Europäisches Parlament: Was wählen wir da eigentlich?

, von  Gesine Weber

Europäisches Parlament: Was wählen wir da eigentlich?
Europaparlament in Straßburg Foto: Pixabay / dimschu / CC0 1.0

Vom 23. bis 26. Mai wählen die Bürger*innen der EU ein neues Europaparlament. Wir erklären, was die Aufgaben des Europaparlaments sind und warum die Wahl so wichtig ist.

Alle fünf Jahre ist es so weit: Die Bürger*innen der Mitgliedstaaten der EU sind dazu aufgerufen, ein neues Europaparlament zu wählen. 1979 wurde das Europaparlament zum ersten Mal direkt gewählt. Damit ist es nicht nur die einzige direkt gewählte Institution der Europäischen Union, sondern auch die einzige direkt gewählte überstaatliche Institution der Welt.

Veränderungen nach dem Brexit

Das Europäische Parlament setzt sich aktuell aus 751 Abgeordneten zusammen, die in den 28 Mitgliedstaaten der EU gewählt werden. Dabei unterscheidet sich jedoch die Zahl von Bürger*innen, die ein*e Abgeordnete*r vertritt: In kleinen Mitgliedstaaten vertreten die Abgeordneten weniger Bürger*innen als in großen, sodass man hier von „degressiver Proportionalität“ spricht. Nach dem voraussichtlichen Austritt Großbritanniens aus der EU wird diese Zahl angepasst: Damit werden 2019 nur 705 abgeordnete gewählt. Sitze verlieren wird allerdings kein Mitgliedstaat, manche Mitgliedstaaten gewinnen sogar Sitze dazu.

Niedrige Wahlbeteiligung

Die Wahlbeteiligung hat seit der ersten Direktwahl im Jahr 1979 mit jeder Europawahl abgenommen. Die niedrige Wahlbeteiligung kann auf verschiedene Faktoren zurückgeführt werden: Die Parteien geben verhältnismäßig wenig für die Wahlkämpfe aus, aber auch in den Medien ist die Europawahl deutlich weniger präsent als die nationalen Wahlen. Für viele Menschen erscheint Europapolitik außerdem intransparent, kompliziert und weit weg - der Anreiz, wählen zu gehen, ist dementsprechend gering.

Auch trotz der niedrigen Wahlbeteiligung der vergangenen Jahre ist es wichtig, am 26. Mai seine Stimme bei der Europawahl abzugeben. Denn obwohl es kein Initiativrecht besitzt und daher nicht direkt europäische Rechtsakte auf den Weg bringen kann, hat es einen großen Einfluss auf die Europapolitik. Das Europäische Parlament wählt nach der Europawahl den*die Kommissionspräsident*in, der*die in den kommenden fünf Jahren wichtige Impulse für die Richtung der Europapolitik geben wird. Eine Stimme für oder gegen eine bestimmte Partei ist damit nicht nur eine Stimme für die politische Ausrichtung des Europaparlaments, sondern auch der gesamten EU. Außerdem ist das Parlament in fast allen Bereichen an der Rechtsetzung der EU beteiligt: Im vergangenen Jahr haben die Abgeordneten beispielsweise gegen die Einführung transnationaler Listen oder für ein Verbot von Wegwerfplastik gestimmt. Außerdem spielt das Parlament eine wichtige Rolle für viele grundlegende Fragen der Europäischen Union: So muss es beispielsweise dem Beitritt neuer Staaten zustimmen oder vor Änderungen der EU-Verträge konsultiert werden.

Da die Kandidat*innen für die Europawahl über nationale Listen bestimmt werden, wird die Europawahl oft genutzt, um nationale Regierungen „abzustrafen“. Aktuelle Prognosen zeigen, dass sich dieser Trend in Form von vielen Stimmen für populistische Kräfte auch bei der Europawahl 2019 bestätigen könnte.

Demokratische Institution mit Demokratiedefizit

Während der Rat der EU die Institution zur Vertretung der nationalen Interessen bei der EU ist und die Kommission das „allgemeine Interesse“ im Sinne der europäischen Verträge repräsentieren soll, steht das Europäische Parlament für die Vertretung der Interessen der Bürger*innen. Als einzige Institution der Europäischen Union ist das Europäische Parlament direkt gewählt und verfügt damit über eine deutlich höherer demokratische Legitimität als die anderen Institutionen. An vielen politischen Prozessen sind die Abgeordneten als direkt gewählte Vertreter*innen der Bürger*innen direkt beteiligt: So entscheidet das EU-Parlament über den Haushalt der EU oder über den Beitritt neuer Staaten. Mit dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren ist es außerdem aktiv an der Verabschiedung von EU-Recht beteiligt.

Im Vergleich mit anderen demokratischen Parlamenten hängt das EU-Parlament jedoch weit zurück: Fehlende Kompetenzen und die politische Praxis tragen dazu bei, dass das Europäische Parlament vergleichsweise undemokratisch ist - deshalb wird dem EU-Parlament oft ein Demokratiedefizit bescheinigt. Der Hauptgrund hierfür ist das fehlende Initiativrecht, das oftmals als Herzstück der parlamentarischen Kompetenzen angesehen wird. Dieses Initiativrecht liegt auf europäischer Ebene ausschließlich bei der Kommission. Das Parlament kann ihr zwar empfehlen, bestimmte Themen auf die Agenda zu setzen oder ein Verfahren einzuleiten, die endgültige Entscheidung liegt aber bei der Kommission. Dementsprechend gibt es - abgesehen von der europäischen Bürgerinitiative, über deren Bearbeitung ebenfalls die Kommission entscheidet - keinen Weg, mit dem die Bürger*innen direkt ein Thema auf die Rechtssetzungs-Agenda setzen können. Ein weiterer Kritikpunkt, weshalb das Parlament oftmals als undemokratisch bezeichnet wird, ist die fehlende demokratische Kultur im Europaparlament und während der Wahlen. Die Abgeordneten werden über nationale Listen gewählt und die Wahlkämpfe von den nationalen Parteien organisiert, eine staatenübergreifende Debatte oder gar einen europaweiten Wahlkampf gibt es nicht. Außerdem werden die Europawahlkämpfe deutlich schwächer von nationalen Medien abgebildet, sodass sie in der öffentlichen Wahrnehmung weniger wichtig erscheinen. Darunter leidet die Diskussion, und eine europäische demokratische Kultur kann kaum entstehen. Damit die EU demokratischer wird, fordert beispielsweise die JEF ein Initiativrecht für das Europäische Parlament und die Einführung von transnationalen Listen.

Trotz des Demokratiedefizits gilt wie bei jeder anderen Wahl auch bei der Europawahl: Über die Zukunft der EU mitbestimmen kann nur, wer auch wählen geht - denn trotz all seiner Schwächen ist das Europäische Parlament die Institution, die die Bürger*innen direkt vertritt, und in der Vergangenheit bereits gezeigt hat, dass es mehr ist als ein zahnloser Tiger.

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