Föderalismus kann nur erreicht werden, wenn Unterschiede innerhalb Europas als gegeben akzeptiert werden

, von  Carmen Capuano, übersetzt von Anne Engelskirchen

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Föderalismus kann nur erreicht werden, wenn Unterschiede innerhalb Europas als gegeben akzeptiert werden
Fotoquelle: Wikimedia / Biopresto / CC BY-SA 3.0

Vor drei Jahre erzählte ich meiner Familie und meinen Freund*innen, dass ich mich im Fach Europäische Studien einschreiben würde. Das war zufällig zur selben Zeit, in der Großbritannien das Brexit-Referendum ankündigte. „Oh, du willst Europäische Studien machen… Bis du dir darüber bewusst, dass die Europäische Union zu dem Zeitpunkt, zu dem du fertig bist, vermutlich nicht mehr existiert?“, hörte ich von vielen. Sie fanden es lustig. Ich nicht. Ich bin eine Föderalistin und obwohl die Europäische Union oder die Eurozone nicht immer für jeden von Beginn an vorteilhaft war, finde ich es absurd, über die Idee nachzudenken, aus der EU auszutreten. Ganz im Gegenteil bin ich der Meinung, dass wir uns besonders für die Verbesserung der Beziehungen zwischen den EU-Mitgliedsstaaten einsetzen sollten.

Als Föderalistin werde ich oft als verrückt bezeichnet und im besten Falle sogar idealistisch genannt. Mit welchem Argument? Wegen der Unterschiede zwischen Europäer*innen. Ich habe dieses Argument schon auf viele, manchmal sich selbst wiedersprechende Arten gehört. Einerseits wird behauptet, dass die europäische Vielfalt das föderalistische Projekt unmöglich macht, es sei denn, genau diese vielfältigen Unterschiede würden beseitigt werden. Andererseits braucht die EU genau diese Vielfalt als das Mittel, um Europa zu vereinen. (Ich gehe davon aus, dass Sie das Motto „In Vielfalt geeint“ schon mal gehört haben“.)

Meiner Meinung ist es, dass sich der erste Teil in nationalistischem Denken gründet, während der zweite Teil ein Paradoxon darstellt. Ich kann nicht verstehen, warum politische Identität auf kulturellen und nationalen Verwandtschaften basieren muss. Leider war das letzte Jahrhundert ein Jahrhundert, dass die politischen ebenso wie die kulturellen Grenzen Europas, aber auch der ganzen Welt umgeworfen hat. Karten von vor dem Ersten Weltkrieg ist zu entnehmen, dass die politische Situation absolut anders war: Obwohl im heutigen Westeuropa zu erkennen ist, dass sich die Situation im Osten mit der heutigen Situation unterschiedet, durch die Anwesenheit des Habsburger und des Osmanischen Reiches. Aber da ist noch mehr. Tun wir nicht so, als wäre die Kolonialisierung nicht passiert und keinen Einfluss auf die europäischen Länder hatte.

Tatsächlich ist die Hälfte des 20. Jahrhunderts mehr als die Hälfte der Welt unter Kontrolle von Europa gewesen. Durch die Entwicklung von nationalistischen Bewegungen in den Kolonien fühlten die Europäer*innen immer mehr die Konsequenzen des Machtverlusts auf dem Kontinent und darüber hinaus. Darum haben die meisten Kolonialmächte ihren Fokus von den Kolonien außerhalb Europas verlegt, auf die Verstärkung der nationalen Identität innerhalb der europäischen Grenzen. Dadurch wird in all diesen Ländern eine „Wir sind das beste Land der Welt“-Rhetorik geschaffen. Und eben diese Rhetorik, der viele Obrigkeiten und Bürger*innen noch anhängen, gewährt keinen Raum für politische Verschmelzung in Europa.

Allerdings war das 20. Jahrhundert nicht nur für die politischen Grenzen eine Veränderung. Auch die kulturellen Grenzen werden unersetzlich angegriffen. Alleine die massenhafte Ausrottung während des Zweiten Weltkriegs und die gigantischen Migrantenströme während des Kalten Kriegs sind ausreichend, um diese Veränderungen zu erkennen. Millionen von Arbeiter*innen mussten von einem europäischen Land in ein anderes ziehen. Ihre Familien folgten ihnen mit der Zuversicht eines neuen und besseren Lebens in Ländern, deren Traditionen und Sprachen ihnen fremd waren. Dieser Prozess ist nach wie vor nicht beendet und ein Ende ist auch nur schwer vorstellbar. Neue und günstige Transportmöglichkeiten haben es Student*innen und Arbeiter*innen leichter gemacht, sich freiwillig in einem anderen Land zu niederzulassen.

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