Madelaine Pitt, Vereinigtes Königreich
"Wenn die parlamentarische Agenda des Landes nicht für die bevorstehenden Parlamentswahlen blockiert wäre, würde sie durch den Brexit vereinnahmt sein. Dennoch ist das Vereinigte Königreich das erste Land, das eine Debatte der Spitzenpolitiker*innen ausschließlich zum Thema Klimawandel abhält. Zugegeben, unser amtierender Premierminister, von dem allgemein erwartet wird, dass er seine Rolle auch nach der Wahl ausüben wird, hat sich nicht die Mühe gemacht aufzutauchen. Nicht etwa, weil er andere Verpflichtungen hätte, nein. Sondern weil weder er noch seine Partei sich um die Zukunft des Planeten kümmert, und er befürchten musste, sich zu blamieren, wenn er nach seinen doch eher schwachen Lippenbekenntnissen zum Thema befragt worden wäre.
Die Debatte wurde von Channel 4 übertragen und organisiert, dem Fernsehsender, der in Anbetracht der immer schlechter werdenden Qualität der vermeintlich objektiven Berichterstattung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks BBC, eine ausgezeichnete Initiative durch die Organisierung der Debatte zeigt. Sie zeigten auch einen Sinn für makaberren Humor. Der fehlenden Boris Johnson und der ebenso abwesende Nigel Farage wurden durch Eisstatuen ersetzt, die im Laufe der Show zu schmelzen begannen.
Die ausgezeichnete Caroline Lucas, die unermüdlich dafür gekämpft hat, dass Großbritannien in der EU bleibt und eine starke Stimme für ein grüneres Europa ist, wird mit ziemlicher Sicherheit für die sonnige Südküstenstadt Brighton wiedergewählt werden. Dennoch war sie in der vergangenen Legislaturperiode die einzige Abgeordnete der Grünen und zeigte damit die Schwäche der Partei auf nationaler Ebene. Obwohl Labour eine grüne industrielle Revolution vorschlägt, ist es zutiefst besorgniserregend, dass die Partei, die am ehesten wieder an die Macht kommt, es vorzieht, die Klimakrise einfach komplett zu ignorieren und zudem auch versuchen wird, einen gefährlichen Brexit durchzudrücken, der Großbritannien hinter die europäischen Umweltstandards zurückfallen lassen würde.
Das Vereinigte Königreich ist die Heimat von Extinction Rebellion, einer weltweit wachsenden Bewegung, die gewaltfreien zivilen Ungehorsam einsetzt, um zu versuchen, die Aufmerksamkeit der Regierungen der Welt auf die Klimakrise zu lenken und sie zum Handeln zu zwingen. Doch was die Wahlen, der Brexit, und die Aussicht auf eine weitere fünfjährige konservative Regierung betrifft, so ist die Aussicht auf ein tatsächliches Handeln gegen den Klimawandel im Vereinigten Königreich doch in weite Ferne gerückt."
Rafaela Xanthoula Ayadi, Griechenland
"Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern hat Griechenland in Bezug auf den Klimaschutz bisher relativ wenig umgesetzt und verändert. Das Land musste bis jetzt häufiger zu Strafzahlungen sanktioniert werden, da es gegen EU-Vorschriften illegal Müll deponiert hat. Zur Veranschaulichung: Griechenland wurde im Jahr 2016 vom Europäische Gerichtshof wegen verspäteter Umsetzung eines EU-Lagerungsrechts zu einer Strafe von 10 Millionen Euro verurteilt.
In Griechenland wird jährlich ca. eine Millionen Tonnen Plastikmüll produziert. Davon werden schätzungsweise nur 18 Prozent recycelt, was deutlich unter dem europäischen Durchschnitt von 30 Prozent liegt. Ein Teil dieses Mülls landet unter anderem im Mittelmeer.
Zur Bekämpfung dieses Problems wurden Anfang letzten Jahres erste Maßnahmen durchgesetzt. Wie in Deutschland sind dort nun Plastiktüten im Einzelhandel kostenpflichtig. Seit diesem Jahr wird auch in Supermärkten in der Obst- und Gemüseabteilung auf Plastiktüten verzichtet. Alternativ kann man dort nun Obstnetze kaufen.
