Europas Juristen – Zwischen Integrationswillen und Selbstüberschätzung

, von  Jonas Botta

Europas Juristen – Zwischen Integrationswillen und Selbstüberschätzung
Die Kolumne „Wir in Europa“ erscheint jeden Sonntag auf treffpunkteuropa.de. Autoren berichten im Wechsel über ihre persönlichen Erlebnisse mit der EU, was es bedeutet, Europäer zu sein und welche Ängste und Hoffnungen sie mit der Gemeinschaft verbinden. Foto: © European Commission / 2004

Die Bologna-Reform hat die juristischen Fakultäten zwar noch nicht erreicht, dennoch sind sie Ziel für viele international ausgerichtete junge Menschen. Sie übernehmen viel Verantwortung für die zukünftige Entwicklung der EU.

Auswärtiges Amt oder internationale Organisation – das sind die am häufigsten genannten Berufswünsche von Erstsemestern der Rechtswissenschaft. Je internationaler desto besser. Unabhängig davon, wie viele einstige Studienanfänger tatsächlich im Bereich der internationalen Zusammenarbeit tätig werden, Jura scheint für die Studierenden eine Entscheidung zu sein, die sie für eine internationale Laufbahn vorbereiten soll. Ist das nicht paradox? Ein Studium, welches sich wie wenig andere mit nationaler Materie - dem deutschen Recht - auseinandersetzt, zieht Menschen an, die eben nicht nur im Rahmen eines Nationalstaates denken wollen.

Die Rechtwissenschaft ist europäischer als ihr Ruf

Die nationale Gesetzesordnung stellt zwar den wichtigsten Schwerpunkt im Studium dar, doch die vergleichende Rechtsmaterie gewinnt zunehmenden an Bedeutung. Viele juristische Fakultäten bieten neben dem Erasmus-Programm transnationale Studienmodule und länderübergreifende Studiengänge an, um so die Studierenden zu fördern, die ihren juristischen Blickwinkel erweitern wollen. Auch ich bin Student der Rechtswissenschaft. Aber warum habe ich mich für Jura entschieden und nicht etwa für Internationale Beziehungen oder vergleichbare Alternativen, die wesentlich freier und interdisziplinärer als die Rechtswissenschaft sind?

Ein System von Rechten und Pflichten ist eine wichtige Grundlage des Zusammenlebens. Je größer die Gemeinschaft, desto notwendiger sind allgemeingültige Normen und desto umfangreicher gestaltet sich die gemeinsame Rechtsordnung. Das gilt für Nationalstaaten wie auch supranationale Organisationen. Das Unionsrecht bietet dabei das rechtliche Gerüst, indem sich die EU und ihre Bürger weiterentwickeln können. Daraus ergibt sich ein Bedarf an Juristen, die europäisch denken und handeln. Jura ist damit europäischer als viele denken.

EuGH-Vorlage: neue Stufe des europäischen Rechtssystems?

Insbesondere auf dem deutschen Bundesverfassungsgericht lastet eine große Verantwortung in Bezug auf die europäische Idee. Dessen Rechtsprechung hat den Anwendungsvorrang des Unionsrechts und die Auslegungshoheit des Europäischen Gerichtshofs in weiten Teilen anerkannt, solange die Union selbst einen ausreichenden Grundrechtsschutz leistet. Als Karlsruhe Anfang Februar verkündete, mehrere Fragen in Zusammenhang mit der Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) und des Fiskalpakts zur Vorabentscheidung erstmals dem EuGH vorzulegen, sprachen viele von einem bedeutenden Schritt für die europäische Rechtsordnung.

Als Student des Europäischen Rechts müsste ich mich eigentlich über diese Entwicklung freuen. Erst im vergangenen Dezember habe ich an einer Simulation des EuGH zum Sachentscheid zur Vorratsdatenspeicherung teilgenommen. Doch ich blicke mit Sorge auf das deutsche Verfahren, das zur Vorlage geführt hat.

Darin wenden sich die Parteien insbesondere gegen die Mitwirkung der Deutschen Bundesbank an der Umsetzung des EZB-Beschlusses zum unbeschränkten Ankauf von Staatsanleihen (Technical features of Outright Monetary Transactions (OMT)) und das Nichthandeln des deutschen Gesetzgebers in Folge dessen. Ziel ist dabei die Gewährleistung der gemeinsamen Währungspolitik. Bis heute ist der OMT-Beschluss aber nicht verwirklicht worden.

„In dem Bemühen, die Herrschaft des Rechts zu sichern, kann ein Gericht die Grenzen richterlicher Kompetenz überschreiten.“

Unabhängig von der Bewertung des Sachverhalts ist für mich die gesetzliche Grundlage der Verfassungsbeschwerde strittig. Mit dem Zulassen der Beschwerde gegen den OMT-Beschluss aufgrund einer möglichen Verletzung des Art. 38 I GG kreiert das Bundesverfassungsgericht sowohl eine verfassungsgerichtliche Kontrolle der Unionsorgane als auch einen Anspruch auf Tätigwerden der Bundesorgane, begründet auf dem deutschen Wahlrecht. Diese Rechtsinstrumente schaden in ihrer Konsequenz der europäischen Integration durch die niedrigschwellige Beschwerdezulässigkeit und untergraben den demokratischen Prozess der Meinungsbildung im Bundestag durch eine Einschränkung seines Rechts auf Selbstbefassung. Die Bundesverfassungsrichterin Gertrude Lübbe-Wolff hat dazu treffend in ihrer Stellungnahme klargestellt: „In dem Bemühen, die Herrschaft des Rechts zu sichern, kann ein Gericht die Grenzen richterlicher Kompetenz überschreiten.“ Über den OMT-Beschluss und die Ziele der europäischen Währungspolitik muss der Gesetzgeber als Repräsentanz der Bevölkerung entscheiden und nicht allein die Justiz. Denn manchmal überschätzen wir Juristen unser Gewicht – auch dessen muss sich der Jura-Student bewusst sein.

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