Frankreich - Niedergang einer Wirtschaftsmacht?

, von  Sabrina Schönborn

Frankreich - Niedergang einer Wirtschaftsmacht?
Foto: © European Union 2013 - EP

Eigentlich wollte Frankreichs Staatspräsident François Hollande den Anstieg der Arbeitslosigkeit bis 2013 zu stoppen. Doch das Gegenteil ist der Fall: Die Zahl der Erwerbslosen stiegen jüngst auf einen neuen Rekordwert in Frankreich.

Noch im Oktober hatte Hollande den Beginn einer Trendwende am Arbeitsmarkt vorhergesagt, doch die Zahlen des französischen Arbeitsministeriums strafen ihn Lügen. Ende Dezember stieg die Anzahl der Arbeitslosen auf einen neuen Höchstwert von über 3,3 Millionen. Das ist ein Zuwachs von 5,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Damit liegt die Arbeitslosenquote in Frankreich inzwischen bei rund elf Prozent. Zum Vergleich: In Deutschland sind es nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit aktuell 6,7 Prozent.

Der industrielle Niedergang

Ein wichtiger Grund für die hohe Arbeitslosigkeit bei unseren Nachbarn ist der Niedergang der Industrie. „Für zwei Fabriken, die schließen, macht ungefähr eine neue auf“, berichtet der Ökonom David Cousquer gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Seit 2009 habe Frankreich unterm Strich 613 Fabriken weniger, mit entsprechenden Auswirkungen auf die Beschäftigung.

Diese Tendenz spiegelt sich auch in Zahlen des statistischen Amtes der EU-Kommission wieder. Demnach trug das verarbeitende Gewerbe 2011 in Frankreich nur zehn Prozent zur Bruttowertschöpfung bei. Das ist der niedrigste Wert im gesamten Euroraum. Zwar geht in fast allen Mitgliedsstaaten der Industrieanteil an der Wertschöpfung zurück, in Frankreich ist das aber besonders stark der Fall: Um knapp fünf Prozent sank der Anteil dort zwischen 2001 und 2011 und damit fast doppelt so stark wie im europäischen Durchschnitt. „Die Zeit ist gekommen, das Hauptproblem Frankreichs zu regeln - die Produktion. Wir müssen mehr und besser produzieren, das heißt, wir müssen in Bezug auf das Angebot handeln“, erklärt Staatspräsident Hollande.

Hollande lockt mit Millarden

Laut seines Sanierungsplans, dem „Pakt der Verantwortung“, sollen die Vorschriften für Betriebe in Zukunft reduziert werden. Ein „Schock der Vereinfachung“, wie es der französische Staatspräsident nennt. Außerdem sollen auf staatlicher Ebene manche Regionen verwaltungstechnisch zusammengelegt werden, was von vielen Franzosen als Rückschritt in Richtung des Pariser Zentralismus interpretiert wird.

Das Kernstück des Paktes liegt in finanziellen Anreizen für die Wirtschaft. Die Unternehmen sollen allein 30 bis 35 Milliarden Euro bei den Sozialabgaben einsparen, indem sie bis 2017 die Unterstützung für Familien nicht mehr finanzieren müssen. Hinzu kommen Steueranreize in Höhe von 20 Milliarden Euro. Im Gegenzug zu all diesen Vergünstigungen erhofft sich Hollande von den Unternehmen, mehr Arbeitsplätze zu schaffen. Im Idealfall sollen die eingesparten Milliarden vollständig in die Schaffung neuer Arbeitsplätze fließen. Das Problem: Die Regierung tauscht Bargeld gegen schöne Worte, denn eine Verpflichtung für die Unternehmen, welches Pensum an Arbeitsplätzen sie schaffen müssen, existiert nicht.

Trotz dieser immensen Ausgaben hütet sich Hollande angesichts der angespannten Stimmung, Steuererhöhungen oder Sozialleistungen anzutasten. Stattdessen setzt er auf Einsparungen in Höhe von 50 Milliarden Euro - etwa durch die Neuorganisation der Verwaltungen bei Départements und Regionen. Damit nicht der Eindruck entsteht, Hollande belässt es einmal mehr in leeren Versprechungen, kündigte der Präsident an, bereits am 21. Januar die Beratungen mit Arbeitgebern und Gewerkschaften zu eröffnen. Bis jetzt gibt es aber noch keine Ergebnisse.

Vom Nachbarn lernen

Hollande erfährt gleichzeitig Druck aus dem Ausland. Kritiker verlangen von ihm schnellere und radikalere Einschnitte. Besonders Deutschland ist besorgt: Das Nachbarland ist der wichtigster Partner in Europa. „Von einer Agenda 2010 à la française ist man weit entfernt“, bedauerte Lars Feld, Mitglied des deutschen Sachverständigenrats, gegenüber Die Zeit.

Der Hauptgrund für die fehlende Attraktivität Frankreichs in den Augen der Unternehmer liegt in den hohen Produktionskosten. Eine Arbeitsstunde kostet eine französische Firma rund 35 Euro, vier Euro mehr als in Deutschland. Dieser Unterschied folgt aus der hohen sozialen Traglast der Unternehmen. Der Arbeitgeberanteil an den Lohnnebenkosten ist bisher doppelt so hoch wie hierzulande. Außerdem hat Frankreich einen immer höher werdenden Mindestlohn von aktuell 9,53 Euro, im Vorjahr lag er noch zehn Cent niedriger.

Armutszeugnis für die Regierung

Für Hollande könnte es die letzte Chance sein, sein Ansehen als Staatschef zu retten, denn schon jetzt gilt er als der unbeliebteste französische Präsident seit Beginn der Fünften Republik. In einer von der Sonntagszeitung Journal du Dimanche veröffentlichten Umfrage erklärte sich nur jeder fünfte Franzose mit Hollandes Arbeit zufrieden. Das französische Meinungsforschungsinstitut Ifop misst seit Beginn der Fünften Republik 1958 die Popularität der Staatschefs. Den bisherigen Negativrekord hielt Hollandes sozialistischer Vorgänger François Mitterrand, der im Dezember 1991 auf 22 Prozent gesunken war. Seit dem Amtsantritt Hollandes im Mai 2012 ist dessen Beliebtheit kontinuierlich gesunken. Viele Franzosen trauen ihrer Regierung nicht mehr zu, den wirtschaftlichen Umschwung zu schaffen, denn Staatsverschuldung und Arbeitslosigkeit wachsen weiter.

Geladene Stimmung

Anfang Dezember haben in Paris zehntausende Demonstranten gegen die Steuerpolitik der Regierung protestiert. Nach Angaben der Organisatoren des Marsches der Linksfront beteiligten sich rund 100.000 Demonstranten daran. Auch die Lkw-Fahrer hatten landesweit gegen eine Erhöhung der Ökosteuer für Lastwagen protestiert. In der Bretagne demonstrierte eine radikale Gruppe von Farmern und Lebensmittelproduzenten, die sogenannten Rotmützen, gegen den wirtschaftlichen Niedergang der Region.

Es ist unwahrscheinlich, dass Hollandes Steuervergünstigungen Frankreichs Wirtschaftsprobleme lösen können. Im internationalen Vergleich ist der Staat zu teuer und damit für Investoren wenig attraktiv. Solange also die Arbeitskosten hoch sind, werden nur wenige Aufträge nach Frankreich vergeben, was zu geringer Auslastung und stagnierenden Einstellungszahlen führt. Doch wie weit kann ein sozialistischer Präsident überhaupt gehen, ohne sein eigenes Klientel zu verärgern?

Photo: Europäische Kommission

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