Interview mit Lilly Dragoeva, der geschäftsführenden Direktorin der Bilitis Foundation in Bulgarien

In wessen Händen liegt das Schicksal der LGBTI-Gemeinschaft in Bulgarien?

, von  Marlene App

In wessen Händen liegt das Schicksal der LGBTI-Gemeinschaft in Bulgarien?
Trotz Diskriminierung und Hassverbrechen kämpft die LGBTI-Community in Bulgarien während der Sofia Pride für ihre Rechte Foto: sofiapride.org

In der Nacht auf den 30. Oktober 2021 wurde das LGBTI-Gemeinschaftszentrum Rainbow Hub in Sofia von zehn Männern gewaltsam angegriffen. Zu den Angreifern zählte auch der damalige Präsidentschaftskandidat Boyan Rasate. Er schlug einer der anwesenden Personen, die gerade einer trans-thematischen Veranstaltung beiwohnte, ins Gesicht. Das zeigt: Bulgarien ist kein sicheres Land für Personen, die nicht heterosexuell sind oder deren Geschlechtsidentität nicht dem binären Modell von männlich und weiblich entspricht.

Folgt auf dieses Verbrechen, das aus Hass und Vorurteilen begangen wurde, nun endlich ein Umdenken? Der Angreifer Rasate wurde einige Tage später seiner Immunität enthoben und von der Staatsanwaltschaft wegen grober Verletzung der öffentlichen Ordnung und Körperverletzung angeklagt. Laut Gesetz ist die Diskriminierung von Homosexuellen in Bulgarien verboten, dennoch gibt es keine rechtliche Anerkennung für gleichgeschlechtliche Paare. Damit Transpersonen ihr Geschlecht anerkennen lassen können, müssen sie sich erst einer geschlechtsangleichenden Operation unterziehen.

Auch innerhalb der bulgarischen Gesellschaft gibt es kaum Rückhalt für queere Menschen – nur 39% der Bulgar*innen finden laut einer Umfrage von 2019, dass schwule, lesbische oder bisexuelle Menschen dieselben Rechte haben sollten wie heterosexuelle. Diese Ablehnung gegenüber sexuellen Minderheiten führt häufig zu Hassverbrechen. Besonders in der Pride Saison 2021 häuften sich homophobe Angriffe auf LGBTI-Veranstaltungen. In Burgas, einer der größten Städte Bulgariens, wurden von einem homophoben Mob Steine, Rauchbomben und Eier auf Teilnehmer*innen einer Pride-Veranstaltung geworfen. Auf Plakate wurde mit großen Stickern „Stoppt das LGBTQ-Virus“ geklebt. Der Angriff Ende Oktober reihte sich damit in eine traurige Geschichte von Hassverbrechen.

Die Ratifizierung der Istanbul-Konvention, einem Abkommen des Europarats zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen, ist in Bulgarien gescheitert. Das zeigt deutlich, wie tief das Problem im politischen System Bulgariens verankert ist. Laut eines Beitrags der taz stellten sich nicht nur die Regierung, sondern auch die Opposition gegen das Abkommen. Der frühere stellvertretende Ministerpräsident Borisov sagte, dass die Annahme der Istanbul-Konvention dazu führe, eine „Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe“ oder gar „unkonventionelle Vorstellungen von Geschlecht durchzusetzen“.

Angesichts dieser Situation bieten zivilgesellschaftliche Organisationen wie Bilitis, die das angegriffene LGBTI-Gemeinschaftszentrum Rainbow Hub leitet, wenige kleine Inseln der Zuflucht für Menschen der LGBTI-Gemeinschaft. Sie schaffen Orte, wo sich queere Menschen vernetzen und gemeinsam aktiv werden können. Die LGBTI-Gemeinschaft in Bulgarien ist also bedroht, aber wachsam und widerständig. Doch wo sehen bulgarische Aktivist*innen Ansatzpunkte für eine Veränderung der prekären Situation und wie kann die EU hier unterstützen? Darüber habe ich am 7. Dezember 2021 mit Lilly Dragoeva, der geschäftsführenden Direktorin von Bilitis, gesprochen.

treffpunkteuropa.de: Was sind die Ziele und Schwerpunkte von Bilitis?

Lilly Dragoeva: Die Bilitis-Stiftung ist seit 2004 aktiv und damit die älteste bulgarische Organisation, die sich aktiv für LGBTI-Rechte einsetzt. Unsere Mission ist, alle Formen der Diskriminierung gegen queere Menschen zu eliminieren und Gleichberechtigung zu erreichen. Das heißt, wir unterstützen Mitglieder der LGBTI-Gemeinschaft durch Selbsthilfegruppen und veranstalten Fortbildungen, Festivals und Schulungen.