Außerdem versucht die griechische Insel Paros die erste plastikfreie Insel im Mittelmeer zu werden. Dazu wurde diesen Sommer das Projekt „Clean Blue Paros“ ins Leben gerufen. Dabei wird die Insel von einer etwas kleineren Organisation namens Common Seas unterstützt, deren Ziel es ist, die Plastikverschmutzung im Meer zu reduzieren. Das Projekt wird auch von vielen lokalen Geschäften auf der Insel unterstützt, in dem sie Tourist*innen und Einheimischen kein Einwegplastik wie Strohhalme und Plastikbesteck anbieten, sondern auf umweltfreundliche Alternativen umsteigen. Solche Maßnahmen wurden auch schon auf anderen Inseln ergriffen.
Erst vor kurzem hat die griechische Regierung verkündet, dass das Land 44 Milliarden Euro für erneuerbare Energien ausgeben will. Ziel ist es, in den kommenden acht Jahren alle Kohlekraftwerke zu schließen und bis 2035 den Anteil von Wind-, Sonnen- und Wasserkraft in der Energieversorgung auf mindestens 35 Prozent zu steigern. Mit zahlreichen windstarken Küsten- und Berggebieten sowie der hohen Sonneinstrahlung hätte das Land die besten Voraussetzungen für diese Umstellung.
Seit einiger Zeit gehen nun auch in Griechenland Kinder und Jugendliche für Klimastreiks auf die Straße. Die Griech*innnen könnten dennoch stärker und engagierter Klimapolitik führen, da sie selbst jährlich von den Folgen des Klimawandels betroffen sind. Besonders von Waldbränden wie zuletzt im vergangenen Jahr, bei dem mehr als 100 Personen bei einem Waldbrand nördlich von Athen ums Leben kamen."
Andrea Joveski, Nordmazedonien
"Auch Nordmazedonien ist aufgewacht und hat sich den weltweiten Klimaprotesten angeschlossen. Unter dem frei übersetzten Motto „Es ist genug“ schlossen sich Umweltaktivist*innen zur #ЗеленаРеволуција (grünen Revolution) zusammen und organisieren den „Marsch für eine saubere Luft“, ein ganz konkretes Problem im Land. Die Städte, besonders die Hauptstadt, erreichen vor allem in den Wintermonaten weltweite Rekorde in Bezug auf die Feinstaubbelastung.
Die Proteste richten sich hauptsächlich gegen die fast gänzlich fehlende Bereitschaft der Regierung, sich ernsthaft mit Umweltschutz und Klima zu beschäftigen. Die extrem hohe Luftverschmutzung in Skopje ist der völlig unangemessenen Infrastruktur, dem planlosen Bebauen jeder freien Fläche in der in einem Talkessel gelegenen Stadt und auch der Armut der Menschen geschuldet, die versuchen, Kosten zu sparen, indem sie alles Brennbare, darunter auch Gummi und Plastik, verheizen, um sich warm zu halten.
Auch trotz der Anmerkungen seitens der EU hat sich so gut wie nichts getan. Die Luftverschmutzung ist Untersuchungen zufolge für mehr als 1300 Todesfälle im Jahr verantwortlich. Ein Lichtblick ist, dass die Trends im Zusammenhang mit Luft- und Umweltverschmutzung mittlerweile genauer beobachtet und Daten gesammelt werden. Zum Beispiel darüber, dass die meisten Haushalte immer noch nicht an die zentrale Wärmeversorgung der Stadt angeschlossen sind, was sich im Übrigen auch viele der Bürger*innen überhaupt nicht leisten können.
Leider steht der Umweltschutz neben Korruptionsaffären, fehlender Rechtsstaatlichkeit und zunehmender Armut nicht gerade sehr weit oben auf der Prioritätenliste; nicht bei den Entscheidungsträgern und auch nicht bei den Bürger*innen. Das Interesse ist deklaratorisch, Nachhaltigkeit immer noch ein Fremdwort. Und dennoch: Der öffentliche Druck der Zivilgesellschaft wird größer und es ist abzusehen, dass der Staat im Sinne von Klima und Umwelt eines Tages wird wirklich Maßnahmen ergreifen müssen, um sein еrklärtes Ziel, den EU-Beitritt, zu erreichen, jedoch vor allem der Menschen und der Zukunft wegen."
Julia Bernard, Frankreich
"Frankreich war 2015 Gastland der UN-Klimakonferenz, die mit dem Übereinkommen von Paris einen klimapolitischen Meilenstein setzte. Staatspräsident Macron betont in vielen seiner Reden die Dringlichkeit des Klimawandels. Auch medial hat das Thema einen beachtlichen Aufschwung erlebt.
