europäische Kommission muss dann entscheiden, ob sie die Idee im Rahmen eines neuen Gesetzes übernimmt. Benifei hält die Europäische Bürgerinitiative jedoch für reformbedürftig: „Sie ist zu kompliziert“, kritisiert er. „Sie sollte leichter zugänglich und [ihr Ergebnis sollte] verbindlicher sein, als es derzeit der Fall ist“.

Besser machen statt ersetzen

Benifei und Van Ransbeeck erwarten nicht, dass die digitale Beteiligung der Bürger*innen zu einer direkten Demokratie führen wird, in der Bürger*innen über jede einzelne politische Entscheidung mit einem Klick im Internet entscheiden. Ihnen zufolge kann Onlinebeteiligung die repräsentative Demokratie nicht ersetzen. Van Ransbeeck betrachtet E- und repräsentative Demokratie stattdessen als sich gegenseitig ergänzend: „Ich möchte mich auf das System konzentrieren, das wir schon haben, in dem man alle vier oder fünf Jahre wählen geht, aber gleichzeitig auch den Menschen im politischen Entscheidungsprozess [zwischen den Wahlgängen] Gehör verschaffen“, beschreibt er seine Vision. Bei E-Demokratie gehe es nicht nur um Wahlen und Entscheidungen, sondern vielmehr darum, die Menschen in Diskussionen und Debatten einzubinden. Letztlich sei E-Demokratie eine Gelegenheit, die“repräsentative Demokratie repräsentativer zu machen".


Das englischsprachige Original des Beitrags erschien auf europeanyouthideas.eu, einer digitalen Diskussionsplattform des Europäischen Parlament für junge Europäer*innen. Die Diskussionsveranstaltung findet sich in voller Länge auf Facebook.


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