Laut “Comisiones Obreras”, einer der repräsentativsten spanischen Gewerkschaften gab es dieses Jahr jedoch einen Zuwachs von 1.000 marokkanischen Arbeitnehmer*innen, und auch in Zukunft wird eine kontinuierliche Zunahme erwartet. In der Vergangenheit, als osteuropäische Länder wie Rumänien oder Bulgarien noch nicht der EU angehörten, gab es eine erhebliche Einwanderung aus diesen Ländern nach Spanien. Noch 2012 arbeiteten rund 800.000 Rumän*innen in Spanien, doch die Zahl sank auf 500.000, weshalb Besitzer*innen von landwirtschaftlichen Betrieben ihre Aufmerksamkeit auf Einwandernde aus EU-Drittstaaten verschieben. Um jeden Euro zu sparen, entscheiden sich die meisten Saisonarbeiter*innen dafür, in den von den Eigentümer*innen zur Verfügung gestellten Unterkünften zu wohnen. Diese Unterkünfte sind oft einfache Blockhäuser aus Beton mit einem Dach aus Schiefer oder Wellblech. Viele dieser Häuser haben keine Toiletten oder Anschluss an fließendes Wasser und Arbeiter*innen werden immer wieder gezwungen, in diesen schlecht isolierten und überfüllten Räumen zu wohnen.
In Marokko beträgt der Mindestlohn etwa 300 Euro pro Monat und vor allem Frauen haben Schwierigkeiten, eine Anstellung zu finden. Die Nationale Agentur zur Förderung der Beschäftigung (ANAPEC) ist eine marokkanische Regierungsbehörde, die sich um die Einstellung von Mitarbeiter*innen kümmert und als Verbindungsorganisation zwischen spanischen Arbeitgebenden und marokkanischen Arbeitnehmenden fungiert. Genauer gesagt wählt diese Agentur gezielt weibliche Bewerberinnen für Saisonarbeitsvisa aus, die kleine Kinder haben, die auf Unterstützung angewiesen sind. Außerdem erfüllen sie die von spanischen Geschäftsleuten geforderten Kriterien: junge Frauen im Alter von 25 bis 40 Jahren, mit Erfahrung in der landwirtschaftlichen Arbeit und bei guter Gesundheit.
Für viele ist es ein attraktives Angebot, auf einem Bauernhof in Europa zu arbeiten, wo Saisonarbeiter*innen je nach Arbeitszeit zwischen 800 und 1.500 Euro pro Monat verdienen können. Doch sie erwarten oft nicht nur harte Arbeitsbedingungen, sondern viele Frauen sind auch sexueller Belästigung ausgesetzt. Wenn Arbeiterinnen darüber aussagen wollen, werden sie oft von den Besitzer*innen gefeuert und nach Marokko zurückgeschickt.
„Historisch gesehen, arbeiteten vor allem Jugendliche und Rentner*innen als Saisonkräfte, um zum Beispiel ihre Rente aufzubessern. Heute haben die inländischen Arbeitskräfte zum Großteil das Land verlassen, um in die Städte zu ziehen. Die, die bleiben, sind die Eigentümer der Bauernhöfe und sie beschäftigen hauptsächlich eingewanderte Menschen.„- Vicente Jimenez Sanchez, Spanische Arbeiterkommission “Comisiones Obreras“
In Europa ist diese Praxis keine Seltenheit: Aufgrund des Mangels an einheimischen Arbeitskräften im Agrarsektor, werden sie immer mehr von Saisonarbeiter*innen aus dem Ausland ersetzt. Ein Bericht aus dem Jahr 2021 über eingewanderte Saisonarbeiter*innen in der europäischen Landwirtschaft zeigt, dass rund 300.000 Saisonkräfte jährlich nach Deutschland kommen, insbesondere aus Polen und Rumänien. Zur Erntezeit von Beeren in Schweden gibt es etwa 3.000 bis 5.000 sog. Wanderarbeiter*innen, die über Agenturen, meist aus Thailand, in das skandinavische Land kommen. Die polnische Landwirtschaft ist vor allem auf ukrainische Arbeiter*innen angewiesen, während in Frankreich etwa 276.000 Genehmigungen für Saisonkräfte ausgestellt wurden, vor allem für marokkanische Staatsangehörige. In Italien sind laut offiziellen Zahlen etwa 370,000 Migrant*innen aus 155 Ländern in der Landwirtschaft beschäftigt, was 27 Prozent der legalen landwirtschaftlichen Arbeitskräfte ausmacht. Insgesamt befinden sich jährlich schätzungsweise 800,000 bis eine Million Saisonarbeiter*innen in der EU und arbeiten im Landwirtschaftssektor.