Frankreichs internationalen Verpflichtungen hat sich ein wachsendes öffentliches Interesse angehängt: Die französischen Grünen wurden bei den Europawahlen mit 13,5 Prozent auf einmal drittstärkste Kraft und ordneten sich damit in den europaweiten Trend der grünen Bewegungen ein. Ebenfalls bemerkenswert ist die Verkehrsentwicklung in der bevölkerungsdichtesten Region Frankreichs (Île-de-France) in der das Auto erstmalig um 5 Prozent weniger genutzt wird.
Dass für die meisten Franzosen Klima ein zentrales Thema ist, bestätigen etliche Umfragen. Darin wird aber auch offengelegt, dass für 71 Prozent der Befragten die aktuellen staatlichen Maßnahmen im Umweltbereich nicht ihren Erwartungen entsprechen. Auch wenn der Staatspräsident selbst und seine Partei La République En Marche sich also oft betont klima- und ökologiefreundlich präsentieren, ist die innenpolitische Bilanz nur mäßig grün. Macrons Plan Wirtschaftswachstum mit ökologischem Aufschwung in Einklang zu bringen, beunruhigt viele Grüne.
Für eine fehlerhafte Umsetzung in der Klimapolitik steht in Frankreich nicht zuletzt die Gelbwesten-Bewegung – auch wenn diese auf ein noch viel weiteres Feld zurückzuführen ist. Mit der Erhöhung der CO2-Steuer wollte man eigentlich eine effiziente klimapolitische Maßnahme, nach dem Verursacherprinzip, ergreifen. Jedoch fehlten dieser Maßnahme die sozialpolitischen Ausgleichsmechanismen, so dass sich die Wut in einer ohnehin sozio-ökonomisch benachteiligten Klasse breit machte und die Erhöhung vorerst zurückgestellt werden musste. Klimaschützer*innen sprachen von einem guten Ansatz, aber schlechter Umsetzung, da die Sozialpolitik fehlte.
Auch wenn Klima und Ökologie in den letzten Jahren auch medial einen enormen Aufschwung erlebt haben, leidet das Thema in der Öffentlichkeit – so wie in den meisten Ländern – an seiner eigenen Komplexität und Vielfältigkeit. Denn Klima wird aus den unterschiedlichsten Gesichtspunkten beäugt: Zwischen der Vielzahl an Studien und Akteuren, politischer Ökologie, sozialen und rechtlichen Erscheinungsformen zeigen auch französische Medien sich oft überfordert. Dies führt also auch in Frankreich dazu, dass das Thema medial manchmal schwierig zu behandeln ist.
Auch wenn Frankreich im internationalen Vergleich lange hinterherhinkte, zeigt sich das gewachsene ökologische Bewusstsein nun auch im Alltag: Französ*innen kaufen immer mehr Bio-Produkte, gehen in plastikfreie Supermärkte und fahren Fahrrad. Das Umweltbewusstsein zeigt sich auch darin, dass staatliche Initiativen für ökologischere Alternativen, so etwa beim Kauf von Elektrofahrrädern, Solarplatten oder Elektroautos, vermehrt genutzt werden.
So zeichnet sich Frankreich in der Klimapolitik also durch seine internationale Symbolkraft im Rahmen der COP25 und wachsendem Umweltbewusstsein (die Grünen bei den Europawahlen und Konsumverhalten in Frankreich) aus. Die Komplexität von Klimapolitik und ihre so wichtige soziale Komponente durfte Frankreich am eigenen Leibe erfahren. Ob Macron am Ende seinen hoch angekündigten ökologischen Maßnahmen tatsächlich gerecht werden wird, steht noch aus."
Charlotte Felthöfer, Deutschland
"Der Klimawandel ist seit „Fridays for Future“ und den Europawahlen, bei denen die Grünen ein Rekordergebnis von 20,5 Prozent einfuhren, in aller Munde.
In einer Umfrage des Forschungsinstituts Forsa im Sommer 2019 geben 37 Prozent der Deutschen an, der Klimawandel sei für sie das Thema, das ganz oben auf der politischen Agenda stehen müsse. Bei den 18 bis 42-Jährigen sind es sogar 42 Prozent. Große Diskrepanzen gibt es allerdings zwischen West- und Ostdeutschland: In den östlichen Bundesländern sehen 36 Prozent der Bürger die Zuwanderung als größte Herausforderung, Klimaschutz steht dort mit 28 Prozent an zweiter Stelle. 22 Prozent der deutschen Wahlberechtigten würden den Grünen momentan bei der Bundestagswahl ihre Stimme geben, somit rangieren sie hinter den Christdemokraten auf dem zweiten Platz.
