Gas und Öl aus Aserbaidschan: Energie gegen Demokratie?

, von  Marie Menke

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Gas und Öl aus Aserbaidschan: Energie gegen Demokratie?
Aus der Innenstadt von Baku. Fotoquelle: Flickr / Ken Douglas / CC BY-NC-ND 2.0

Um energiepolitisch nicht von Russland abhängig zu sein, ist die Kooperation mit Aserbaidschan für die EU unverzichtbar – gestaltet sich aber als schwierig, da sie sich in einem Dilemma zwischen Energieinteressen und Demokratieförderung bewegt.

Dass das Licht auf Knopfdruck angeht, ist insbesondere für Westeuropa selbstverständlich: Unsere Energieversorgung scheint gesichert. Der EU wurde jedoch das Gegenteil schmerzhaft bewusst, als 2005 die russische Regierung ankündigte, Erdgaslieferungen in die Ukraine einzustellen und es damit auch zu Engpässen in der EU kommen zu lassen, sollte es in den damaligen Verhandlungen nicht zu einer Einigung kommen. Seitdem lautet eines der Wundermittel der EU, um für sichere Energie zu sorgen: Diversifizierung.

Um ihren Energieverbrauch zu sichern, sind die EU und ihre Mitgliedsländer weitgehend auf Drittstaaten angewiesen: Die EU selbst verfügt zwar über bedeutsame Kohlevorkommen, aber beispielsweise nur über ungefähr 0.6 Prozent des weltweit nachgewiesenen Erdöl- und zwei Prozent des weltweit nachgewiesenen Erdgasvorkommens [1]. Schätzungen zufolge wird sie bis 2030 zwei Drittel der für ihre Gesamtversorgung mit Energie nötigen Ressourcen aus Ländern außerhalb der Union importieren [2]. Ihrer Abhängigkeit von der Stabilität letzterer ist damit offensichtlich.

Die Idee der Diversifizierung ist, das Portfolio der eigenen Energielieferanten so breit aufzustellen, dass der Ausfall einzelner kompensiert werden kann. Damit richtet sich das Konzept auch gegen Russland: Da der Kreml eine ernstzunehmende Monopolstellung im Energiebereich innehält und diese zunehmend als außenpolitisches Instrument nicht nur gegenüber der Ukraine einsetzt, streben jegliche Versuche, verschiedene Energielieferanten für die EU zu gewinnen, nicht zuletzt danach, das russische Monopol zu schwächen.

Flaschenhals zwischen der EU und Zentralasien

Alternativen zu Russland stellen insbesondere Länder des Nahen Ostens und Nordafrikas sowie Anrainerstaaten des Kaspischen Meers dar. Mit Bezug auf letztere kommt Aserbaidschan eine besondere Rolle zu: Das Land fungiert als Flaschenhals zwischen dem Kaspischen Meer und damit Energielieferanten wie beispielsweise Turkmenistan auf der einen sowie dem Südkaukasus und damit der Verbindung über die Türkei bis in die EU auf der anderen Seite. Transporte, die eine Diversifizierung unterstützen und daher nicht über russisches oder iranisches Gebiet laufen, sind von Zentralasien in die Europäische Union ausschließlich über Aserbaidschan möglich.

Problematisch gestalten die Rolle Aserbaidschan in der Energiepolitik der EU die zahlreichen Konflikte, die sich im und um das Land austragen: Zum einen bleibt völkerrechtlich ungeklärt, ob es sich bei dem Kaspischen Meer um einen Binnensee oder ein Meer handelt. Je nach Definition greifen unterschiedliche Rechtsansprüche bezüglich der Ausbeutung der dortigen Bodenschätze, weshalb die Anrainerstaaten sich uneinig sind und damit die Nutzung der dort gelegenen Ressourcen verhindern. Auch der Konflikt des von überwiegend Armeniern bewohnten, aber sich auf aserbaidschanischem Gebiet befindenen De-Facto-Staats in Bergkarabach hat nicht nur weit über eine Millionen Menschen zur Flucht gezwungen [3] und damit zu menschlichem Leid in geraumen Ausmaß geführt, sondern gefährdet ebenso die wirtschaftliche Stabilität Aserbaidschans, da das Angreifen von Pipelines zu den wichtigsten Strategien der Konfliktparteien zählt.

Zwischen Diversifizierung und Autokratie

Eine Diversifizierung liegt außerdem auch im Interesse Aserbaidschans – jedenfalls bezüglich der eigenen Wirtschaft. Während diese maßgeblich auf Öl und Gas setzt, sind nur knapp ein Prozent der gesamten Arbeitskräfte des Landes in diesem Sektor beschäftigt [4]: Es ist längst an der Zeit, weitere Wirtschaftszweige auszubauen. Ökonomen diagnostizieren Aserbaidschan erste Anzeichen einer sogenannten „Holländischen Krankheit“ und befürchten, dass durch den starken Export und die damit verbundene Inflation früher oder später zuerst die finanzschwacheren Schichten verarmen. Außerdem würde durch die nun billigeren Importe die Binnennachfrage sinken und das produzierende Gewerbe weiter absteigen.

