Das Ende des Anfangs
Ich hebe meine Hand. Shirin Wheeler steht mit einem Mikrofon vor meinem Pult. Sie macht das Publikum darauf aufmerksam, dass sich an jedem Sitzplatz ein eigenes kleines Mikrofon befindet, bietet aber an ihres kurz auszuleihen. Ich nehme ihr Mikrofon an mich. Ich spiele auf den Vortrag von Ulrike Guérot an und widerspreche der Einschätzung, dass Kommunikation in einer europäischen Res Publica, die sich um die Bürger kümmert überflüssig wäre: „Wir haben zwar eine Res Europea, also eine europäische Aufgabe, aber uns fehlt eine Publica Europea, also eine gesamteuropäische Öffentlichkeit!“ In weiteren Ausführungen betone ich die Wichtigkeit paneuropäischer, mehrsprachiger Massenmedien und bemängle, dass es sie nicht gibt. Shirin Wheeler möchte wissen wer ich bin. Ich stelle mich vor und erwähne, dass Treffpunkteuropa das Onlinemagazin der deutschen JEF ist. Später tippt mir ein Mann, der hinter mir sitzt auf die Schulter. Roberto Castaldi stellt sich als Europäischer Föderalist aus Italien vor und steckt mir sein Visitenkärtchen zu.
Die EuroPCom 2016 ist ein zweitägiges Event. Neben der zweistündigen Einführungsveranstaltung, bietet sie diverse Workshops. Eigene Programmpunkte sind eingeplant, um das Netzwerken der Teilnehmer untereinander anzuregen. In den Räumlichkeiten des Europaparlaments findet lediglich die Eröffnungssitzung statt. Für alle weiteren Veranstaltungen muss man sich in das Jacques Delors Gebäude des Europäischen Ausschusses der Regionen begeben. Ich bin zum ersten mal im politischen Zentrum der europäischen Hauptstadt und habe keine Ahnung wo das ist. Meine Sitznachbarin ist eine junge Praktikantin aus Bulgarien. (Überhaupt - warum begegne ich immer Bulgarinnen?) Sie ist ebenfalls für den Workshop zu Open Data eingetragen und bietet an, mir den Weg zu zeigen. Nach der Überwindung einer dieser schrecklichen automatischen Drehtüren, marschieren wir über die Solidarnosc Esplanade in die Belliardstraße. Unterwegs klärt sie mich auf: „Der Ausschuss der Regionen hat leider keine legislative Macht, sondern ist eher ein rein beratendes Organ.“ Aber sie hält es für eine der oder vielleicht sogar die „interessanteste europäische Institution“. Sie trifft auf Freundinnen. Ich verliere den Anschluss und schlendere ein wenig desorientiert über die Rue Belliard bzw. Belliardstraat. Vor dem Gebäude mit großen Fenstern steht ein martialisch aussehender Soldat oder Polizist mit Maschinengewehr oder „Maschinenkarabiner“. Zu meiner Irritation lächelt er, begrüßt mich freundlich und weist auf die Tür. Drinnen warten die Sicherheitsleute in Anzügen. Erst mal muss ich wieder Gürtel, Handy und Portemonnaie ablegen und durch die Metalldetektoren.
Netzwerken zum Mittag
Zur Mittagszeit steht ein „Networking Lunch“ auf dem Programmplan. Mein Magen befiehlt mir es aufzusuchen. Mein Gehirn pflichtet ihm bei. Nach einem kurzen umher irren lande ich im Fahrstuhl und danach im fünften Stock. Ich finde das Atrium. Dort sind Tische mit Brötchen Wraps, Kantinendesserts und Getränken aufgebaut, sowie Stehtische für die Gäste. Ich hole mir etwas und stelle mich an den Tisch zu zwei jungen Frauen. Eine scheint eine Mitarbeiterin von der EuroPCom zu sein. Sie bittet mich einen Feedback-Fragebogen auszufüllen. Sie ist blond und aus der Türkei. Sie fragt mich wie meiner Meinung nach die meisten Europäer einem EU-Beitritt der Türkei gegenüber stehen. Ich teile ihr mit, dass ich befürchte, dass die mehrheitliche Stimmung eher dagegen ist, zumindest im Hinblick auf die Regierung Erdogan. Wir reden noch ein wenig über Politik, danach muss sie weitere Leute befragen.
