Europas neue tödliche Außengrenze: Tunesien

, von  Ramona Schnall

Europas neue tödliche Außengrenze: Tunesien
Die letzten Jahre haben die europäische Migrationspolitik durch Tragödien an den Grenzen der EU ausgezeichnet. Bildquelle: Pexels | Ahmed akacha | Pexels Lizenz, Zugriff über Canva Pro | bearbeitet mit Canva Pro | Canva Pro Lizenz

Die EU steht kurz vor der Migrationsreform, die auch zur Externalisierung der europäischen Außengrenzen führt. Tunesien ist eines der Länder, in denen sich diese Externalisierung auf düstere Weise abspielt - was die Frage aufkommen lässt, wie viel der EU die Menschenrechte noch wert sind.

Wir schreiben Sommer 2025. Das bedeutet nicht nur europaweit graues Regenwetter, sondern auch die finale Absegnung des neuen Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, auch bekannt als GEAS-Reform, das bereits im Vorjahr beschlossen wurde. Sie stellt die größte Asylrechtsverschärfung der letzten 30 Jahre dar. Zentrale Punkte der Reform sind ein beschleunigtes Abschiebeverfahren an den Außengrenzen Europas durch Asylzentren an Flughäfen und eine Umverteilung von Flüchtlingen unter den Mitgliedstaaten. Das sind Punkte, die jedoch von Europas besonderem Augenmerk, der Verstärkung der Externalisierung des Grenzschutzes hin zu Drittstaaten, überschattet werden.

Die Externalisierung der europäischen Außengrenze ist kein Prozess, den erst die GEAS-Reform angestoßen hat. Seit den 1990ern entfaltet er sich in EU-Mitgliedstaaten. Unter der GEAS-Reform jedoch heißt Externalisierung der EU-Außengrenze vermehrte finanzielle Kooperationen mit autoritären Staaten , die die Anzahl der flüchtenden Menschen, der Ertrinkenden, verringern, indem sie sie in der Wüste sterben lassen.

Finanzspritze für den Tod

Die letzten Jahre haben die europäische Migrationspolitik durch Tragödien an den Grenzen der EU ausgezeichnet: Mensch erinnere sich nur an die Unzahl von Ertrunkenen im Mittelmeer oder an den Brand des Flüchtlingslagers in Moria. Anstelle jedoch Politik für sichere Meeresüberquerung zu gestalten, führten diese Toten dazu, dass die EU von 2021 bis 2027 einen Finanzrahmen von 28,2 Milliarden € für Migration, Grenzmanagement und Sicherheit einplant. Das sind 2,6 % des EU-Gesamthaushalts 2021 bis 2027, um Menschen von den EU-Grenzen fernzuhalten.

Spezifisch für den afrikanischen Kontinent wurde der Emergency Trust Fund for Africa entworfen, der für Tunesien, Marokko und Mauretanien über 400 Millionen € finanzielle Unterstützung im Zeitraum 2015 bis 2021 umfasst.

Tunesiens gesponserter Rassismus

Ein Staat, der unter der GEAS-Reform und seiner vorgesehenen finanziellen Unterstützung besonders profitiert, ist Tunesien. Dieser hat 105 Millionen € für Migration und 164,5 Millionen € für Sicherheitskräfte zugesagt bekommen. Geld, das von der EU an einen Autokraten verteilt wurde, ohne es an Transparenz der Verwendungszwecke oder die Bedingung, Menschenrechte zu achten, zu binden.

Seit dem Arabischen Frühling 2011 und der kurzen Demokratisierungswelle sieht der arabische Raum, wie auch in Europa, ein Erstarken von autoritären Staaten. In Tunesien wurde 2023 der rechte Präsident Kais Saied wieder gewählt und mit ihm ein rassistischer Diskurs, der klar zwischen “weißen” Tunesier*innen und migrantischen und flüchtenden Menschen aus klimakatastrophen- oder kriegsgezeichneten Ländern wie dem Sudan unterscheidet.

Schwarze migrierende und flüchtende Menschen drohen laut Saied, die weißen Tunesier*innen zu ersetzen. Ein Bevölkerungsaustausch-Diskurs, der an die Rhetorik der europäischen Rechten erinnert. Und der sich in der Praxis zeigt, migrierende Menschen Mietverträge zu kündigen, sie aus Cafés zu werfen und sie von tunesischer Polizei von der Straße klauben zu lassen, um sie in der Wüstenregion nahe der algerischen oder libyschen Grenze auszusetzen.

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Entmenschlichung made in der EU

Die klaren rassistischen Sentimente gegenüber flüchtenden und migrierenden Menschen der tunesischen Regierung kommen der EU mit ihrer Migrationspolitik jedoch nicht ungelegen, erklärt Kerem Schamberger, Vertreter der Menschenrechtsorganisation Medico International. Es öffnet den Weg für den von der Türkei inspirierten Deal: EU-Gelder im Austausch dafür, dass tunesische Soldat*innen Menschen in Bewegung Menschen fern des EU-Ufers halten.

Ein Teil des Geldes von europäischen Steuerzahler*innen landet in Booten und Drohnen, um so Menschen in Schlauchbooten vom Meer zu klauben, und in Camps in den Olivenhainen um Sfax zu stecken. Der andere Teil füttert Soldat*innen, die, so häufen sich die Berichte, Gewaltexzesse an Menschen in den Camps verüben, foltern und sexuell misshandeln. Laut einem Bericht von The Guardian wurden in den 18 Monaten vor 2023 mehrere hundert Frauen von europäisch finanzierten Soldaten systematisch vergewaltigt.

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Die Lage in den Camps zeigt, dass europäisches Geld nicht verwendet wird, um die Situation für flüchtende Menschen sicher zu gestalten. Sonst würden Menschen dort nicht bei 40 Grad im Busch Kinder ohne Nachversorgung gebären und somit dem Tode sicher sein, oder überfahrene Tiere essen müssen. Sonst würde man der UNHCR, die Flüchtlingsorganisation der UN, die für Medizin und Grundnahrungsmittel sorgt, ihre Arbeit erleichtern und nicht wie die tunesische Regierung die Organisation bannen.

Hinzu kommt, dass die Camps von der tunesischen Regierung in regelmäßigem Abstand geräumt und immer wieder in unmittelbarer Umgebung aufgebaut werden. Motiviert auch von den Geldern der EU und der GEAS-Reform, die den Druck erhöht, das Flüchtlingsthema endlich “nachhaltig” zu lösen.

Warum der dritte Teil der EU-Gelder in Wüstentote investiert und wie Faschismus dem Migrationsdiskurs bedient, lest ihr im Teil zwei.

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