Europas Antwort auf den “Call of History”

Ursula von der Leyens vorerst letzte Rede zur Lage der Europäischen Union

, von  Nele Aktas

Europas Antwort auf den “Call of History”
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen während ihrer Rede zur Lage der Europäischen Union in Straßburg am 13. September 2023 Foto: European Union, 2023 / Christophe Licoppe / Copyright

Ursula von der Leyen hält ihre vorerst letzte Rede zur Lage der Europäischen Union. Sie spricht über Wirtschaftspolitik und Klimaschutz, Digitalisierung und KI und spricht sich deutlich für die Erweiterung und Integration der EU aus.

Vergangene Woche hielt Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Straßburg ihre alljährliche Rede zur Lage der Europäischen Union (englisches Akronym: SOTEU). Es ist die letzte Rede dieser Art vor der nächsten Europawahl, denn die findet in weniger als neun Monaten, im Juni 2024, statt. Ob Ursula von der Leyen eine zweite Amtszeit anstrebt, klammerte sie in der Rede aus. Stattdessen widmete sie sich den politischen Erfolgen und Erfordernissen der wichtigsten Politikfelder der EU. Teile der Rede sind auf deutsch und französisch, passend zum Verständnis der EU als “in Vielfalt geeint”. Der “Call of History” ist ein Motiv in ihrer Rede: Die gegenwärtigen Herausforderungen und Krisen seien der richtige Moment für Europa, “groß zu denken und unser eigenes Schicksal zu schreiben”.

Überblick über neue Pläne

Zu den Ankündigungen aus der Rede gehören vor allem Dialoge und Gespräche, zum Beispiel Industriedialoge, strategischer Dialog mit Bauern, Gipfel mit sozialen Partnern und eine*n Gesandte*n für kleine und mittlere Unternehmen. Außerdem soll ein neuer Handelskorridor kommen, sowie ein Paket für Windkraft und neue Untersuchungen gegenüber chinesischen Elektroautos.

Heute und vor vier Jahren

Zu ihrem Amtsantritt 2019 setzte von der Leyen das Ziel, Europa grün, digital und geopolitisch auszurichten. Damals war nicht vorstellbar, dass eine Pandemie ausbrechen, Russland die Ukraine angreifen und die EU jetzt eine sehr hohe Inflation erleben würde. Trotzdem ist sie zufrieden mit ihrer Arbeit und zählt als Erfolg den Green Deal, den gemeinsamen Fond NextGeneration EU und das entschlossene Handeln in Bezug auf die Ukrainehilfe. Mehrmals sagt sie: “Dies ist eine historische Errungenschaft und ich finde, wir sollten stolz darauf sein”. Gleichzeitig erkennt sie an, dass die Arbeit noch längst nicht getan sei.

Klimaschutz und Wirtschaft

Die Folgen des Klimawandels sind in allen Ländern der EU zu spüren und kosten Menschenleben, zuletzt bei Waldbränden in Griechenland und Starkregen in Spanien. Der Green Deal ist eines der großen Projekte dieser Legislaturperiode, um dem zu begegnen: mit einem großen Paket an Maßnahmen soll Europa als erster gesamter Kontinent klimaneutral werden. Diese Agenda hat laut von der Leyen zunehmend einen wirtschaftlichen Fokus. So sagt sie ein Windkraft-Paket zu und spricht vom Dialog mit der Industrie für eine Wende zu sauberer Energie.

Förderung für Unternehmen

Wirtschaftliche Akteure hören sicher auch gerne, dass die Kommission es einfacher machen möchte, in Europa Geschäfte zu treiben, zum Beispiel durch einen Gesandten zuständig für die Belange von kleinen und mittleren Unternehmen (KMUs).

Das Ziel ist, die Unternehmen wettbewerbsfähiger und resistenter machen. Während die USA ihre Wirtschaft mit dem Inflation Reduction Act fördern, genießt in China vor allem die Branche für Elektromobilität hohe staatliche Subventionen. Dem möchte die Kommission eine Anti-Subventionsuntersuchung entgegensetzen. Von der Leyens Worte bezüglich des Handels mit China werden von Beobachter*innen kritisch gesehen, denn sie erwecken den Anschein, als wolle die EU den Freihandel durch protektionistische Maßnahmen einschränken. Der Marktanteil von chinesischen Elektroautos steigt stetig.

Zusätzlich ist der Fachkräftemangel ein großes Problem. Daher sollen mehr Frauen und Mütter in den Arbeitsmarkt integriert werden. Jugendliche kommen nur einmal in der Rede vor: Etwa 8 Millionen sind europaweit weder in Ausbildung noch in einem Arbeitsverhältnis. Mit Industrie-, Arbeitnehmer*innen- und Arbeitgebe*rinnenverbänden ist daher ein Social Partners Summit geplant.

Europäische Geopolitik ist vielseitig

Der Begriff „De-Risking“ im Gegensatz zu “Decoupling” beschreibt, wie die EU mit China umgehen möchte. Seit 2021 ist das Global Gateway Projekt die europäische Version von nachhaltiger wirtschaftlicher Entwicklung und Kooperation. Außerdem ist kürzlich ein Eisenbahnkorridor beschlossen worden, der den Handel zwischen Indien, dem Nahen Osten und Europa um 40% beschleunigen soll. Afrika soll mehr Aufmerksamkeit von Europa bekommen. Ein Kritikpunkt: Das Thema Migration kommt nur am Rande zur Sprache, obwohl die Zahl Geflüchteter im Moment Höchststände erreicht. In diesem Zusammenhang erwähnt sie das umstrittene Abkommen mit Tunesien, außerdem möchte die EU eine internationale Konferenz gegen Menschenschmuggel ausrichten.

Sicherer digitaler Raum und ambivalente Haltung zu KI

An diesem Thema kommt niemand drum herum: Von der Leyen ist stolz auf die Gesetzgebung, die in dem Bereich beschlossen wurde, wie den AI Act zur Regulierung von künstlicher Intelligenz. Was nötig sei, um den Nutzen zu maximieren und die Gefahren zu limitieren: “guardrails, governance, guiding innovation”.

Die Union ist noch längst nicht komplett

Bulgarien und Rumänien sollen dem Schengenraum beitreten, plädiert die Kommissionspräsidentin. Genauso müssten auch weitere europäische Staaten, darunter die Ukraine, perspektivisch in die EU aufgenommen werden. Dabei unterstreicht sie aber besonders das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit, das für alle Staaten der EU und die, die es werden wollen, uneingeschränkt gelten müsse. Die Vertiefung der Zusammenarbeit innerhalb der Union und die Erweiterung um neue Staaten schließen sich nicht aus, beides soll gleichzeitig geschehen. Zu dem Ziel hat die Kommission bereits eingeleitet, dass bestehende Gesetze und Verträge darauf geprüft werden, wie sie in einer größeren EU funktionieren können.

Was ist also die Antwort der EU auf den Call of History?

Die Rede zur Lage der europäischen Union dreht sich um vielfältige Themen, und das Thema wirtschaftliche Resilienz steht viel stärker im Vordergrund als zum Beispiel Verteidigung. Als letzte SOTEU-Rede nimmt Beschreibung und Reflexion viel Raum ein. Auf der anderen Seite gibt es deutliche Zugeständnisse zur Erweiterung der Union. Egal ob von der Leyen sich entschließt, bei der Wahl für eine zweite Amtszeit zu kandidieren oder nicht, die Themen werden uns noch länger begleiten.

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