Die andere junge Dame ist Francesca Ganna, aus Cagliari, der Hauptstadt von Sardinien. Als ich das höre erkläre ich ihr, dass ich bereits mehrmals auf Sardinien und erst kürzlich im Sommer auch in Cagliari war. Wir amüsieren uns darüber wie klein die Welt ist. Sie übergibt mir eine Visitenkarte von „europartners“ und ich werbe ein wenig für Treffpunkteuropa.de und Eurobull.it. Danach schaue ich mich noch ein wenig um, muss mich dann aber auf den Weg machen, bevor mein erster Workshop beginnt.
Work-Shopping
Es ist mir nicht möglich alle Veranstaltungen zu besuchen, da viele Workshops gleichzeitig stattfinden. Thematisch decken die Arbeitsgruppen Themen von Migrationskrise, über regionale Förderung, bis hin zu Kommunikationsstrategien ab. Außerdem gibt es noch ein Happening mit dem interessanten Namen „Ideenlabor“, das ich leider versäume. Aufgrund der hohen Anzahl an Teilnehmern musste man sich bereits lange im Vorfeld für die einzelnen Veranstaltungen anmelden und musste dann schauen, für welchen die Registrierung erfolgreich war. Mein erster Workshop thematisiert „Open Data, transparency and citizens’ participation: EU and local projects“.
Der Raum JDE52 im Jacques Delors Gebäude wirkt in Relation zum Ort der Eröffnungssitzung klein. Jedoch auch hier sitzen die Zuschauer auf Bankreihen, die an das Europaparlament erinnern. An jedem Sitzplatz befinden sich kleine Mikrofone und Kopfhörer, durch die man eine Übersetzung der Vorträge erhalten kann. Im Gegensatz zur Eröffnungssitzung gibt es Übersetzungen bei den Workshops aber nur auf Englisch und Französisch. Ein frisches Glas und je eine Flasche Wasser stehen an jedem Bankplatz. Moderator Anthony Locket arbeitet für die Europäische Kommission in den Bereichen Open Data, Transparenz und „social control“. Tanja Lahti betreut den regionalen Open-Data-Dienst „Helsinki Region Infoshare“. Pavol Lacko aus der Slowakei deckt für die „Fair-Play-Alliance“ verschwenderische und unethische Aktivitäten im öffentlichen Sektor auf. Simone De Luca analysiert für OpenCoesione die regionale Förderpolitik der Europäischen Union bzw. der Italienischen Republik. Weijer Vermeer ist Kommunikationsberater für digitale und öffentliche Diplomatie des niederländischen Außenministeriums.
Alle Gäste stellen in kurzen Vorträgen ihre Projekte vor, die sich alle in irgendeiner Form mit Transparenz und öffentlich zugänglichen Daten beschäftigen. Lahti betont die Wichtigkeit von offenen Lizenzformaten, wie Creative Commons und Lacko hält fest, dass Open Data lediglich den Beginn einer Aufklärungskampagne darstellt. De Luca erzählt von Projekten, die schwerpunktmäßig in Süditalien versuchen, Bürger über Kohäsionsfonds und deren Auswirkungen aufzuklären. Diese funktionieren in dieser Reihenfolge über Transparenz, Interesse und aktive Beteiligung der Bürger. Sie berichtet über konkrete Schulprojekte oder ein Bürgerbeteiligungsprojekt im Hinblick auf die öffentlichen Verkehrsmittel in Palermo. Vermeer spricht über seine Erfahrungen mit „Nichtkonferenzen“ (unconference / non-conference), wie dem „Transparency Camp Europe“. Die Idee dahinter ist schlicht eine Konferenz ohne Agenda oder festes Programm. Die Besucher bestimmen durch ihre aktive Teilnahme den Verlauf und den Ausgang der Nichtkonferenz. Das ist das Stichwort. Jetzt soll das Publikum fragen stellen, Anmerkungen einbringen und diskutieren. Und da ist man auch schon beim Problem des ersten Workshops. Die aktive Teilnahme der Besucher hält sich eher in Grenzen. Im großen und ganzen wirkt die Veranstaltung weniger wie ein Workshop und mehr wie eine Miniaturversion der Eröffnungssitzung, mit stärkerem Themenfokus und ein wenig mehr Publikumsbeteiligung. Ein Mann aus Afrika fragt was „Open Data“ überhaupt ist. Die Frage mag einigen banal vorkommen, aber ich glaube, dass es auch andere gibt, die sich nur nicht trauen sie zu stellen. Bei der Beantwortung wird auch mir klar, das es bei Open Data eben auch um konkrete, technische Details geht, wie benutzerfreundliche, auswertbare Dateiformate.
