Europäische Prioritäten: Wirtschaft und/oder Menschenrechte?

, von  Jonas Botta

Europäische Prioritäten: Wirtschaft und/oder Menschenrechte?
Das eingestürzte Rana Plaza in Bangladesch. Über 1000 Menschen ließen hier ihr Leben für unseren Konsum. Foto: Wikimedia Commons / Sharat Chowdhury / CC BY 2.5

Vom 23. bis zum 27. Oktober 2017 tagt die Arbeitsgruppe des VN-Menschenrechtsrates zur Erarbeitung eines völkerrechtlichen Vertrages, der global agierende Großkonzerne für Menschenrechtsverletzungen in ihren Lieferketten haftbar machen soll. Erst im vergangenen Jahr hat die EU ihren Widerstand gegen diese Zielsetzung aufgeben. Doch was lässt sich von der bevorstehenden Verhandlungsrunde erwarten?

Rund viereinhalb Jahre sind vergangen, seitdem das Rana Plaza, Standort zahlreicher Textilfirmen unweit der bangladeschischen Hauptstadt Dhaka, in Folge schwerwiegender Konstruktions- und Instandhaltungsfehler einstürzte und über 1000 Menschen – hauptsächlich Textilarbeiterinnen, die trotz Kenntnis der widrigen Umstände zur Arbeitsaufnahme gezwungen worden waren – ihr Leben lassen mussten. Der Einsturz des Rana Plaza und der Tod der Textilarbeiterinnen wurde zum Sinnbild globaler Ungerechtigkeit. Der Fall machte zudem auf die fehlende Verantwortlichkeit der europäischen und nordamerikanischen Unternehmen für ihre Zuliefererketten im Globalen Süden aufmerksam.

Die bestehenden Menschenrechtsabkommen verpflichten keine privaten Unternehmen

Den von schlechten Arbeitsbedingungen, fehlenden Arbeitnehmerrechten, aber auch Umweltschäden und Gesundheitsverletzungen betroffenen Menschen verbleibt grundsätzlich nur der zumeist unzureichende und selbst im Erfolg nur wenig vielversprechende Rechtsschutz in ihren Heimatländern. Ansprüche gegen die Mutterkonzerne und Abnehmer der Textilprodukte bestehen jedoch in der Regel nicht. Hierfür fehlt es bislang an einem international verbindlichen Regelwerk. Denn das Völkerrecht verpflichtet private Unternehmen nicht, die Menschenrechte zu achten. Menschenrechtschutz wird immer noch allein dahin gehend verstanden, dass lediglich Staaten durch internationale Verträge gebunden sind. Für Unternehmen bestehen hingegen nur unverbindliche Empfehlungen: die im Jahr 2011 eingeführten und nach dem VN-Sonderbeauftragten für Wirtschaft und Menschenrechte, John Ruggie, benannten Leitprinzipien für unternehmerische Sorgfaltspflichten. In einer globalisierten Welt haben transnationale Unternehmen jedoch längst an Einflussmöglichkeiten auf die Lebenssituation von Millionen von Menschen gewonnen, die staatliche Gewalt in vielen Fällen längst übertrifft.

EU und USA waren unverbindliche Regelungen ausreichend

Um diesem Missstand entgegenzuwirken, wurde im Juni 2014 auf Ebene der Vereinten Nationen eine Arbeitsgruppe des VN-Menschenrechtsrates zur Erarbeitung eines völkerrechtlichen Vertrages initiiert, der es ermöglichen soll, transnationale Unternehmen auch in ihrem Herkunftsland zur Rechenschaft zu ziehen und sie zur Einhaltung der Menschenrechte zu verpflichten. Vom 23. bis zum 27. Oktober 2017 wird diese Arbeitsgruppe zum dritten Mal in Genf zusammenkommen, um den aktuellen Vertragsentwurf zu verhandeln. Ein Prozess, der fast ausschließlich von Staaten des Globalen Südens vorangetrieben worden ist. Die Herkunftsländer der meisten global tätigen Großkonzerne wie etwa die Vereinigten Staaten von Amerika aber auch die EU-Mitgliedsstaaten, welche im Menschenrechtsrat stets einheitlich abstimmen sollen, stimmten gegen die Einsetzung der Arbeitsgruppe und verweigerten jegliche Mitarbeit. Die offizielle Argumentation war, dass ein neuer Verhandlungsprozess den bestehenden Konsens gefährde, der zur Einführung der sogenannten Ruggie-Prinzipien verholfen habe. Erst 2016 nahmen die EU-Vertreter auf Druck von Zivilgesellschaft und Europäischem Parlament an einer Sitzung der Arbeitsgruppe teil.

Frankreich und die Niederlande sind Vorreiter bei unternehmerischen Sorgfaltspflichten

Fraglich ist jedoch weiterhin, wie aktiv sich die EU in die bevorstehenden Verhandlungen einbringen wird. Doch es könnte Grund zur Hoffnung bestehen. In Frankreich und den Niederlanden wurden im Jahr 2017 erstmalig Gesetze erlassen, die Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen und Kinderarbeit in ihren Zuliefererketten haftbar machen. Wenn sich die anderen EU-Mitgliedsstaaten – unter anderem Deutschland, welches derzeit im Menschenrechtsrat sitzt – diesem Anliegen anschließen sollten, könnte die EU zu einer treibenden Kraft im internationalen Menschenrechtsschutz werden. Doch noch sind die Signale aus den europäischen Hauptstädten mehr als zurückhaltend. Die kommende Woche bleibt daher mit Spannung abzuwarten.

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