Interrail für mehr Europagefühl – eine Utopie?

, von  Marie Menke

Interrail für mehr Europagefühl – eine Utopie?
Interrailabenteur gibt es bereits heute auf eigene Kosten. Geht es nach der EPP-Fraktion, sollen 18-jährige schon bald kostenfrei durch Europa reisen können © Ruben Bos /Flickr/ CC 2.0-Lizenz

Wenn der 18. Geburtstag gekommen ist, steht uns gefühlt die ganze Welt offen – oder eben ganz Europa. In der Presse kursierte in den vergangenen Wochen die Idee der EU, ihren Bürgern zum 18. Geburtstag ein Interrailticket zu schenken. Aber kann ein solches Geburtstagsgeschenk auch sein Ziel erreichen, nämlich für ein stärkeres Europagefühl der jungen Generation sorgen?

Meine Generation hat Grenzen innerhalb von Europa niemals kennengelernt. Vor meinem achtzehnten Geburtstag war ich mit meiner Familie in Spanien, auf Studienfahrt in Italien und im Schüleraustausch in Polen – ohne jemals ein Visum beantragt zu haben, ohne jemals eine Grenze bewusst erlebt zu haben. Spreche ich jedoch mit der Generation meiner Eltern über Europa, merke ich ihnen an, wie sehr sie diese Reisefreiheit, die Europa ihnen eines Tages plötzlich bot, begeisterte. Egal welche Punkte für sie persönlich in ihrer Jugend gegen Europa gesprochen haben mögen, die Freiheit, die Europa für sie brachte, empfanden sie als enorme Bereicherung, die sie als junge Menschen auf gar keinen Fall wieder missen mochten. Ich verstehe, dass Interrailtickets für alle Achtzehnjährigen eine solche Begeisterung wieder aufleben lassen sollen und Europa dank seiner Reisefreiheit attraktiver machen sollen.

Ich verstehe auch, wohin diese Idee führen soll. Wenn ich mir ein Europa vorstelle, in dem Achtzehnjährige traditionell nach dem Schulabschluss zu einer Europareise aufbrechen, dann finde ich die Idee nahezu genial. Ich hab nach meinem Schulabschluss einen Freiwilligendienst im Ausland gemacht, und als ich wiederkam und ebenso wiederkehrende Freiwillige traf, waren darunter junge Menschen, die in russischsprachigen Fußballteams in Lettland trainiert hatten, die Menschen mit Behinderung in Frankreich gepflegt hatten, die inzwischen fast fließend ungarisch sprachen. Mich begeistert so etwas und mich begeistert der Gedanke an backpackende, junge Menschen, die in ganz Europa aufeinandertreffen und dabei die unterschiedlichsten Länder und Kulturen kennenlernen. Vielleicht ist die Idee von Interrailtickets für alle allein deshalb einen Versuch wert.

Ich glaube aber auch, dass sie zu einfach gestrickt ist. Jahr für Jahr fahren unzählige frischgebackene deutsche Abiturienten zum Partyurlaub nach Spanien und nach Bulgarien. Um die Anreise zu finanzieren, käme ein solches Ticket gerade recht. Unsere Welt ist ausreichend konsumorientiert, dass sich Dienstleister einer steigenden Anzahl Interrailreisender annehmen und mit kostspieligen Zusatzangeboten die Europareise versüßen würden. Damit entfernen wir uns jedoch mehr und mehr zu dem Phänomen, das Europa wirklich ist.

Es mag pessimistisch kennen und ich mag vielleicht auch meine eigene Generation falsch einschätzen, aber ich kann nicht daran glauben, dass ein Großteil junger Menschen Interrailtickets dazu nutzen würde, Europa als das, was es ist, kennenzulernen: eine Union, zu der eben nicht nur Spanien, Deutschland und Frankreich, sondern ebenso Estland, Ungarn und die Niederlande gehören. Europa ist mehr als organisiertes Reisen und Hotels, Europa kennenzulernen, sollte ein aktiver Austausch und kein passives Anschauen sein. Es gibt oberflächlichen Tourismus, englischsprachige Bars in Portugal, All-inclusive-Flats in Bulgarien und unzählige Selfies mit Sehenswürdigkeiten; und es gibt echtes Eintauchen in eine neue Kultur. Ich glaube, dass Abiturienten sich ihren Abiurlaub wirklich verdient haben. Wenn die EU jedoch weiter in die Mobilität junger Europäer investieren möchte, so glaube ich, dass wir bereits Programme haben, die besser darauf ausgelegt sind, jungen Menschen einen Einblick in das tatsächliche Phänomen Europa zu geben.

Wir haben den Europäischen Freiwilligendienst, der schon Europäern ab 18 Jahren unabhängig vom Bildungsabschluss offen steht, wir haben Erasmus, Auslandssemester und -praktika für Studenten und Azubis, und wir haben Schüleraustausche. Wir haben bereits Interrailtickets, die mit einem Ferienjob erschwinglich sein dürften, und wir haben zahlreiche Stiftungen, die Reisestipendien anbieten, um Einzelpersonen längere Reisen zu bestimmten Studienthemen zu ermöglichen. Wir haben bereits Programme, die es wert wären, all das Geld, das Interrailtickets für alle Achtzehnjährigen kosten würden, in sie zu investieren – und darin, sie bekannter zu machen.

Post von der EU zum Achtzehnten? Gerne doch, aber so einfach sollten wir es uns nicht machen. Zum achtzehnten Geburtstag einen Brief von der EU zu erhalten, das ist ein Konzept, das ich gut finde. Das schafft ein gewisses Zugehörigkeitsgefühl und eine Möglichkeit für die EU, junge Bürger über ihre Möglichkeiten zu informieren, um Europa zu erkunden. Dass diese Briefe ein Interrailticket enthalten sollten, das würde ich jedoch nicht unterstützen, dass Interrailtickets für alle die Begeisterung für Europa wieder aufleben lassen könnten, das überzeugt mich nicht, denn es erscheint mir utopisch. Die Gelder, die die EU in ein solches Projekt investieren möchte, würde ich lieber in Programme für junge Europäer investiert sehen.

Ihr Kommentar
  • Am 7. Oktober 2016 um 11:45, von  mister-ede Als Antwort Interrail für mehr Europagefühl – eine Utopie?

    „Die Gelder, die die EU in ein solches Projekt investieren möchte, würde ich lieber in Programme für junge Europäer investiert sehen.“

    Ich würde das Geld lieber in humanitäre Kontingente für Flüchtlinge stecken. Solange die EU nämlich das Massensterben im Mittelmeer zulässt, finde ich es völlig daneben, über Luxusprobleme, wie Urlaubsfahrten, zu diskutieren.

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