Ich muss ein Stockwerk höher, in den Raum JDE62, zum Workshop „Creating effective Campaigns“. Ich betrete einen ähnlich aussehenden Raum, mit anderen Leuten. Melanie Kitchener moderiert diesen Workshop. Dave Worsell, der erste Redner, trägt direkt dick auf: „Das hier ist der beste Workshop, den ihr bei der EuroPCom besuchen werdet!“ Sein Thema sind die Kommunikationsherausforderungen für Regierungen, wie der britischen, in Zeiten „klammer öffentlicher Kassen“, „wachsender Bürgererwartungen“ und des „technologischen Wandels“. Seine Formel für einen erfolgreichen „Ausgang“ ist eine Botschaft addiert mit Engagement, multipliziert mit der Reichweite. Der quirlig und verspielt auftretende Eddie Coates-Madden wirkt mehr wie ein Stand-up Comedian. Er hebt die Bedeutung von sozialen Medien hervor, im Gegensatz zur passiven Natur von eigenen Webseiten. Eine Botschaft für alle Menschen zu haben sei heutzutage „out“, stattdessen muss man verschiedene Botschaften für verschiedene Zielgruppen anbieten. Wichtig ist auch die Messbarkeit der Ergebnisse bzw. Reichweite einer Kampagne. Sein Erfolgsrezept basiert auf: Prioritäten setzen bei Aktionsaufrufen, Personalisierung der Inhalte, Optimierung der Nutzererfahrung, Humor, Bilder mit Relevanz für die Zielgruppe.
Auch Nina Hotti von der Europäischen Kommissionsvertretung Helsinki gibt Tips, wenn auch auf eine weniger unterhaltsame Art: „Gut geplant ist halb getan.“ „Die richtige Wahl der Partner ist wichtig.“ „Identifiziere die Zielgruppe“. „Habe eine klare Botschaft.“ „Nutze die Sprache der Zielgruppe.“ „Tue unerwartetes.“ „Analysiere die Plattformen (Twitter, Instagram, Facebook) und passe dich an.“ Nun redet Milko Van Gool über seine Arbeit für internationale Kooperation und Entwicklung bei der Kommission. Ihm ist wichtig, dass bei der Aufklärung über Entwicklungshilfe junge Menschen erreicht werden. Er verweist dabei auf Initiativen wie Jugendbotschafter und lobt die journalistischen Methoden des berühmten Ryszard Kapuściński. Menschen in den Mittelpunkt zu rücken, Geschichten zu erzählen und Mehrsprachigkeit seien dabei nicht zu unterschätzen.
Das Ende eines langen Tages
Zum Abschluss geht es nochmal zurück ins Atrium zum Netzwerken mit Weinempfang. Ich tigere ein wenig umher durch die Menschengrüppchen, bis mir ein Kellner slowenischen Wein anbietet. Es gibt roten und weißen. Ich kann mich nicht entscheiden und probiere beide. Ein junger Mann steht allein in der Ecke herum. Ich spreche ihn an: „Was machst du? Wo bist du her? Wie läuft das Netzwerken?“ Er ist aus Mazedonien, hat aber bisher noch nicht mit vielen Leuten gesprochen. Ich spreche zwei junge Ibererinnen an, die vor uns stehen. Beide arbeiten für Vote Watch Europe. Liliana Mendes Cunha stammt aus Portugal, ihre Freundin von der Kanarischen Insel Teneriffa. Wir vier tauschen uns ein wenig über unsere Aktivitäten aus. Liliana gibt mir ihre Karte - Anmerkung: Treffpunkteuropa sollte wirklich mal Visitenkarten an „Mitarbeiter“ verteilen. Nach weiteren Gesprächen mit Norbert Hohn vom Publications Office der EU und einem Grüpchen von Finnen um Nina Hotti bittet uns das Personal höflich uns langsam zu gehen. Beim verlassen des Gebäudes unterhalte ich mich mit einer Chinesin, die in meiner Heimatstadt Karlsruhe studiert hat - so viel zur kleinen Welt.