Neben der Arbeit in der Community muss es aber auch Veränderungen der rechtlichen Situation in Bulgarien geben. Traurigerweise haben wir nämlich immer noch keine ordentliche Gesetzgebung, die LGBTI-Personen schützt. Es braucht klare Strafen für Hassverbrechen und Hassrede, die Rechte von Regenbogenfamilien müssen gewährt und geschlechtsangleichende Operationen für intersexuelle Personen normalisiert werden. Auch muss eine Änderung des Geschlechts rechtlich anerkannt werden. Wir setzen uns dafür ein, dass sich die rechtliche Situation verbessert und sich gleichzeitig die öffentliche Einstellung gegenüber queeren Menschen ändert, denn die ist hier in Bulgarien immer noch sehr negativ.

Haben sich die öffentliche Meinung und die Situation in Bulgarien in den letzten Jahren verändert?

Seit die Ratifizierung der Istanbul-Konvention in Bulgarien im Jahr 2018 gescheitert ist, hat sich die Situation sehr verschlechtert. Das Abkommen wurden in Bulgarien dazu missbraucht, die LGBTI-Gemeinschaft zum Sündenbock zu machen und falsche Geschichten zu erzählen. Das Wort „Gender“ wird in unserer Sprache nun als Beleidigung verwendet.

Seitdem ist es immer schlimmer geworden. Deshalb versuchen wir, international auf die gefährliche Situation der LGBTI-Gemeinschaft in Bulgarien aufmerksam zu machen. Insgesamt war es ein schwieriges Jahr für das Land, geprägt von politischer Instabilität. Wir hatten drei aufeinanderfolgende Parlamentswahlen, weil keine Regierung zustande kam.

Außerdem kam es im Zuge der Wahlen zu zahlreichen Hassverbrechen. In der Periode vor der zweiten Wahl zwischen Mai und Juni, gab es eine Serie von Angriffen auf unser Gemeinschaftszentrum Rainbow Hub, das Bilitis zusammen mit der GLAS Foundation betreibt. Insgesamt kam es zu mehr als 15 Angriffen während der Vorbereitungen für die Sofia Pride am 12. Juli 2021.

Die extreme Rechte hat es allerdings nicht wieder ins Parlament geschafft, was eine sehr gute Nachricht für uns war. Doch kurz vor der dritten Wahl ereignete sich am 30. Oktober 2021 der Angriff auf unser Gemeinschaftszentrum. Während des Vorfalls schlug der Präsidentschaftskandidat Bojan Rasate meine Kollegin Gloria und zerstörte die gesamte Einrichtung. Für uns war das ein neues Ausmaß von Gewalt und komplett unerwartet. Das zeigt, wie sich die Dinge hier zum Schlechteren verändern und dass die Rechtsextremen glauben, dass sie ungestraft damit davonkommen.

Bei der Wahl am 14. November gewann eine proeuropäische Partei, genannt PP (Prodalzhavame promyanata) oder übersetzt ”Fortsetzung des Wandels“. Denkst du, dass die Wahl der Partei und ihr Einfluss im Parlament die Situation verändern werden?

Wir hoffen sehr, dass sich etwas verändern wird. In den letzten vier Jahren war die extreme Rechte Teil der Regierungskoalition und hat ihre Machtposition dazu missbraucht, Hassrede, Desinformationen und Fake News zu verbreiten. Statt der Rechten ist nun eine neue Partei im Parlament, die zwar stark linksorientiert ist, aber bei uns bedeutet das, dass sie von Russland beeinflusst wird. Also nutzt auch die PP verstärkt nationalistische und LGBTI-feindliche Sprache.

Dennoch setzen wir unsere Hoffnungen in die PP-Partei , denn sie sind ein neuer, proeuropäischer Akteur. Wir hoffen, dass die PP tatsächlich den Wandel vorantreibt und sich für die Menschenrechte einsetzt.

Wird sich die PP für die Rechte der LGBTI-Gemeinschaft einsetzen?

Normalerweise wird dem LGBTI-Thema in der Politik wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Viele Politiker*innen halten sich dazu eher bedeckt, weil sie Angst haben in einer überwiegend queerfeindlichen Gesellschaft an Popularität zu verlieren. LGBTI-feindliche Politiker*innen nutzen das Themen dagegen nur, um ihre Wähler*innen zu mobilisieren.

Dennoch finde ich, dass sich seit dem Angriff etwas verändert hat. Viele Parteien veröffentlichten Statements, in denen sie den Angriff verurteilten, auch die PP-Partei. Das ist ein gutes Zeichen. Sobald die Regierung gebildet ist, werden wir versuchen, mit der PP ins Gespräch zu kommen.

