Europas Gerichte im Kampf gegen den Klimawandel – Teil 2

Der richtige Weg für mehr Klimaschutz?

, von  Benedikt Gremminger

Europas Gerichte im Kampf gegen den Klimawandel – Teil 2

Europas Gerichte beschäftigen sich vermehrt mit umweltrechtlichen Klagen und verurteilen ihre Regierungen seit dem Pariser Klimaabkommen auch zunehmend zu schärferen Maßnahmen zum Klimaschutz. Dabei sind die Klagen von Klimaaktivist*innen, wie auch die folgenden Urteile, juristisch und politisch nicht unumstritten – ein Kommentar von Benedikt Gremminger.

Im vorangegangenen Teil 1 wurde bereits ausführlich über den zunehmenden Trend von Gerichten in ganz Europa berichtet, strenger und weitreichender die Klimaverpflichtungen ihrer Regierungen zu überprüfen. Vom Hoge Raad in den Niederlanden über das Irische Supreme Court bis zum Conseil d’Etat in Frankreich verurteilte ein europäisches Gericht nach dem anderen Regierungen zu weitreichenderen Klimaschutzmaßnahmen.

Aber ist ein solcher ,,höchstgerichtlicher Klimaschutz“ rechtlich überzeugend und in der Sache nachhaltig und effektiv? Lassen sich diese Gerichtsurteile mit demokratischen Grundprinzipien und der Gewaltenteilung vereinbaren? Und wie sind diese Klimaklagen ultimativ einzuordnen?

Die Urteile haben viele lautstarke Befürworter*innen – und Gegner*innen

Die verschiedenen Urteile sind bei Klimaaktivist*innen, aber auch vielen Politiker*innen und Jurist*innen, vor allem auch den jüngeren Generationen, auf weitreichenden, positiven Widerhall gestoßen. Sie sehen in den Urteilen eine Bestätigung des bisherigen Versagens von Regierungen weltweit und dem drängenden Bedarf nach einer besseren Klimapolitik. Die verschiedenen Gerichtsentscheidungen seien ein Weckruf an die Politik, endlich in der Klimakrise aus ihrem Dornröschenschlaf aufzuwachen um radikalere Schritte zu unternehmen.

Und tatsächlich – sowohl in den Niederlanden, in Irland als auch in Deutschland – scheint das Signal angekommen zu sein. Alle drei Länder verabschiedeten kurz nach den Urteilen ihrer Höchstgerichte neue, ehrgeizigere Klimagesetze. Selbst Wirtschaftsminister Peter Altmaier, noch mitverantwortlich für das verfassungswidrige Klimaschutzgesetz, sprach von einer ,,historischen Entscheidung“ und einer Chance für „mehr Klimaschutz und gleichzeitig mehr Generationengerechtigkeit“ zu sorgen.

Aber diese Reaktion wird keinesfalls universell geteilt. Schwerwiegende Kritik daran wird vor allem aus zwei Stoßrichtungen geübt. Zum einen gibt es aus dem klimaskeptischen – meist rechts(populistischen) Lager– erheblichen Widerstand gegen die Entscheidungen. Politiker*innen wie Alice Weidel (AfD) oder der niederländische Dauerprovokant Geert Wilders werfen den Gerichten einen ideologisch motivierten, unnötigen Klimaaktionismus vor. Solche Kritik ist bereits aufgrund ihres diametralen Widerspruchs zu jeglichem wissenschaftlichen Konsens untragbar.

Gewichtiger und auch substanzhaltiger sind hingegen die Vorwürfe anerkannter juristischer Expert*innen. Ihre Kritik richtet sich nicht gegen eine energische Klimapolitik an sich, sondern vielmehr gegen die Gerichte als tragenden Akteur dieser Stoßrichtung. Diese, auf den ersten Blick leicht technisch anmutenden Bedenken zentrieren sich um eine fundamentale Grundlagenfrage unseres Staatswesens: Inwieweit dürfen Gerichtsurteile Staaten zu einem schärferen Klimaschutzkurs verpflichten, ohne dabei selbst Klimapolitik zu betreiben?