Die Klimabewegung „Fridays for Future“ findet in Deutschland außergewöhnlichen Zuspruch, so sind beim globalen Klimastreik am 20. September 2019 allein in Deutschland 1,4 Millionen Menschen auf die Straße gegangen. Als Reaktion auf das wachsende Umweltbewusstsein in weiten Teilen der deutschen Bevölkerung präsentierte die schwarz-rote Regierungskoalition nun das erste deutsche Klimaschutzgesetz, in dem CO2-Sparmaßnahmen für jeden Sektor verbindlich festgelegt wurden. Das Klimapaket bewerteten allerdings 53 Prozent der wahlberechtigten Deutschen bereits in der ersten Version als ungenügend, die zweite Version des Klimapaketes umfasst noch weiter abgeschwächte Maßnahmen.
Auch in den deutschen Medien ist das Thema Klimaschutz ein von allen Seiten viel diskutiertes Thema: So denunziert der Spiegel die Klimapolitik der konservativ-sozialdemokratischen Koalition u.a. als „eine Blamage und ein Desaster“. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung kritisiert im Gegenzug „Klimarettungsplanwirtschaftsgesetze“, die der deutschen Wirtschaft schadeten.
Auch wenn der Großteil der deutschen Bevölkerung eine strengere Klimapolitik unterstützt und fordert, zeichnet sich auf individueller Ebene ein ambivalentes Bild ab: Der Fleischkonsum ist mit 60 Kilogramm pro Kopf zwar bereits leicht zurückgegangen, aber die deutschen Flughäfen fuhren Rekordzahlen ein und die Facebook-Gruppe „Fridays for Hubraum“ versammelt mehr als 550.000 Bürger*innen, die einen Verlust des automobilen Individualverkehrs fürchten.
Die Ziele des Pariser Klimaabkommens werden somit auf deutscher Seite bisher weder durch politische Entschlossenheit noch durch einen grundlegenden Wandel im Konsumverhalten des Einzelnen erreicht. "
Jane Herbelin, Italien
"Die italienische Halbinsel ist eine der Regionen Europas, die am meisten von Naturkatastrophen betroffen ist; damit steht sie an der Spitze der vom Klimawandel betroffenen Gebiete Europas.
Allein in der letzten Dekade wurde Italien häufig Ziel von Wetterextremen wie Stürmen, Überschwemmungen und Dürren. Diese Ereignisse führten laut Coldiretti, der wichtigsten Vereinigung der Landwirt*innen des Landes, zu einem Schaden von 14 Milliarden Euro für die italienische Agrarindustrie. Die Folgen des Klimawandels werden höchstwahrscheinlich nicht aufhören, wenn sich an der Situation nicht schnell etwas ändert.
Italien ist derzeit der drittgrößte Abfallerzeuger im Mittelmeerraum, darunter 80 Prozent Kunststoffe, und der zweitgrößte europäische Kunststoffproduzent, direkt hinter Deutschland. Giuseppe Contes Regierung scheint jedoch endlich Veränderungen in Richtung einer Kreislaufwirtschaft anzustreben. „Italien ist die Speerspitze der COP25 in Madrid. Und die ganze Welt ist vereint, um den Klimawandel zu bekämpfen“, schrieb Italiens Umweltminister Sergio Costa in einem Tweet auf der UN-Klimakonferenz. Im Haushaltsentwurf für das Jahr 2020 wurde eine „Kunststoffsteuer“ beschlossen, was bedeuten würde, dass Unternehmen eine Gebühr von 1 Euro pro Kilogramm Styropor oder Kunststoff zahlen müssten; dies gilt auch für sogenannte Einweg-Plastikprodukte. Die umweltfreundliche Abgabe hätte dem Land bis zu 1,1 Milliarden Euro eingebracht. Doch auf Grund von heftigen Gegenreaktionen und Protesten zog die Regierung diesen Entwurf zurück, indem sie die geplante Kunststoffsteuer drastisch reduzierte. Was jedoch blieb war eine Senkung der Mehrwertsteuer auf umweltfreundliche Tampons.
Zu den großen Versprechungen des Jahres 2020 gehört auch die jüngste Ankündigung des Bildungsministers Lorenzo Fioramonti, den Klimawandel als Unterrichtsstoff an allen staatlichen Schulen zur Pflicht zu machen. Im nächsten Jahr wird Italien so das erste Land der Welt, welches die Agenda 2030 der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung in seine Schulprogramme aufnimmt. Den Plänen nach werden alle Schüler*innen der Schulen Italiens 33 Stunden pro Jahr haben, die diesen Themen gewidmet sind. Auch Unterrichtsfächer wie Physik, Mathematik und Geographie sollen auch aus diesen Perspektiven betrachtet werden."
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