Gastbeitrag von Martin Schulz: „Zeit für ein starkes Europa. Zeit für mehr Gerechtigkeit.“

, von  Martin Schulz

Gastbeitrag von Martin Schulz: „Zeit für ein starkes Europa. Zeit für mehr Gerechtigkeit.“
Martin Schulz, bis Anfang 2017 Präsident des Europäischen Parlaments: „Das Ziel der Bundesrepublik ist ganz klar Europa zu stärken.“ Foto: Martin Schulz / Flickr / CC BY NC-ND 2.0-Lizenz

treffpunkteuropa.de hat auch den Kanzlerkandidaten der SPD um einen Gastbeitrag gebeten.

Am 24. September geht es um viel. Nicht nur um die Frage, wer Bundeskanzler wird. Es geht darum, die Weichen für die Zukunft zu stellen. Für die Zukunft Europas spielt es eine entscheidende Rolle, wer in Deutschland regiert.

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Das Europäische Einigungswerk ist die größte zivilisatorische Errungenschaft unseres Kontinents der vergangenen Jahrhunderte. Ich bin am Dreiländereck Deutschland, Belgien, Niederlande geboren worden und habe miterlebt, wie Europa unser Leben besser gemacht hat. Europa bedeutete für mich und meine Generation mehr Frieden, mehr Demokratie, mehr Wohlstand und mehr Sicherheit. Ich bin fasziniert von dieser Idee, dass sich Staaten zusammenschließen – über Grenzen hinweg. Und eine Union der Pluralität, der Sicherheit, der Toleranz und des Respekts aufbauen. Für diese Idee kämpfe ich bereits mein ganzes politisches Leben.

In den vergangenen zwölf Jahren habe ich hautnah miterlebt, wie sich die EU von Krise zu Krise gehangelt hat. Von der Finanzkrise zur Schuldenkrise weiter zur Eurokrise bis hin zur Flüchtlingskrise und dem Brexit. Wir erleben eine Zeit, in der die EU herausgefordert ist wie nie zuvor. Die Rechtspopulisten und europakritischen Parteien konnten sich bei den jüngsten Wahlen in den Niederlanden und Frankreich glücklicherweise nicht durchsetzen – aber sie gewinnen an Zuspruch. Auch in Deutschland droht in diesem Jahr zum ersten Mal eine Partei in den Deutschen Bundestag einziehen, die offen gegen Minderheiten hetzt, die ein Jahrhunderte-altes Frauenbild propagiert, die anti-europäisch und rechtspopulistisch ist, ja die sich bis in die Spitze hinein rechtsextremistisch und rassistisch äußert.

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Die Regierungen von Polen und Ungarn suchen die Konfrontation mit Brüssel. Ungarn hat sogar angekündigt, europäische Rechtsprechung zu ignorieren.

Wir brauchen ein klares Bekenntnis zu einem starken und solidarischen Europa.

Die stärkste Institution ist der Europäische Rat der Staats- und Regierungschefs, der alle wichtigen Entscheidungen trifft. Im Rat sitzt Angela Merkel mit allen europäischen Staats- und Regierungschefs. Deutschland ist in den vergangenen zwölf Jahren selten als Motor für Europa aufgetreten. Vieles wurde ausgesessen oder gebremst. Ich frage mich manchmal, wann uns das Gefühl des Zusammenhalts, der Solidarität unter den Staaten verlorengegangen ist. War es, als sich Ungarn und Polen weigerten Flüchtlinge aufzunehmen und andere Staaten alleine ließen? Oder fing es damit an, dass wir unsere europäischen Partnerländer nicht früh genug in unsere Flüchtlingspolitik einbezogen? Vielleicht war es aber auch der Moment, als unter Federführung des deutschen Finanzministers in Griechenland die 13. Rentenkürzung durchgedrückt wurde, tausende Familien noch tiefer in Armut versanken und Wolfgang Schäuble gleichzeitig dicke Zinsgewinne verbuchen konnte?

Fest steht: Deutschland hat in den vergangenen Jahren selten die Initiative ergriffen um unser Einigungswerk zu verbessern und auf feste Füße zu stellen. Das Regierungsprogramm der SPD bietet viele konkrete Maßnahmen und ich bin fest entschlossen, diese umzusetzen, wenn ich das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger gewinne: Wir brauchen einen europäischen Wirtschafts- und Finanzminister, der sich darum kümmert, dass in Europa nicht nur gespart, sondern auch in die Zukunft investiert wird und der den Kampf gegen die Steuerflucht und den Steuerbetrug zur Chefsache macht. Wir brauchen durch einen Europäischen Währungsfonds eine feste Struktur, die strukturell Mittel zur Stimulation der europäischen Wirtschaft zur Verfügung stellen. Wir brauchen ein europäisches Einwanderungs- und Asylrecht und gemeinsame Sozialstandards. Konzepte für diese Vorhaben liegen seit Jahren auf dem Tisch. Es mangelt nicht an konkreten Projekten, es mangelt an jemanden, der sie durchsetzt. Das ist die Aufgabe des künftiges Bundeskanzlers. Das Ziel der Bundesrepublik ist ganz klar Europa zu stärken.

Es gibt viel zu tun, in Deutschland und in Europa. Wir wollen für mehr Gerechtigkeit kämpfen. In Deutschland, durch mehr Investitionen in Bildung, bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie durch mehr Ganztagsangebote, durch gute und gerechte Löhne für Frauen und Männer, für eine Alterssicherung, die bezahlbar bleibt und den eigenen Lebensstandard sichert. Ich möchte für ein modernes Deutschland arbeiten, ein Land, das in Vielfalt stark ist und die Zukunft als Chance sieht. Ich arbeite für eine Zukunft, auf die man sich freuen kann. Ich arbeite für ein europäisches Deutschland.

Deutschland ist Teil einer globalen Vernetzung und wir brauchen ein starkes Europa, um die großen Fragen unserer Zeit anzugehen: den Klimawandel und den Schutz unserer Umwelt, fairen Handel, den Kampf gegen den Terrorismus, die Vermeidung von Steuerbetrug und Steuerflucht und die Sicherung der Arbeitsplätze in Europa in Zeiten eines immer härteren internationalen Wettbewerbs

CDU und CSU haben keinen Plan, wie das alles gehen soll. Nach zwölf Jahren Krisenmanagement gibt es nach wie vor kein Konzept zur Gestaltung Europas, geschweige denn einen Zukunftsplan für Deutschland. Die deutschen Bürgerinnen und Bürger haben in diesem Jahr die Wahl. Sie können sich entscheiden auf altbewährte Rezepte zu vertrauen, auf eine Politik der Gegenwartsverwaltung. Oder sie wählen eine Partei, die davon überzeugt ist, dass das Beste noch vor uns liegt und dass wir vieles verändern müssen, damit alles so gut bleibt wie es ist. Das ist die Richtungsentscheidung vor der wir am 24. September stehen. Es geht um viel. Deshalb lohnt es sich, wählen zu gehen.

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