Ist es bedenklich, wenn Social-Media-Unternehmen die Accounts politischer Akteur*innen sperren? Die Verbannung Donald Trumps von sämtlichen Social-Media-Kanälen hat eine hitzige Debatte über Zensur ausgelöst. Einfach gedacht, gibt es an der Unternehmenspolitik von Twitter und Konsorten nichts auszusetzen. Twitter und Facebook gelten rechtlich als staatlich unabhängige Unternehmen und sind befugt, die Konten ihrer Nutzer*innen zu sperren. Schließlich bekennt man sich bei der Anmeldung zu deren AGBs, die Hass, Hetze und Aufrufe zur Gewalt eindeutig verbieten. Man könnte meinen die Führungsetagen sozialer Netzwerke fühlen sich schlicht ihrer Corporate Social Responsibility verpflichtet, was sie moralisch dazu berechtigt, einzelne Konten zu blockieren. Auch in der New York Times, oder der Washington Post werden keine Artikel veröffentlicht, die der Weltanschauung des Blattes grundlegend widersprechen, argumentieren Befürworter*innen der jüngsten Ereignisse. Zensur, wie wir sie im klassischen Sinne verstehen, wäre mit dem staatlichen Verbot der Äußerung einer bestimmten politischen Meinung verbunden. Donald Trump hingegen, könne problemlos auf andere Kanäle ausweichen und seine Beiträge über die ihm nahestehenden TV-Sender oder Zeitungen verbreiten. Daher könne man wohl kaum behaupten, er sei von Twitter oder Facebook mundtot gemacht worden. Doch sieht die Realität wirklich so einfach aus?
Neutrale Plattformen oder private Medienunternehmen
Als grundlegender Stützpfeiler demokratischer Systeme, ist das Recht auf freie Meinungsäußerung mit Recht großzügig ausgelegt. In Ausnahmefällen kann der Gesetzgeber dieses Recht einschränken, allerdings nicht nach Lust und Laune, sondern nach klar definierten Regeln. Auch wenn Twitter und Facebook im weiteren Sinne als Medien gelten, unterscheiden sie sich doch grundlegend von herkömmlichen Medienunternehmen, deren Redaktionen die politische Marschrichtung vorgeben. Viel mehr sind sie als neutrale Plattformen zu verstehen, die den digitalen öffentlichen Raum widerspiegeln, auf dem die gesamte Bandbreite politischer Gesinnungen vertreten ist. Kurz gesagt: Sie sind deutlich mehr als nur private Medienunternehmen. Doch sollten die Führungsgremien von Facebook und Twitter dazu berechtigt sein, die freie Meinungsäußerung im öffentlichen Raum einzuschränken, und damit richtungsweisend in die Politik eines souveränen Staates einzugreifen? Man bedenke, dass Zuckerberg und Co nicht vom Volke in ihre Positionen gewählt wurden oder anderweitig demokratisch legitimiert sind. Hinzukommt, dass der Ausschluss einzelner Akteur*innen gänzlich intransparent entschieden wird. Wir wissen also nicht genau, welche Kriterien schlussendlich zur Verbannung geführt haben.
Social Media und der Aufstieg der Populisten
Im letzten Jahrzehnt haben sich Social-Media-Plattformen zu einem entscheidenden Katalysator politischer Bewegungen entwickelt. Zwar könnten Trump und seine Verbündeten auch auf alternativem Wege zu ihren Anhänger*innen sprechen, doch deuten sinkenden Zeitungsauflagen und TV-Zuschauerzahlen daraufhin, dass sich Kurznachrichtendienste und soziale Medien längst als wirksamstes politisches Medium durchgesetzt haben. Dachte man vor etwa zehn Jahren noch, dass sie der Initialzündung demokratischer Revolutionen im Mittleren Osten dienen, werden sie heute leider auch von politisch Verirrten zum Aufruf gewalttätiger Aktionen, wie dem Sturm auf das Kapitol, missbraucht. Dennoch leuchtet nicht ein, warum Vertreter*innen autokratischer Systeme weiterhin auf Twitter und Facebook vertreten sind, während man Trump verbannt hat. Wenn Maduro, Erdogan und Assad ihre Konten behalten dürfen, Trump aber nicht, liegen Doppelmoral und Willkür in der Luft. Twitter und Facebook agieren nicht mehr nur als politisch neutrale Akteur*innen an der Seitenlinie, sondern greifen aktiv ins politische Spielgeschehen ein.
Redefreiheit: Ungemütlich aber unverzichtbar
Das Recht auf freie Meinungsäußerung ist das höchste Gut demokratischer Systeme und macht deren Stärke aus. Schränken wir es ein, drohen wir unser demokratisches Selbstverständnis und die damit einhergehende Lebensform zu verlieren. Trumps Sperre in den sozialen Medien ist Wasser auf die Mühlen der Feinde von Redefreiheit und läuft Gefahr von ihnen politisch instrumentalisiert zu werden. Auch wenn uns nach der Verbannung Trumps instinktiv ein Stein vom Herzen gefallen sein mag, dürfen wir uns von der ursprünglichen Erleichterung nicht hinters Licht führen lassen. Ein pluralistisches System kann langfristig nur bestehen, wenn es die breite Vielfalt unterschiedlicher Meinungen aushält, auch wenn das manchmal schmerzhaft sein mag.
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