Freitag Vormittag
Es ist Freitag morgen und ich habe mein Gepäck mit ins Jacques Delors Gebäude geschleppt, da ich direkt nach den Workshops meinen Zug am Bahnhof Bruxelles-Midi erwischen muss. Ich bin spät dran zu „What’s next? Video beyond YouTube“. Als ich den Raum betreten will steht ein junger Mann im Anzug davor. Er weißt mich darauf hin, dass es bereits sehr voll ist und ich keinen Sitzplatz mehr bekommen werde. Ich sage ihm, dass ich mich einfach auf mein Gepäck setzen werde. Ich betrete den extrem gut gefüllten Saal JDE53. Es gibt nur zwei Redner: Diarmaid Mac Mathúna und Gauthier Bas. Gefühlte drei Viertel des Publikums sind weiblich. Wenn die beiden Männer auf dem Podium nicht wären, müsste ich „Beyond YouTube“ für eines von diesen Frauenthemen halten. In der letzen Sitzreihe, zwischen einer Gruppe von Frauen sehe ich einen verlassenen Sitz, der auf mich gewartet zu haben scheint. Mac Mathúna erläutert uns die „6S“: Start, silent, short, strong, style, shareable. Bei „start“ geht es darum, dass ein Video sofort aufmerksamkeit erregt. Stumme Videos mit Untertiteln werden länger betrachtet. Die restlichen S sollten klar sein. Wir betrachten drei sehr unterschiedliche komerzielle oder Videos mit Botschaft und sollen mit Hilfe von grünen Daumen-rauf- und roten Daumen-runter-Kärtchen signalisieren, welche der „S“ bei den jeweiligen Videos gut gelungen und erfüllt sind. Später bilden wir kleine Arbeitsgruppen von je 5 Leuten und beurteilen weitere Videos im Hinblick auf andere Erfolgskategorien. Das fühlt sich tatsächlich nach „Workshop“ an.
Ich bin wieder in JDE52. Ich erblicke Roberto Castaldi, den Föderalisten, der mir gestern in der Eröffnungssitzung seine Karte gegeben hat. Ich grüße ihn und setzte mich neben ihn. „Let’s talk about Europe“ wird moderiert von Joachim Ott. Tanya Hristova präsentiert anhand von konkreten Beispielen, wie Regionen wie Zentralbulgarien von Kohesionspolitik abhängen. Andres Jaadla zeigt wie traditionelle Events für kleine Städte genutzt werden können, um Aufmerksamkeit zu gnerieren. Er bezeichnet das Konzept als „crazy city“. Das Video, das er einspielt erinnert an Grand Prix bzw. ESC-Volklore. Doch auch „smart city“ ist sein Thema. Dabei geht es um nachhaltige Energiegewinnung in kleinen Städten Estlands. Beim abspielen der Videos gibt es technische Probleme. Meine Aufmerksamkeit wandert zum "Drawnalist„, der wie bei den anderen Veranstaltungen zuvor,“In-the-Moment" Zeichnungen zu den präsentierten Inhalten anfertigt. Ursula Serafin hält ihren Vortrag auf Französisch. Die Direktorin vom Maison de l’Europe Paris beklagt sich über die Effektlosigkeit der EU Kommunikation der letzten 20 bis 40 Jahre. Es werden immer die gleichen Ziele Gesetzt, aber nie erreicht, Aufgrund der falschen Strategie. Auch Medienexperte Sjerp van der Vaart kritisiert die europäische Kommunikation hart: „Die Top-Down-Kommunikation der Institutionen funktioniert nicht. Sie wird schlicht als Propaganda und Verschwendung von Steuergeld wahrgenommen.“ Nun beteiligt sich auch das Publikum. Roberto Castaldi sieht die Schuld auch in der populistischen und schlechten Berichterstattung der nationalen Medien: „Die Europäsiche Union wird für viele Probleme verantwortlich gemacht, die die Nationalstaaten verursachen!“ Im Anschluss diskutiere ich mit van der Vaart meine Idee der paneuropäischen Medien. Ich weise auf das Versagen nationaler Medien im Falle der Eurokrise und des Brexits hin, aber er bleibt skeptisch. Er muss weiter und auch ich muss meinen Zug erwischen.
Fazit
Die EuroPCom war eine aufschlussreiche Veranstaltung, die ich wahrscheinlich im nächsten Jahr wieder besuchen werde. Natürlich war es interessant, das Gefühl des offiziellen brüsseler Politikbetriebs zu erahnen. Man hat nicht alle Tage die Gelegenheit einem Europaabgeordneten, wie Jo Leinen im direkten Gespräch, einfach mal dreist zu widersprechen. Die Workshops waren teils informativ, aber mit Sicherheit nicht das Highlight. Habe ich gelernt, wie man Europa besser kommunizieren kann? Vielleicht. Was aber definitiv bleibt, ist die Erfahrung und sind die Begegnungen bei den Diskussionen und beim Netzwerken, von denen manche vielleicht zu fruchtbaren Kontakten führen können. Und darum geht es doch letzlich bei Europa. Man begegnet Menschen, die einem eigentlich fremd sind, doch tatsächlich sind sie Geschwister im Geiste, mit denen man vielleicht gemeinsam etwas Großartiges aufbauen kann. Außerdem habe ich gelernt: Brüssel ist auch jenseits des Europaviertels immer eine Reise wert.
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