Denn grundsätzlich gilt in westlichen Demokratien der Grundsatz der Gewaltenteilung. Neue (Klima)-Gesetzgebung geht dabei grundsätzlich nur von den Parlamenten (Legislative) und der Regierung (Exekutive) aus, während den Gerichten (Judikative) die Aufgabe der Rechtskontrolle und Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht zukommt. Wie auch in vielen der im ersten Teil angesprochenen Gerichtsentscheidungen explizit angesprochen wird, dürfen Gerichte also gar keine aktive Klimapolitik betreiben. Wer sich eine andere, verbesserte Rechtslage wünscht, wie zum Teil unverblümt zugegeben wird, sollte sich an die gesetzgebenden Organe, also insbesondere die zuständigen Parlamente wenden.

Genau dies, so der Vorwurf, machen aber die erwähnten Gerichte, trotz der wiederholten Beteuerungen der Wahrung der Gewaltenteilung. Im Fall Urgenda verschärft der Hoge Raad das niederländische CO2-Reduktionsziel auf 25 % bis 2020, während die niederländische Regierung sich zuletzt nur auf 20 % geeinigt hatte. Im BVerfG-Urteil zum Klimaschutzgesetz wird die Regierung zur faktischen Verschärfung ihres Klimaplans gezwungen und gleichzeitig ein subjektives Recht zur Einklagung von Klimaschutz geschaffen.

Noch weitreichender ist die Entscheidung im Fall Milieudefensie. Hier interpretiert das Bezirksgericht eine offene Sorgfaltsregelung des niederländischen Zivilrechts so, dass sich daraus eine faktische Bindung von Unternehmen an das Pariser Klimaabkommen ergibt. Daraus erwächst dann die Verpflichtung von Shell, seine CO2-Emissionen bis 2030 um 45 % zu senken. Für viele Jurist*innen ist dies keine zulässige Rechtsauslegung mehr, sondern schon verbotene Rechtsfortbildung durch Gerichte.

Menschenrechte und Klimaschutz – (K)ein klarer Fall?

Klimapolitik durch die Gerichte ist dabei gleich mehrfach problematisch. Die Beurteilung von politischen Entscheidungen durch Gerichten führt nicht nur zu einem Legitimationsproblem, sondern hat auch schwerwiegende Auswirkungen für die einzelnen Bürger*innen: Fordert ein Gericht schärfere Klimaziele, bedeutet dies in der Konsequenz direkt auch, dass andere Interessen der Bürger*innen zurückgestellt werden müssen. Die von der Bevölkerung gewählten Parlamentsabgeordneten haben dabei grundsätzlich ein besseres Gespür für die Bedeutung der verschiedenen Interessen, da ihnen auch explizit die Aufgabe der Interessenvertretung der Wähler*innen zukommt. Auch sind die parlamentarischen Entscheidungen vom Bürger*innen durch Wahlen kontrollierbar, während verfassungsgerichtliche Entscheidungen nur schwer revidierbar sind.

Auch überzeugt die grund- und menschenrechtliche Konstruktion von Klimaklagen und -urteilen nicht jeden. Anders als traditionelle Grundrechtseingriffe, wirken Treibhausgasemissionen und ihre Auswirkungen in komplexer Weise neben anderen umweltlichen und sozialen Faktoren, was eine Verantwortungszurechnung für die Bedrohung einzelner Menschenrechte nur schwer möglich macht. Dies wird weiter dadurch erschwert, dass die negativen Konsequenzen der schädlichen Emissionen für das Klima erst Jahre und Jahrzehnte später Wirkung zeigen.

Ähnlich kritisch wird auch die Forderung betrachtet, Menschenrechte klimapolitisch aufzuladen oder sogar ein Menschenrecht auf Umweltschutz einzuführen. Die Forderung von Klimaaktivist*innen, Stimmen in der juristischen Literatur und selbst UN-Berichterstatter John Knox und David Boyd fand in letzter Zeit mehr und mehr Zuspruch. Erst kürzlich nahm auch der Schriftsteller und Jurist Ferdinand von Schirach das Recht in seinen Forderungskatalog nach neuen europäischen Grundrechten auf. Ein solches Anliegen mag zwar politisch gewünscht sein, entspricht aber nicht der jetzigen Rechtslage.

