Klima-Aktivismus als weißes Privileg

, von  David Vilentchik

Klima-Aktivismus als weißes Privileg
Bild: Unsplash / Markus Spiske / Lizenz. Bildbearbeitung: Anja Meunier

Klima-Bewegungen werden immer wieder kritisiert. Während ein Teil der Kritik getrost ignoriert werden kann, da sie wenig bis gar nicht konstruktiv ist, scheint ein anderer Teil durchaus seine Berechtigung zu haben. Immer lauter wird die Meinung, dass Klima-Bewegungen zu weiß und privilegiert seien. Wie viel Wahrheit ist dran an dieser These? Dieser Frage hat sich David Vilentchik gewidmet.

Seit einem Jahr existiert nun schon die Bewegung Fridays for Future (FFF) und bewirkte bereits einiges, sei es das große mediale Echo oder die Ausrufung des Klimanotstands seitens des Europäischen Parlaments. Jedoch wird zunehmend Kritik laut, dass Klima-Bewegungen wie FFF und Extinction Rebellion (XR) zu sehr aus einer weißen Perspektive agieren würden und es an Diversität mangele. Ebenfalls vermisse man eine globale Betrachtung des Klimaschutzes und der Klimaschädigung und verknüpft dies mit dem Begriff der Klimagerechtigkeit. Zwei Podcasts haben sich mit der Kritik auseinandergesetzt und Alternativen aufgezeigt.

Mangelnde Diversität in Klima-Bewegungen

Im „Karakaya Talk“ sprach Esra Karakaya mit der Sozialwissenschaftlerin Imeh Ituen, die sich in Klima-Bewegungen mit PoC (People of Color) engagiert. Ihre Kritik ist, dass PoC und finanziell Benachteiligte in Klimafragen nicht mitgedacht werden und die Zugänge zu Informationen und Handlungsmöglichkeiten nicht gleich gegeben seien. Jene These stützt die Studie von Dorceta E. Taylor, die feststellt, dass die Diversität in den Umweltbewegungen nicht ausreichend sei, da nur Geschlechterdiversität zunehmend hergestellt, aber antiklassistische und antirassistische Ansätze noch nicht integriert seien. Sarah-Lee Heinrichs, engagiert in der Grünen Jugend, stimmt zu und vermisst Repräsentationsfiguren aus den aktuell noch unterrepräsentierten Communities. Yasemin M’Barek, Journalistin, geht weiter und kritisiert den medialen Fokus auf Greta Thunberg, die als Vordenkerin der FFF gilt, die dieses Jahr den Atlantik mit einer Segelyacht überquerte, um am UN-Klimagipfel in New York vom 23. bis 29. September teilzunehmen. Gerade in diesem Punkt kann die Frage gestellt werden, inwiefern ihre Privilegien dazu dienlich waren, eine Überfahrt zu organisieren und zudem freitags der Schule fernzubleiben. Fraglich ist, ob eine Jugendlich aus einer Familie mit geringerem Zugang zu Bildung den gleichen Rückhalt bekommen hätte.

Aktivismus ist damit eine finanzielle Ressourcenfrage, denn Ressourcen ermöglichen Mobilität. Und da kommen Diskutierende wieder zum Fliegen. Denn dieses Thema scheint in diesem Diskurs ein unvermeidliches Thema zu sein. Allerdings ist die Debatte eu-rozentristisch, denn die Klima-Bewegung in Europa ist mehrheitlich weiß.

Imeh Ituen stellt allerdings klar, dass globale Klima-Bewegungen mehrheitlich von People of Color geprägt seien. Das heißt, die mediale Repräsentation der Beteiligten ist weiß und vernachlässigt Klima-Aktivismus wie beispielsweise von Wangari Maathai oder Aktivist*innen in Indien, Kenia und China. Gerade in Kenia lassen sich staatliche Fortschritte verzeichnen. Das Verbot von Plastik ist ein erster großer Schritt, umweltschädigendes Verhalten einzudämmen. Da ist Europa noch nicht so weit und kann von außereuropäischen Erfolgen lernen.

Globale Fragen des Klimaschutzes

Ein Negativbeispiel ist hingegen der Zyklon, der 2019 über Mosambik wütete und verheerende Zustände hervorrief. Das fand zwar ein mediales Echo in deutschen Medien, jedoch fehlte die Verknüpfung der Schäden im globalen Süden mit der Verantwortung des globalen Nordens. Zu der dekolonialen Perspektive des Klima-Aktivismus nehmen Aaliyah Bah-Traoré und Shayli Kartal im Podcast „Kanackische Welle“ Stellung.

Der Podcast, produziert von Marcel Aburakia und Malcolm Ohanwe, diskutierte die Frage, wie weiß der (deutsche) Klima-Aktivismus ist. Anekdote war die Kritik von Rapper Chefket an FFF, rassistisch zu sein, und das aufgrund eines Vorwurfs, mit Straffälligen wie Xatar zu kollaborieren. Das oberflächlich Scheinende gewinnt jedoch zunehmend an Tiefe, als die kollektive Schuldfrage gestellt wird.