„Der Agrarsektor in Europa steht vor großen Problemen und es bedarf dringender Reformen, sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene." - Enrico Somaglia, stellv. Generalsekretär des Europäischen Verbands der Landwirtschafts-, Lebensmittel- und Tourismusgewerkschaften (EFFAT)
Eine praktische Maßnahme bestehe darin, sicherzustellen, dass Arbeitnehmende Zugang zu Informationen über ihre Rechte haben und diese Rechte auch durchsetzen können. Deshalb hat EFFAT zuletzt die Kampagne und die App Saison@Work gestartet, eine Plattform, die Informationen zu Themen wie Arbeitsverträgen, Lohn, Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz sowie Sozialschutz anbietet. Ziel ist es auch, die Kommunikation mit Saisonarbeiter*innen mit Migrationshintergrund zu fördern und sie mit den örtlichen Gewerkschaften in Kontakt zu bringen. Derzeit wird Season@Work für acht Länder und in 11 verschiedenen Sprachen angeboten, darunter in Spanisch, Rumänisch, Arabisch und Portugiesisch.
Laut Aura Plesca vom Beratungsstandort “Faire Mobilität” des DGB, sind viele Arbeitnehmer*innen mit Verstößen konfrontiert, weil es keine Kontrollen durch Arbeitsschutzinstitutionen gibt. In den meisten dieser Institutionen gibt es nur wenige Mitarbeitende, die keine ausreichenden Kontrollen durchführen. Deshalb ist es wichtig, dass der Staat durch Investitionen in diese Institutionen auch dafür sorgt, dass die Rechte der Arbeitnehmer*innen gewahrt bleiben.
Die App soll Arbeiter*innen durch Aufklärung über ihre Rechte vor Ausbeutung und Übergriffen schützen.
Rechtliche Maßnahmen auf EU-Ebene
Darüber hinaus sind rechtliche Reformen in der EU nötig, um sichere Arbeitsbedingungen für Saisonarbeiter*innen aus dem Ausland zu gewährleisten. Im Jahr 2021 präsentierte EFFAT eine Reihe von Forderungen, unter anderem das Verbot von Subunternehmen in bestimmten Sektoren wie der Fleischindustrie, wo die Vergabe von solchen Subaufträgen dazu dient, Kosten zu drücken und die Haftung des Arbeitgebers zu vermeiden. Saisonarbeiter*innen sollen außerdem über einen vollständigen Sozialversicherungsschutz verfügen, was einen grenzüberschreitenden Europäischen Sozialversicherungspass erfordern würde. Dieser sollte eine europäische Sozialversicherungsnummer enthalten, um die Übertragbarkeit von Sozialversicherungsleistungen bei einem Länderwechsel zu erleichtern.
Eine weitere Möglichkeit, sichere Arbeitsbedingungen für Saisonarbeitende zu gewährleisten, besteht darin, auf das Geld zu schauen, das Landwirt*innen von der EU erhalten, beispielsweise aus der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP). Wie der Name schon sagt, handelt es sich bei der GAP um eine Reihe von EU-Gesetzen, um eine einheitliche Landwirtschaftspolitik in allen Mitgleidsstaaten zu gewährleisten. Im Jahr 2021 entfielen 33,1 Prozent des EU-Haushalts auf die GAP. Landwirt*innen in Europa erhalten dadurch Subventionen als Gegenleistung für die Erfüllung bestimmter in der EU vereinbarter Kriterien. Bisher war die Konditionalität der GAP mit Dingen wie der Qualität des Bodens, dem Schutz der Artenvielfalt oder dem Schutz von Kälbern und Schweinen verbunden. In diesem Jahr enthält der neue GAP-Strategieplan für 2023-2027 erstmals eine Soziale Konditionalität als zentrales Prinzip. Das bedeutet, dass Landwirt*innen grundlegende Standards in Bezug auf Beschäftigung sowie Gesundheit und Sicherheit ihrer Arbeitnehmer*innen erfüllen müssen, um entsprechende Gelder zu erhalten. Laut EFFAT ist so eine soziale Konditionalität nicht nur fair, sondern auch ein wirksames Instrument zur Anhebung der Arbeitsstandards in einem der prekärsten Wirtschaftszweige. Das von der GAP erhaltene Geld ist eine wichtige wirtschaftliche Hilfe für Landwirt*innen, erklärt Vincent Jimenez Sanchez der spanischen Gewerkschaft „Comisiones Obreras“:
