Ánna Andréjewna Achmátowa, die heute als eine von Russlands führenden Dichterinnen gilt, begann ihre literarische Karriere in den frühen 1900er Jahren in St. Petersburg. Dort arbeitete sie mit einer lose verbundenen Gruppe von Schriftsteller*innen zusammen, die sich als „Akmeisten“ bezeichneten - nach dem griechischen Wort ákmē, was „Spitze“ bedeutet. Dazu gehörten auch andere berühmte Dichter wie Ossip Mandelstam oder Nikolaj Gumiljow. Letzteren heiratete Achmátowa später. Diese Dichter*innen reagierten auf den den vagen, nachsichtigen Mystizismus der vorherigen Generation russischer Dichter*innen und etablierten einen neuen Standard klarer, imagistischer Schönheit, als das Silberzeitalter der russischen Buchstaben zu Ende ging.
Doch die russischen Revolutionen und die Entstehung der Sowjetunion veränderten alles: 1921 wurde Achmátowas Ehemann wegen des Verdachts der Beteiligung an einer antibolschewistischen Verschwörung hingerichtet. Andere akmeistische Schriftsteller*innen wurden später ins Exil geschickt, getötet oder in Arbeitslager geschickt, was zur Auflösung der Gruppe führte. Achmátowa entkam nur knapp der Verhaftung, aber ihr Sohn Lew hatte nicht so viel Glück: 1938 wurde er verhaftet und verbrachte die nächsten fünf Jahre im Gulag. Und auch Achmatowa selbst blieb stigmatisiert und wurde ausgiebig überwacht, ihre Bücher verboten. Dennoch verließ sie Russland nie, sondern zog es vor, in der Sowjetunion zu bleiben, anstatt wie so viele andere nach Paris oder Amerika auszuwandern. Für Achmátowa war der Verzicht auf ihre Freiheit der Preis, den sie zahlen musste, um in ihrem Heimatland zu bleiben.
Nach Stalins Tod wurde Achmátowas Ruf langsam rehabilitiert, bis zu dem Punkt, an dem sie sowohl von den sowjetischen Literat*innen geschätzt wurde als auch als inoffizielle Führerin der Dissident*innenbewegung galt. Dennoch blieben ihre wichtigsten Werke bis nach ihrem Tod 1966 unveröffentlicht. Ihr lyrischer Zyklus „Requiem“, in vielerlei Hinsicht ein Denkmal nicht nur für die Gefangenschaft ihres Sohnes, sondern für alle, die unter dem Stalinismus litten, wurde schließlich 1989 in Russland veröffentlicht. Einst vom Philosophen Jesaja Berlin treffend als „tragische Königin“ bezeichnet, bleibt ihr Leben auch eine Erinnerung an den Mut und die Opfer von Künstler*innen in einem autokratischen Umfeld.
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