Mit diesen ,,Klimaklagen“ drohen auch weitere Fallstricke. Denn sowohl nationale als auch internationale Gerichte entscheiden nur über die Klimaschutzmaßnahmen einzelner Staaten. Natürlich stimmt es, dass die globale Dimension der Klimakatastrophe nicht einzelne Akteure von ihrer anteiligen Verantwortung entbindet. Erforderlich ist aber ein weltweit effektives und kohärentes Vorgehen gegen den Klimaschutz. Insbesondere Klagen gegen einzelne Unternehmen eignen sich zwar gut für eine Dämonisierung und symbolische Siege, können aber nicht alleine die erforderliche Umstellung unserer Wirtschaften und den solidarischen, globalen Kraftakt des Klimaschutzes leisten.

Die Gerichte ziehen ihre Regierungen zur Verantwortung

Diese Mahnungen und Warnungen sind wichtig und enthalten zum Teil auch berechtigte Argumente. Allerdings muss bei diesem Vorwurf der ,,gerichtlichen Klimapolitik“ genau betrachtet werden, was die Urteile eigentlich aussagen. Und dabei hilft zunächst einmal festzustellen, dass sie wiederholt erhebliche Teile der Forderungen der Kläger*innen ablehnen. Entgegen dem Ersuchen der Kläger*innen erkannte das irische Supreme Court keine Verletzung von Menschenrechten der Europäischen Menschenrechtskonvention oder der irischen Verfassung und verneinte auch die Existenz eines „Rechts auf Klimaschutz“.

Weder aus der Entscheidung des Hoge Raad, des Bundesverfassungsgerichts noch aus der Entscheidung des Conseil d’Etat entspringt eine Verpflichtung zur Ergreifung konkreter klimaschützender Maßnahmen. Wie die Regierungen ihre klimapolitischen Ziele erreichen, liegt auch nach diesen Entscheidungen weiter in ihrem Ermessen.

Was die Entscheidungen aber alle beinhalten, ist eine Erinnerung der Regierungen an ihre selbst gesetzten Klimaziele. Sie alle haben das Pariser Klimaabkommen von 2015 unterzeichnet und sich wiederholt öffentlich und in Gesetzgebungsakten zu diesen Klimazielen bekannt. In Deutschland ist der Klimaschutz mit Art. 20a GG sogar in der Verfassung verankert. Hier besteht kein Gewaltenteilungsproblem, sondern vielmehr eine Erinnerung der Politik an ihre durch die Klimaziele übernommene Verantwortung. Die Gerichte prüfen nun nur, ob diese Bekenntnisse auch tatsächlich effektiv und wissenschaftsbasiert eingehalten würden. Wie Klimaaktivist*innen oft vortragen: Unser Haus brennt! Die Gerichte schauen nun nur, ob die beauftragte Feuerwehr auch ihren Job gut macht.

Natürlich sind auch nicht alle Entscheidungen in ihrer Argumentation überzeugend. Insbesondere die Entscheidung Milieudefensie scheint die Grenzen des geltenden Rechts mit der Verpflichtung eines privaten Unternehmens an Klimaziele des Pariser Klimaabkommen zu überdehnen. Selbst Befürworter*innen der Entscheidung geben zu, dass hier unbestimmte Privatrechtsnormen für die Vorantreibung politischer Ziele verwendet werden.

Allerdings sind diese einzelnen Bedenken kein Argument, die selbstgesetzten rechtlichen Verpflichtungen zum Klimaschutz einzelner Länder nicht kontrollieren zu lassen. Dies gilt auch insbesondere deswegen, weil ,,Klimaklagen“ gleichzeitig auch eine Möglichkeit bieten, Druck auf die Politik auszuüben und das Thema erneut in den Mittelpunkt der öffentlichen Debatte zu rücken. Die Justiz als Teil der öffentlichen Gewalt ist dabei nur ein weiteres Forum, in dem innerhalb der rechtsstaatlichen Grenzen über die Reichweite von Klimamaßnahmen verhandelt werden darf.