„Die GAP zahlt mir als landwirtschaftlichem Grundstückseigentümer jedes Jahr 30.000 Euro an Zuschüssen. Wenn ich das Gesetz zum Verbot der Vermeidung von Risiken am Arbeitsplatz nicht einhalte oder wenn ich unregulierte Arbeiter*innen auf meinem Land habe, kann es sein, dass mein Zuschuss aufgrund der sozialen Konditionalität um die Hälfte gekürzt wird. Es könnten dann nur 25.000 oder 20.000 Euro wegen der Verletzung der Arbeitnehmerrechte bleiben.“
Aber damit die soziale Konditionalität wirksam ist, müssen die Mitgliedsstaaten dafür sorgen, dass es regelmäßig zu Kontrollen kommt und angemessene Sanktionen in Fällen, in denen Landwirt*innen die Standards nicht einhalten, verhängt werden. Laut Enrico Somaglia von EFFAT haben die Sparmaßnahmen leider zu einem Rückgang der Inspektionen geführt. „Die EU-Kommission muss die Rolle übernehmen, die Festlegung dieser sozialen Konditionalität zu koordinieren“, sagt er. Die Soziale Konditionalität in der GAP wird außerdem erst im Jahr 2025 verbindlich. In der Zwischenzeit müssen weitere Anstrengungen zum Schutz der Rechte von saisonalen Arbeitsmigrant*innen unternommen werden. Dies geschieht auch teilweise schon durch den stärkeren Schutz von Migrationsrechten für Arbeitnehmende, zum Beispiel in Spanien.
Saisonale Wanderarbeiter*innen müssen durch umfassende Migrationsrechte auf EU-Ebene geschützt werden
Die spanische Arbeitsmarktreform aus dem Jahr 2022 unter der Leitung der Ministerin für Arbeit und Sozialwirtschaft, Yolanda Diaz, bietet marokkanischen Arbeitnehmer*innen bereits jetzt Rechtssicherheit, da es ihnen die Einreise nach Spanien mit einem diskontinuierlichen, aber festen Vertrag ermöglicht. Das bedeutet mehr Stabilität und Sicherheit für die saisonalen Arbeiter*innen. Ihnen wird eine vierjährige Arbeitserlaubnis ausgestellt, die es ihnen erlaubt, insgesamt neun Monate pro Jahr in Spanien zu arbeiten. Wenn die Rückkehr in ihr Herkunftsland nach Ablauf der Arbeitsperiode erfolgt, kann diese Erlaubnis um weitere vier Jahre verlängert oder in eine Erlaubnis geändert werden, die es ihnen erlaubt, zwei Jahre lang legal in Spanien zu leben und zu arbeiten. Insgesamt wurden die Bestimmungen des Einwanderungsgesetzes überarbeitet, um die Einstellung ausländischer Staatsangehöriger zu erleichtern. Das stellt einen Fortschritt für Saisonarbeitskräfte aus Ländern außerhalb des Schengen-Raums dar. Die europäische Migrationspolitik wird daher zu einem Schlüsselfaktor für den Schutz der Arbeitsbedingungen.
„Aufgrund der Unstimmigkeiten in der Einwanderungsgesetzgebung arbeitet eine beträchtliche Anzahl von Migrant*innen, die auf den landwirtschaftlichen Betrieben Spaniens arbeiten und dort wohnen, ohne ordnungsgemäße Dokumentation. Aufgrund ihrer Verletzlichkeit sind sie bereit, unter riskanten Bedingungen und für ein geringeres Gehalt zu arbeiten. Unter diesen Umständen kommt es zur Ausbeutung der Arbeitskraft. Aus diesem Grund ist es unerlässlich, die Grundlagen zu regeln, um die Arbeitsrechte aller zu gewährleisten und diesen Menschen eine faire Arbeit zu ermöglichen“
sagt Vicente Jimenez Sanchez, der spanischen Gewerkschaft „Comisiones Obreras“. Wird die Europäische Union in der Lage sein, dieses Problem effizient und nachhaltig anzugehen? Während Spanien die Führungsrolle im Rat der Europäischen Union nun abgegeben hat, bleibt dies eine Frage, die es wert ist, gestellt zu werden.
Dieser Artikel ist Teil des Projekts „Newsroom Europa", das junge Europäer aus drei EU-Mitgliedstaaten (Deutschland, Schweden und Spanien) in kritischer und aufgeschlossener Medienberichterstattung und zur Funktionsweise der europäischen Entscheidungsfindung schult. Das Projekt wird gemeinsam von der Europäischen Akademie Berlin e.V. durchgeführt Nationalmuseen für Weltkultur Schweden und der Friedrich-Naumann-Stiftung Spanien und wird auch von der Europäischen Union kofinanziert.
Förderer des Projekts „Newsroom Europe“
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