Was eine Ironie des Schicksals! Vor wenigen Tagen ist Helmut Schmidt verstorben. Und nur drei Tage später könnte seine Rede vom 5. September 1977 anlässlich der Entführung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer aktueller nicht sein:
„Für jeden Bürger, dem der freiheitliche Rechtsstaat etwas gilt, ist inzwischen klar, dass es für die Schuldigen keine Ausreden mehr gibt. Während ich hier spreche, hören irgendwo sicher auch die schuldigen Täter zu. Sie mögen in diesem Augenblick ein triumphierendes Machtgefühl empfinden. Aber sie sollen sich nicht täuschen. Der Terrorismus hat auf die Dauer keine Chance, denn gegen den Terrorismus steht nicht nur der Wille der staatlichen Organe, gegen den Terrorismus steht der Wille des ganzen Volkes. Dabei müssen wir alle, trotz unseres Zornes, einen kühlen Kopf behalten“, sagte der Altkanzler.
Die Täter der Terroranschläge vom 13. November 2015 in Paris sind vermutlich alle tot. Doch die Saat des Terrors hat überlebt.
Ein Rückblick: Innerhalb weniger Monate schaffte der Islamische Staat das, wovon Geheimdienste nicht einmal albträumten - sie errichteten einen Art Staat im Norden Syriens und des Iraks. Jetzt hat der IS bewiesen: Charlie Hebdo war keine Ausnahme. Der Arm des islamistischen Terrors reicht bis ins Herz Europas.
Die Botschaft der Terroristen ist klar an uns Europäer gerichtet, aber auch an die Millionen Menschen, die vor dem Terror des IS ins vermeintlich sichere Europa fliehen: „Ihr seid nirgendwo sicher – wir kriegen euch, egal wo ihr seid.“ Ein Teil dieser flüchtenden Menschen hat hier bei uns in Europa und in Deutschland Schutz gefunden. Es ist erschreckend, dass wir angesichts der Vergleiche, die zwischen Flüchtlingskrise und Brandschlägen auf Flüchtlinge, erneut betonen müssen: diese Flüchtenden sind in der überwiegenden Mehrzahl Muslime, aber keine Terroristen.
Es darf jedoch nichts verharmlost werden. Kein Irak-Krieg, kein Afghanistan-Einsatz, keine Mohammed-Karikaturen rechtfertigen den Terror. Halbseidenen Entschuldigungen à la „Das waren Terroristen, keine Muslime“ muss im alltäglichen Umgang der Menschen in Deutschland und in Europa argumentativ begegnet werden. Doch: das waren Muslime, aber radikale, verblendete und diese Art des Islam, der privaten Glauben mit praktischem staatlichen Machtanspruch verbindet, hat in Europa nichts verloren. Genauso wenig wie das Christentum von Anders Behring Breivik. Beides ist ein Fall für den Staatsanwalt.
Wichtig ist: Europa muss seinen kühlen Kopf bewahren. Dass Präsident Hollande nun von „Krieg“ spricht, muss jedem große Sorgen machen. Erinnern Sie sich noch an die Zeit nach dem 11. September 2001? Damals rief die NATO den Bündnisfall aus. Die Wenigsten hinterfragten das und schon nahm das Unheil seinen Lauf.
Das darf uns kein zweites Mal passieren: entscheidend ist, dass wir bereit sein müssen, die Urheber und Hintermänner des Terrors aufzuspüren und wenn möglich einem rechtsstaatlichen Verfahren zuzuführen. Jedem muss aber auch klar sein, dass eine militärische Bodenoffensive gegen den IS nun offen als Option auf dem Tisch liegt. Die Frage ist nur, ob es klug wäre, diesen Schritt ohne Weiteres zu gehen und die nächste Frage ist, ob es klug wäre, wenn Frankreich nun ähnlich wie die USA 2001/2003 unilateral oder mit einer „Koalition der Willigen“ in den Krieg ziehen würde, um das nationale Recht Frankreichs zur Selbstverteidigung in die Tat umzusetzen, nur um ein Rachebedürfnis zu stillen oder die nächsten Präsidentschaftswahlen zu gewinnen.
Richtig ist die kühle Abwägung der Fakten: Terror ist nach wie vor asymmetrisch. Frankreich ist nicht alleine angegriffen worden – die Terroristen haben unser europäisches Wertesystem attackiert. Es bedarf auch einer europäischen Antwort.
Das Problem: nicht die Europäische Union, sondern ihre Mitgliedstaaten sind verantwortlich für den Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Grund hierfür ist die raison d’être eines jeden Staates: die Gewährleistung innerer Sicherheit. Eine Annahme, die aus einer Zeit stammt, in der es weder die europäische Integration noch die hybride Kriegsführung gab. Deshalb ist die Zeit reif, europäische Terrorbekämpfung europäisch zu gestalten.
Solange dies nicht der Fall ist, müssen die Mitgliedstaaten den Kampf gegen den internationalen Terrorismus zumindest als gemeinsame Aufgabe verstehen. Kurzfristig kann der "Working Party on Terrorism „- einer dem Rat unterstellten Arbeitsgruppe, die die Positionen der Mitgliedstaaten koordiniert und der“Counter Terrorism Coordinator" - einem ebenfalls dem Rat unterstellten Posten, der den Anti-Terrorkampf der EU maßgeblich mitgestaltet, die Politik der Mitgliedstaaten koordinieren.
Gleiches gilt für die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Durch deren Politik im Sahel und in der afrikanischen Sahara oder durch GSVP-Missionen im Niger 2011 oder in Libyen 2013 hat die EU Drittstaaten im Kampf gegen den Terror unterstützt. Eine weitere Maßnahme stellt das "Instrument für Stabilität" dar, durch das die EU seit 2007 Drittstaaten in Konfliktregionen stabilisiert.
Langfristig kann die EU so ihrem Vertragswerk gerecht werden. Nicht umsonst lautet Artikel 43 des Lissabonner Vertrages, dass die EU zur Bekämpfung des Terrorismus beitragen soll. Doch eines muss uns stets klar sein: den Kampf gegen den internationalen Terrorismus können wir nur dann gewinnen, wenn wir Krisenländer stabilisieren, dort gute Regierungsführung etablieren, für Bildung, Jobs und Perspektiven sorgen. All das mag aktuell wie Zukunftsmusik klingen. Aber wenn wir Europäer zusammenhalten, ist nichts unmöglich. Auch nicht die Ausrottung dieser marodierenden Mörderbande des Islamischen Staats.
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