Köpfe 2016: Martin Selmayr

, von  Kai Pittelkow

Köpfe 2016: Martin Selmayr
Martin Selmayr am Abend der Europawahl 2014 © European People’s Party / Flickr / Attribution 2.0 Generic (CC BY 2.0)

Martin Selmayr ist Rechtswissenschaftler und seit November 2014 Kabinettchef Jean-Claude Junckers. 2016 spielt der 45-Jährige eine entscheidende Rolle. Wir stellen ihn heute vor.

Junckers Strippenzieher

Spät wurde es beim vergangenen Treffen der europäischen Staats- und Regierungschefs in Brüssel am 18. und 19. Februar. Mit den Verhandlungen über den Verbleib und den Status Großbritanniens in der Europäischen Union sowie über die derzeitige „Flüchtlingskrise“ hatte der Europäische Rat zwei brennende Themen auf seiner Agenda. Kaum zu sehen und doch ganz vorne dabei: Martin Selmayr. Als rechte Hand des EU-Kommissionspräsidenten Jean Claude Juncker geht er in die technischen Vorgespräche mit den Chefunterhändlern der Mitgliedstaaten. Viel weiß man nicht über den Leiter des Juncker-Kabinetts. Für manche ein Dorn im Auge, als Technokrat oder Spindoktor verschrien, als europäischer Föderalist gelobt, bleibt die Erkenntnis: Der 45-Jährige wird die Chance haben, Europa 2016 entscheidend mitzuprägen.

Der Karrierist

Selmayr begann seine Karriere bei der Europäischen Zentralbank. Der Rechtswissenschaftler empfahl sich erstmals als Berater für die Abgeordneten der Europäischen Volkspartei während des Konvents für den Vertrag über eine Verfassung für Europa 2002/2003. Was nur wenige wissen, Selmayr formulierte unter anderem mit Juncker und dem EVP-Abgeordneten Elmar Brok einen Absatz des Vertrages über die EU, der seit seiner Umsetzung den EU-Wahlkampf europäischer gestaltet. Mit dem Artikel 17 Absatz 7 berücksichtigt der Europäische Rat „das Ergebnis der Wahlen zum Europäischen Parlament“, wenn er den Europaabgeordneten einen Kandidaten für das Amt des Präsidenten der Kommission vorschlägt. Ein wichtiger erster Schritt in Richtung eines transnationalen Wahlkampfes. Mit diesem Erfolg ging es für den in Bonn geborenen Selmayr schnell nach oben. Als Sprecher der EU-Vizekommissarin Viviane Reding senkte der Deutsche die Roaminggebühren für Handygespräche, brachte damit den EU-Bürgern eine günstigere Gesprächsverbindung und sich den Posten des Kabinettschefs der Luxemburgerin. Selmayr hätte wohl gerne Reding als Präsidentin der Kommission begleitet, führte aber schließlich den vielversprechenden Juncker als Wahlkampfmanager zum Amt des Kommissionspräsidenten. Im Berlaymont-Gebäude angekommen, stellte der Taktiker die neue Kommission mit auf, führte das neue Clusterkonzept ein und etablierte eine politischere Kommission. Egal ob Binnenmarkt, Datenschutz, Energieunion, Kapitalunion, EU-Armee, Quotenregelung zur Verteilung von Geflüchteten – Junckers engster Vertrauter gestaltet mit.

Der Europäer

Doch was treibt Martin Selmayr an? Sein Instinkt für die wichtigen Posten oder ein besseres Europa? Wohl beides: Wer so einen Karriereweg geht, der hat nicht nur eine Idee von Europa, sondern einen Blick für das Machtgefüge – das ist im europäischen Verhandlungssystem Gold wert. Im Kindesalter vom europäischen Friedensprojekt angesteckt, ist es aber Selmayrs europäische Überzeugung, seine internationale Arbeitsweise, sein Sinn für Gleichheit, rechtsstaatliche Prinzipien und Demokratie, die den Attitüden großer Mitgliedstaaten oder Nationalitäten widersprechen. Wer angenommen hätte, der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble freue sich über einen Deutschen an der Seite Junckers, der läge falsch. Berlin stöhnt angeblich auf, wenn der Name „Selmayr“ zu hören sei. Denn früh warnte der Rechts- und Finanzexperte vor einem rein ökonomischen Blick auf die europäische Finanz- sowie Wirtschaftskrise und lobte mehrfach die Reformvorschläge der Tsipras-Regierung. Äußerungen, die aus den deutschen Regierungskreisen als zu nachgiebig kritisiert wurden, zeigen Selmayrs Geradlinigkeit. 2012 stellte er fest, dass nur ein Umbau der Währungs- und Wirtschaftsunion einen Ausweg aus der Krise ermöglicht. Im gleichen Atemzug machte der Christdemokrat deutlich, dass die EU mehr sein müsse, als die Stabilisierung der Wirtschaftsunion und hielt eine „Politische Union“ für notwendig, die mehr Souveränität auf die europäische Ebene transferiert und konsequenterweise auf einen Bundesstaat hinausläuft. Vier Jahre sind seit dem Gespräch vergangen. 2016 wird womöglich der Höhepunkt des fast zehn Jahre andauernden Stresstests der EU. Ob er in seiner Einstellung unnachgiebig geblieben ist?

Selmayr hat mit der Geschichte der Europäischen Union eines gemeinsam: Nie ging es ausschließlich um materielle Nutzenmaximierung, sondern um Ideale und normative Werte, die Impulsgeber für ein engeres Europa waren. Politische Entscheider, die beides im Blick haben, das Nötige anpacken und das Mögliche ausreizen, braucht Europa.

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