Was bedeutet die schwierige politische Situation für eure Arbeit?

Die ganze Situation in Bulgarien ist sehr schlecht: das Schulsystem, das Gesundheitssystem, jedes System hier ist kaputt. Wenn man die Geschichte betrachtet, haben Politiker*innen in den letzten zehn bis zwanzig Jahre ihre Macht dazu missbraucht, das System auszumelken. Gleichzeitig fehlt es an einem starken Rechtsstaat, der Politker*innen, die lügen und stehlen zur Verantwortung zieht. Daher haben wir ein großes Problem mit Korruption und die Gesellschaft hat kein Vertrauen in die Regierung.

In einem kaputten System ist es sehr schwer sich für die Menschenrechte einzusetzen. In dieser prekären Situation haben Menschen noch viele andere Sorgen und das Thema LGBTI-Rechte liegt außerhalb ihrer Gedankenwelt. Es ist den Menschen egal, denn sie haben größere Probleme.

Unser Arbeit entfaltet sich also in einem größeren Kampf für die Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und eine Debatte, die auf europäischen Werten basiert. Der Kampf für LGBTI-Rechte allein bringt uns nicht weiter, weil sich das System insgesamt verändern muss. Das ist sehr klar geworden.

Welche Rolle spielt internationaler Druck und der Einfluss europäischer Akteure für eure Arbeit?

Internationaler Druck ist entscheidend. Schon lange, aber jetzt mehr denn je. Wir haben einige internationale Partnerorganisationen, auch die EU. Mit ihrer Hilfe versuchen wir auf die Situation aufmerksam zu machen und unsere Regierung und die Politiker*innen unter Druck zu setzen.

Außerdem pflegen wir gute Beziehungen zu einigen Botschaften, Diplomaten und internationalen Medien. Das ist sehr wichtig. Wir alle wissen, was in Polen und Ungarn passiert, weil die internationale Aufmerksamkeit darauf gelenkt wird und viele Informationen auf Englisch verfügbar sind. Wenn wir nicht aus dem Bulgarischen übersetzen und Informationen darüber, was hier passiert über unsere Landesgrenzen hinaustragen, wir niemand etwas darüber erfahren. Das ist ein kleiner, einfacher Beitrag, aber er hat einen riesigen Einfluss: Egal was passiert, es bleibt sichtbar.

Nach dem Angriff haben wir große Unterstützung von der internationalen Gemeinschaft bekommen und unterschiedlichste Medienkanäle haben darüber berichtet. Diese internationale Aufmerksamkeit und der Druck sind sehr wichtig. Unsere Politiker*innen wollen nicht als die Bösen dastehen, sondern als gut und fürsorglich wahrgenommen werden. Wenn die internationale Gemeinschaft davon erfährt, was hier los ist, fühlen sie sich verpflichtet zu handeln.

Gibt es Kooperationen mit anderen nationalen und internationalen Organisationen?

Die Europäische Kommission ist die Hauptgeldgeberin für unsere Projekte, während die britische Sigrid Rausing Stiftung uns kontinuierliche Finanzierung gewährt. Wenn wir sie nicht hätten, wäre es eine riesige Herausforderung gewesen, weil wir sonst nur projektbezogene Unterstützung bekommen. Für uns ist eine langfristige Unterstützung wichtig, denn von ausschließlich projektbasierter Finanzierung kann man nicht nachhaltig arbeiten.

Außerdem haben wir Kollaborationen mit Kopenhagen Pride und Oslo Pride. Das ist eine große Stütze, denn sie haben viel Erfahrung und vernetzen uns mit weiteren Organisationen. Auf nationaler Ebene bauen wir mit anderen sozialen und Menschenrechtsorganisationen eine breite Koalition auf. Wenn wir unsere Kräfte bündeln, können wir in diesem schwierigen Umfeld viel mehr erreichen.

Stell dir vor es ist das Jahr 2035. Wie wird das Leben der LGBTI-Gemeinschaft in Bulgarien aussehen?

Das ist eine lustige und auch schwierige Frage. Ich hoffe, dass wir im Jahr 2035 eine rechtliche Grundlage haben, die queere Menschen anerkennt und schützt. Ich stelle mir auch vor, dass dieses Thema langweilig sein wird. Es wird ganz normal sein, „Business as usual“. Alle Bulgar*innen werden die Freiheit haben so zu sein, wie sie sind, ohne Angst zu haben oder sich verstecken zu müssen. Die Menschen werden sich auf andere Dinge konzentrieren, anstatt wie früher auf ihre Identität. Ja, das wird keine Rolle mehr spielen.

Vielen Dank für das Gespräch, Lilly!

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