Klimaschutz als Menschenrechtsfrage

Ein weiterer Vorzug der Klimaschutzklagen ist, dass sie ein framing von Klimaschutz als essenzielle Grund- und Menschenrechtsfrage ermöglichen. Während Klimaschutz traditionell aus der Umweltschutzperspektive betrachtet wird, ermöglicht ein Fokus auf die beeinträchtigten Freiheitsrechte jetziger und zukünftiger Generationen eine noch umfassendere Perspektive. So bedrohen die Konsequenzen der Erderwärmung die anerkannten Rechte auf Leben, körperliche Unversehrtheit, Ernährung, Eigentum und einen Mindestlebensstandard, insbesondere auch für Personen im Globalen Süden und andere besonders vulnerable Gruppen wie BIPoC und Menschen in Armut. Die erste Hälfte des Jahres 2021, mit einer vermehrten Fülle an Naturkatastrophen, von Hitzewellen bis Jahrhundertfluten, machte die Gefahren der voranschreitenden Klimakatastrophe noch einmal erdrückend deutlich. Klimaschutz ist deswegen auch Menschenrechtsschutz.

Natürlich ist die Beziehung von Klimaschutz und Menschenrechten komplex. Allerdings lässt sich ein klarer Zusammenhang zwischen den beiden nicht wegdenken. Staaten haben eine Schutzpflicht bezüglich der von ihnen anerkannten und gewährleisten Rechte. Weil diese Rechte durch die schwerwiegende und komplexe Gefahr des Klimawandels umfassend bedroht sind, kommt den Staaten eine Verpflichtung zur Eindämmung des Klimawandels zu. Deshalb sind diese Klagen auch ein wirkmächtiges Werkzeug, um für die herzzerreißenden Auswirkungen des Klimawandels zu sensibilisieren.

Klimaklagen als Teil einer größerer Bewegung – mit historischen Vorbildern

Eine solche Integration von Klagen in breitere Kampagnen zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung, kann nachhaltig für Veränderung sorgen. Unter dem Stichwort Strategic Litiation werden, insbesondere auch in den USA und im Vereinigten Königreich, Klagen als strategisches Element eingesetzt, um bei Versagen von Politik, gesellschaftliche Veränderung voranzutreiben. Die amerikanische Bürgerrechtsbewegung der 1950er und 1960er Jahre hat mit ihren Klagen gegen diskriminierende Segregationsgesetze, die in der historischen Supreme Court – Entscheidung Brown v. Board of Education 1954 mündeten, wichtige Grundsteine für die später folgenden Erfolge der Bürgerrechtsbewegung gelegt. Genauso haben strategische Klagen wichtige Meilensteine in der Frauenrechtsbewegung erwirkt. Auch bei der existentiellen Klimakrise können sie, gemeinsam mit öffentlichem Druck der Zivilgesellschaft, weitere Veränderung anstoßen.

Gerichte als zielführendes Forum für mehr Klimaschutz?

Fest steht, dass Klimaschutz eine Aufgabe für die gesamte Gesellschaft ist. Mehr Klimaschutz kann nicht nur in den Gerichtssälen erkämpft werden. Entscheidend kommt es auf die Bereitschaft und Unterstützung der Bevölkerung für eine radikalere Klimaschutzmaßnahmen an. Zwar können Klimaklagen und die angesprochenen Urteile dabei helfen, die nationalen Regierungen und die Öffentlichkeit wachzurütteln und gleichzeitig an die eigenen Klimaziele zu erinnern. Die entscheidende Veränderung wird aber in demokratischen Prozessen im Parlament erstritten. Klimaklagen alleine treten nicht nur berechtigte juristische Zweifel entgegen, sondern auch Legitimationsprobleme.

Insgesamt sind diese Klagen und Verfahren damit vor allem eines: Ein Symptom einer gescheiterten Klimapolitik der vergangenen Jahrzehnte, ein Unterschätzen der Klimakatastrophe, das insbesondere jüngere Menschen desillusioniert zurückgelassen hat. Letztlich kann man nur hoffen, dass die Regierungen Europas dadurch endlich an ihre nationale und internationale Verantwortung erinnert werden und endlich eine mutigere, radikalere Klimapolitik betreiben. Die Zeit drängt.

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