Die Diversifizierung der aserbaidschanischen Wirtschaft wird vor allem von interner Korruption verhindert, der eigenen Regierung und dem autokratischen Regime. Auf der Rangliste der Pressefreiheit belegt das Land derzeitig Platz 163 von 180 und dem Präsidenten İlham Əliyev werden unter anderem die Veruntreuung von Staatsgeldern, Verhaftungen von kritisch eingestellten Journalist*innen, das Unterdrücken der Opposition, das Billigen und Verordnen von Folter und Misshandlungen in Gefängnissen sowie das Manipulieren der vergangenen Wahl vorgeworfen [5]. Bezüglich letzterem hat die EU zwar Kritik geäußert, aber keine Sanktionen verhängt.

Energieaußenpolitik als Balanceakt

Für die EU beginnt an diesem Punkt die Frage nach den eigenen Prioritäten – und da diese nicht klar definiert sind, außerdem ein Balanceakt. Auf der einen Seite stellt sie Aserbaidschan gegenüber Demokratieförderung und Friedenskonsolidierung in den Mittelpunkt. Auf der anderen Seite ist ihr energiepolitisches Interesse an Aserbaidschan so stark, dass die EU längst auf das kaukasische Land angewiesen ist. Langfristig ist der Ausbau demokratischer Strukturen in einem friedlichen Kontext auch aus Sicht der EU notwendig, nicht nur um Aserbaidschan als zuverlässigen Partner in der Energiepolitik zu gewinnen. Kurzfristig bleibt jedoch das Risiko, das autoritäre Regime zu provozieren und das Ausbleiben von Lieferungen zu riskieren.

Fraglich ist daher, wie stark der Einfluss der EU auf den kaukasischen Staat tatsächlich ist: Die EU mag im Rahmen ihrer Nachbarschaftspolitik von Demokratieförderung und Friedenskonsolidierung sprechen und diese dennoch mitunter hinter wirtschaftlichen Interessen zurückstellen. Gegenüber anderen Ländern behält sie sich jedoch die Möglichkeit, ihre Interessen als Bedingung an die Möglichkeit verstärkter Anbindung oder sogar potentieller, zukünftiger Assoziation oder Mitgliedschaft zu koppeln und damit durchzusetzen. Aserbaidschan hingegen verwehrt ihr dies weitgehend: Baku ist wenig interessiert an einem Ausbau der Integration und fordert stattdessen eine strategische Partnerschaft, in der sich die EU und Aserbaidschan auf Augenhöhe begegnen.

Im Juni 2018 gab der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan bekannt, eine Gaspipeline eingeweiht zu haben, über die von nun an Erdgas von Aserbaidschan nach Europa geliefert wird, und die es damit der EU erleichtert, sich auch nur ein wenig aus der energiepolitischen Einflussnahme Russlands zu lösen. In Aserbaidschan hat sie jedoch einen Partner gefunden, der nicht nur Werte wie Demokratie und Rechtsstaatlichkeit weder teilt noch unterstützt, sondern der sich von vielen Anreizen der EU auch nicht beeindrucken lässt. Damit steht sie vor der Herausforderung, nicht nur mit einer gemeinsamen Stimme vor dem kaukasischen Staat zu sprechen, sondern sich vor allem über die eigenen Prioritäten klar zu werden und sämtliche weitere energiepolitischen Alternativen auszuschöpfen, um dringend gebrauchtes Öl und Gas aus Aserbaidschan nicht mit dem Tolerieren der dortigen menschenrechtlichen Verbrechen bezahlen zu müssen.

[1] Bahgat, Gawdat (2006): Europe’s new energy security. Challenges and opportunities, S. 962.

[2] Ebd.

[3] Auch, Eva-Maria (2008): Berg Karabach – Krieg um die „Schwarzen Berge“, S. 111.

[4] OECD (2011): Country Report Azerbaijan, S. 82.

[5] Human Rights.ch (2017): Länderinformation: Menschenrechte in Aserbaidschan. Unter: https://www.humanrights.ch/de/service/laenderinfos/aserbaidschan/

Weitere Quellen:

Baur, Benjamin J. (2015): Die Energieinteressen der EU im Südkaukasus und die Rolle der Europäischen Nachbarschaftspolitik.

Egbert, Jan (2008): Neue Perspektiven für die eingefrorenen Konflikte im Südkaukasus durch die Europäische Nachbarschaftspolitik.

Locatelli, Catherine (2010): Russian and Caspian Hydrocarbons. Energy Supply Stakes for the European Union.

Ipek, Pinar (2009): Azerbaijan’s Foreign Policy and Challenges for Energy Security.

Strimbovschi, Sabrina (2016): The influence of energy resourced in developing „pragmatic“ relations between Azerbaijan ahd the west.

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