Europas Chinapolitik: Neu und mehr, bitte!

, von  Gesine Weber

Europas Chinapolitik: Neu und mehr, bitte!
Symbol der Volksrepublik China: Der Tiananmen-Platz in Peking. Foto: PixabayPexels / Pixabay License

Vergangene Woche fand in Brüssel der EU-China-Gipfel statt, auf dem die beiden Partner eine tiefere Zusammenarbeit vereinbart haben. treffpunkteuropa.de-Chefredakteurin Gesine Weber findet: Da geht noch mehr - die EU braucht endlich eine ernstzunehmende Chinapolitik.

Sehr geehrter Herr Tusk, sehr geehrter Herr Juncker,

diese Woche war es wieder so weit: Sie beide haben den chinesischen Premierminister Li Keqiang in Brüssel zum EU-China-Gipfel getroffen. Es war das 21. Treffen dieser Art, und wie immer war es kein leichtes Treffen, wie man aus Brüssel hört. Aber immerhin gehen Sie dieses Mal mit einer gemeinsamen Erklärung zurück in die europäischen Institutionen. Damit ist die Erklärung Teil der aktuellen China-Dynamik in der EU: Endlich strotzt Ihre Haltung gegenüber China nicht mehr vor Überheblichkeit und Naivität gegenüber einem vermeintlich boomenden Entwicklungsland, sondern Sie haben in Brüssel verstanden: Eine Zukunft ohne China ist unausweichlich. Es ist Ihre Aufgabe, die EU fit für diese Zukunft zu machen - in Ihrem Fall lieber spät als nie.

Wer diese Erklärung liest, merkt schnell, dass hier auf beiden Seiten Zugeständnisse stehen. China ist der EU weiter entgegengekommen, als es vorherzusehen war: In der Abschlusserklärung finden sich beispielsweise eine klare Ablehnung erzwungener Technologietransfers und das gemeinsame Wille zur Reform der Welthandelsorganisation (WTO). Gleichzeitig haben auch Sie für die EU wichtige Zugeständnisse gemacht: Die Idee, Menschenrechte als wichtigen Teil politischer Beziehungen zu begreifen, wie es die EU oftmals tut, haben Sie über Bord geworfen, ein kurzes Bekenntnis zu den universellen Menschenrechten muss reichen. Im Übrigen fand auch der Dialog mit China zu Menschenrechten vor knapp zwei Wochen hat kaum mediale Resonanz, und auch von den Institutionen wurde das Thema sehr wenig aufbereitet. Am meisten an Ihrem Auftreten gegenüber China stört mich aber vor allem eines: Ihre unverhohlene Lustlosigkeit, gepaart mit einer gewissen europäischen Arroganz - wir in Europas sind ja schließlich „die Guten“ -, die Sie nicht einmal versuchen zu überspielen. Ich habe nicht den Eindruck, dass es Ihnen darum geht, eine langfristige Partnerschaft mit China aufzubauen, von der beide Seiten und letztendlich eine multilaterale Weltordnung profitieren könnten. Viel eher geht es um Schadensbegrenzung und darum, jene Lücke zu füllen, die viele Jahre Desinteresse an China und eine völlig falsche Einschätzung der Volksrepublik hinterlassen haben.

Spätestens die Verträge der italienischen Regierung mit China zeigen, dass Brüssel die neue Seidenstraße nicht verhindern kann: China wird in Zukunft nicht nur an Eisenbahnprojekten und Häfen, sondern auch an mehreren wichtigen Konzernen in Europa beteiligt sein. Expert*innen sehen darin eine starke Einflussnahme Chinas auf den gemeinsamen Markt, Ihnen in Brüssel reichten bisher warnende Worte. Dabei braucht die EU gerade jetzt eine umfassende China-Politik, die gleichzeitig auf strategische Annäherung und Distanz setzt, auf Kooperation und Abgrenzung. Aus diesem Grund ist es gut, dass für 2020 ein Investitionsabkommen zwischen der EU und China auf der Agenda steht: Es ist Ihre Möglichkeit, die chinesische Politik in Europa so zu gestalten, dass sie europäischen Wortschafts-Und Sozialstandards entspricht. Es ist nicht so, dass Europa vom Milliardenprojekt „One Belt One Road“ nicht profitieren könnte - aber dafür muss Ihre Beschäftigung mit dem Projekt über das Beobachten und Ermahnen von Mitgliedstaaten hinausgehen. Wir brauchen nicht nur mehr europäische Chinapolitik, sondern auch eine bessere. Werden Sie zu chinapolitischen Torjägern, anstatt am Spielfeldrand zu stehen!

Eine langfristige und nachhaltige europäische Chinapolitik kann auch in jenen Politikfeldern ein wichtiger Ansatz sein, wo die multilaterale Weltordnung zunehmend unter Druck gerät. Ganz abgesehen davon, dass eine Wiederwahl Donald Trumps 2020 nicht ausgeschlossen werden kann, besteht zwischen Europa und China in Fragen globaler Herausforderungen durchaus Kooperationspotential. Gerade bei der Umsetzung des Pariser Klimaabkommens besteht bei der Kooperation noch Spielraum nach oben: Während der Verhandlungen nahm die EU eine wichtige Rolle ein, und seit dem Austritt der USA aus dem Abkommen betonen wenige Staaten so aktiv wie China, dass das Abkommen dennoch umgesetzt werden muss. Warum nicht eine europäisch-chinesische Klimaallianz als Vorreiterprojekt für ähnliche globale Kooperationen? Und auch in anderen Fragen der internationalen Kooperation sollte die EU zumindest aktiver versuchen, einen Schritt auf China zuzugehen: Es ist kein Geheimnis, dass China sich zunehmend im multilateralen Bereich engagiert, Engagement unter dem Dach der Vereinten Nationen, etwa in der Friedenssicherung, ist eine wichtige Prioritäten der chinesischen Außenpolitik. In vielen Feldern mag man mit China kaum einen gemeinsamen Nenner finden - aber in jenen, die weniger politisieren, könnten Sie in Peking Verbündete finden. Wenn Sie es ernst meinen mit dem globalen Gestaltungsanspruch der EU, müssen Sie diesen mit China gemeinsam umsetzen.

Die China-Strategie der EU, die im März verabschiedet wurde, kam ohne Zweifel Jahre zu spät; und trotzdem ist es gut, dass sie endlich da ist. Aber mit einem Papier darf es nicht enden: In der EU brauchen wir einen umfassenden Ansatz gegenüber China, der über Regierungen in die Gesellschaft hineingeht. China sollte in allen Bereichen mitgedacht werden - eine Art „China-Mainstreaming“. Dazu braucht es auch einen Willen, China zu verstehen, sprachlich wie kulturell. Während chinesische Diplomat*innen die europäischen Sprachen oftmals beherrschen, sind Chinesischkenntnisse bei Brüsseler Beamt*innen und ihren Kolleg*innen in den Mitgliedstaaten oft ein seltenes Fundstück, und auch der Mittelstand sucht händeringend nach Arbeitskräften mit Chinakompetenz. Um die gleichberechtigte Partnerschaft, die Sie so stolz bewerben, aber langfristig halten zu können, ist es Ihre Aufgabe, auch europaweit auf ein Umdenken hinzuwirken: Um China führt kein Weg vorbei. Als Europäer*innen müssen wir jetzt beginnen, ihn zu gehen.

Hochachtungsvoll

Gesine Weber

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