In dem Land, in dem “Chinese” eine Beleidigung ist

Geschichte der Diaspora

, von  Paloma Chen, übersetzt von Theresa Bachmann

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Geschichte der Diaspora
Foto: Paloma Chen

Auf Chinesisch werden sie huayi genannt. Ihre Eltern sind huaqiao. Zwischen 20 und 35 Jahre sind die meisten von ihnen alt. In Spanien ist ihre Identität noch ungeklärt. Sie sind Söhne und Töchter der chinesischen Migrant*innen, die während der 80er und 90er Jahre in dem sonnigen europäischen Land ankamen. Manche unter ihnen fühlen sich wie spanische Durchschnittsbürger; letzten Endes sind sie eben dort geboren und aufgewachsen. Die meisten aber hegen nicht dasselbe Gefühl - auch wegen ihrer asiatischen Gesichtszüge, aufgrund derer andere in ihrer Kindheit Gefallen daran fanden, ihnen „Chinese!“ nachzurufen.

Chinesische Migration nach Spanien: eine kurze Geschichte

Die Geschichte chinesischer Migration nach Spanien ist nicht vergleichbar mit der nach Südostasien, den Vereinigten Staaten und anderen südamerikanischen Ländern wie Peru, wo die ersten Chines*innen bereits Ende des 19. Jahrhunderts eintrafen, die meisten davon als Lastträger*innen (Vertragsarbeiter*innen). Auch wenn die ersten Chines*innen aus Qingtian nachweislich während des Ersten Weltkriegs in Spanien ankamen, setzte eine zahlenmäßig größere Migration von Chines*innen nach Spanien erst ab den 1970ern ein - dem Jahrzehnt, in dem Spanien diplomatische Beziehungen zur Volksrepublik China aufnahm.

Die meisten der jungen Chines*innen, die motiviert genug waren, um in einem europäischen Land Geld zu verdienen und ihre Lebensqualität zu verbessern, stammen aus den ländlichen Gegenden der Zhejiang Provinz, die eine lange Einwanderer*innentradition hat. Der Zuwanderungsboom explodierte in den 1980ern, sodass diese meist wenig gebildeten Menschen zunehmend nach Frankreich und Italien auswanderten.

Der erste Grund, ein europäisches Land auszuwählen, ist für gewöhnlich, dass ein*e Verwandte*r bereits dort lebt. Das ist auch bei den Eltern von Charlie Ye der Fall, eines jungen Katalanen, dessen Familie aus Qingtian mithilfe von Verwandten nach Spanien auswanderte, die dort bereits lebten. Oder von Carol Zhou, 24 Jahre alt, eine der Töchter einer Familie aus Qingtian, die sich in Barcelona niederließ. Ihre Mutter kam 1986 an, mit nur 16 Jahren, ihr Vater folgte ein Jahr später. Ein Teil ihrer Familie mütterlicherseits lebte bereits in Holland, ihr Großvater zog jedoch aufgrund von Problemen, einen legalen Aufenthaltsstatus zu erhalten, nach Spanien. Carol Zhous Mutter reiste mit ihrem 13-jährigen Bruder nach Guangzhou, um ein spanisches Visum zu erhalten, und dann im Flugzeug von Hongkong nach Madrid.

“Meine Mutter hat mir erzählt, wie hart die Reise war. Sie waren in einem seltsamen Land. Sie konnten nicht mal richtig Mandarin, da sie nur an den Dialekt aus Qingtian gewöhnt waren“, bemerkt Carol Zhou. Trotzdem kümmerten sich die ersten, die in einem Land ankamen, meist junge Männer, nicht besonders darum. Oder sie wussten schlicht nicht, in welchem Land sie am Ende landen würden: Für manche unter ihnen, die nicht einmal wussten, wie Europa aussah, machte es keinen Unterschied, ob es am Ende Großbritannien, Frankreich oder Italien werden würde. Dennoch war Spanien vor den 90er Jahren kein Traumziel. Nach der langen Diktatur Francos waren die Bedingungen alles andere als ideal.