Gegenstand der Debatte war einerseits die Systemfrage und andererseits die Bewusstwerdung von Eigenverantwortung im Globalen Norden. Denn Fakt ist, dass sechs der zehn Länder mit den größten CO2-Emissionen (2017) dem Globalen Norden zugeordnet werden. Wird allerdings der Pro-Kopf-Verbrauch in Tonnen herangezogen, so dominieren arabische Ölstaaten in den Top 3. Jedoch sind es danach vorwiegend Staaten des Globalen Nordens, die einen hohen Pro-Kopf-Verbrauch aufweisen. Deshalb ist die These von Bah-Traoré und Kartal zutreffend, der Globale Norden habe maßgeblichen Anteil an der zunehmenden Erderwärmung.

Die Industrialisierung ist in den betreffenden Staaten abgeschlossen und die Technologien sind nahezu vollkommen ausgereift. Was nicht bedeuten soll, dass alternative Technologien gefordert sind, die die CO2-Emissionen verringern und weitere Umweltverschmutzungen vermeiden soll. Ebenfalls darf keinesfalls die Erkenntnis suggeriert werden, dass der Globale Süden keine Kapazitäten hätte, Klimaschutz zu betreiben. Im Gegenteil: Gerade Schwellenländer wie China sind gerade dabei, hochwertige Technologien zu etablieren, die den Klimaschutz begünstigen, auch wenn die Luft- und Wasserverschmutzung dort sehr hoch ist und dreimal häufiger als Todesursache festgestellt wird als AIDS und Malaria. Auch in afrikanischen Ländern ist Potenzial für effektiven Klimaschutz vorhanden. Allerdings ist technologische Unterstützung seitens des Globalen Nordens nötig, ohne eine paternalistische Haltung an den Tag zu legen, da sie nicht in der Position sind, Verantwortung für die Klimaschäden auf andere abzuwälzen.

Über Sinn und Unsinn der Schuldfrage

Das heißt kurzgefasst, die Klimafrage ist zugleich eine Ressourcenfrage. Gerade die fehlende Problematisierung der globalen Zusammenhänge innerhalb der Klima-Bewegungen, beispielsweise Export von Müll, die Ausbeutung von wertvollen Rohstoffen und der Ausbau von Mobilität, wird von Kartal scharf kritisiert. Stattdessen kommt es, so sagen es die Diskutierenden, zu übergriffigen Aussagen, dass man ja nicht mehr fliegen dürfe, da es das Klima zu stark belaste. Allerdings wird außer Acht gelassen, und das prangert Sarah-Lee Heinrichs im Karakaya Talk an, dass PoC oft Familie im Ausland haben und sie diese ohnehin selten sehen. So sei es ein innerer Konflikt zwischen dem Bedürfnis, den eigenen ökologischen Fußabdruck kleinzuhalten, und der Sehnsucht, die Familie besuchen zu können.

Daher ist es nicht zielführend eine individuelle Schuldfrage zu stellen, sondern einen Appell an staatlich Agierende zu richten. Jener ist an Regierungen zu richten, um die notwendigen Rahmenbedingungen herzustellen, damit eine klimafreundlichere Mobilität und ein umweltverträglicher Alltag gewährleistet werden kann. Der Appell darf dabei nicht ausschließlich von der weißen Mehrheitsgesellschaft formuliert werden, sondern daran müssen sich People of Color, körperlich, diskursiv und finanziell Benachteiligte, Arbeiter*innen und LGBTIQ*-Personen beteiligen.

Strategische Maßnahmen für mehr Diversität im Klimaschutz

Da überhaupt nur 3 Prozent der Weltbevölkerung im Jahr 2017 geflogen sind, ist die Lösung nicht nur im Flugbetrieb allein zu suchen, sondern im allgemeinen Ressourcenverbrauch. Es muss eine konsequente Konsumkritik formuliert werden. Sowohl der eigene Konsum als auch der kollektive Konsum von Gütern und Ressourcen muss überdacht werden. Dies kann allerdings nur geschehen, wenn die Systemfrage gestellt wird. Bah-Traoré möchte antirassistischen, antiklassistischen und sozialistischen Klimaschutz nach Vorbild des Revolutionärs Thomas Sankara ans Herz legen. Soweit sind die Diskutierenden im Karakaya Talk nicht gegangen. Sie wünschen sich aber genauso Inklusion in Bewegungen und globale Bündnisse, die Antirassismus und Antiklassismus mitdenken sowie die Vermeidung der individuellen Schuldfrage. Ebenfalls soll Engagement gefördert werden, falls finanzielle Ressourcen gegeben sind. Ob dies inner- oder außerhalb von Strukturen funktioniert, bleibt abzuwarten.

Was alle Beteiligten wollen ist eines: Klimagerechtigkeit!

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