Nichtsdestotrotz nahm der chinesische Bevölkerungsanteil in den 90ern stark zu: 1990 lebten annähernd 5.000 Menschen aus der Volksrepublik China in ganz Spanien. Nur ein Jahrzehnt später hatte sich diese Zahl auf 30.000 erhöht, ohne illegal Eingewanderte mitzuzählen. Dass es davon viele gab, ist sicher, da eine der populärsten Methoden, um die Grenze des spanischen Königreiches zu überschreiten, war, Geld für einen der shetou zu bezahlen, die chinesische Bürger*innen mit gefälschten japanischen Pässen nach Spanien schmuggelten. Bei den sogenannten „Schlangenköpfen“ handelt es sich um chinesische Banden, die auf Menschenschmuggel in andere Staaten spezialisiert sind. Illegal Eingewanderte konnten jedoch ihren Aufenthaltsstatus dank der Einwanderungsamnestie der spanischen Regierung legalisieren.

Töchter und Söhne der Diaspora: Restaurantkinder

Heutzutage leben mehr als 200.000 Menschen mit chinesischer Staatsbürgerschaft in Spanien. Diese Zahl schließt aber jene aus, die bereits die spanische Staatsbürgerschaft angenommen haben. Angaben der spanischen Statistikbehörde zufolge stammen knapp 70% von ihnen aus der Zhejiang Provinz. Diesbezüglich ist China eher ein Kontinent als ein Land: Anstatt von chinesischer Zuwanderung zu sprechen, könnte man daher von Qingtianesischer oder Zhejianesischer Zuwanderung sprechen.

Die ersten Chines*innen, die in Spanien ankamen, eröffneten Restaurants im gesamten Land. Nach einem Jahrzehnt, in dem die chinesische Bevölkerung stark zunahm, wurden spanische Staatsbürger*innen besorgt. Manche unter ihnen fingen an, Witze über die „gelbe Gefahr“ zu machen: Schriftstellerin und Übersetzerin Berna Wang berichtete, dass es nach vielen Jahren ohne Probleme in Spanien in den 90er Jahren zum ersten Mal passierte, dass Taxifahrer*innen aufgrund ihres asiatischen Aussehens ausrasteten und sie wüst beschimpften.

In den 90ern und 2000ern bot Spanien gute wirtschaftliche Rahmenbedingungen, die Tourismusindustrie entwickelte sich rapide, und mit Einwanderer*innen aus aller Welt hatte sich Spanien zu einem hoch entwickelten Land gemausert. Heutzutage ist der Markt sehr diversifiziert. Chines*innen sind nicht nur Besitzer*innen von billigen Restaurants und Läden, sondern eröffnen Reisebüros, Friseursalons oder Fahrschulen für andere chinesische „Expats“. So bildeten sich „Chinatowns“ in den größten spanischen Städten, beispielsweise in Madrid, Barcelona oder Valencia.

Carol Zhou erzählt, wie ihre Eltern zunächst in einem anderen chinesischen Restaurant arbeiteten, bis sie genug gespart hatten, um ihr eigenes zu eröffnen. Dieses war nichtsdestotrotz weder ihr erstes noch ihr letztes, da sie immer versuchten zu sparen, um an anderen Orten neue und innovative Geschäftsmodelle ans Laufen zu bringen. „Das Streben nach einem besseren Leben endet nie. Sie waren in der Lage, kleinere Ziele zu erreichen und begannen dann, nach größeren zu streben. Seitdem ich ein kleines Kind war, habe ich meine Eltern immer neue Dinge ausprobieren sehen, immer mit dem Ziel, ihre gegenwärtige Situation zu verbessern", berichtet sie.

Die Söhne und Töchter chinesischer Einwanderer*innen wuchsen damit auf, die einzigen mit asiatischen Gesichtszügen in ihren Klassenräumen und an ihren Arbeitsplätzen zu sein. Sie wurden täglich mit der Frage konfrontiert, von wo sie kamen und warum ihr Spanisch so gut war (von den Spanier*innen) oder warum ihr Mandarin so schlecht war (von anderen Chines*innen).

Dies ist der erste Beitrag einer dreiteiligen Serie. Der zweite Beitrag ist hier zu lesen. Sobald er online ist, werden wir hier die Links zum dritten Beitrag ergänzen.

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