Dreizehn Stockwerke hat das imposante Bauwerk am Ufer des Düna-Stromes, 68 Meter ist es hoch. Darin befinden sich etwa vier Millionen Bücher aller Gattungen in verschiedensten Sprachen. Seitdem Riga vor vier Jahren zur „Kulturhauptstadt Europas 2014“ ernannt wurde, sind es Projekte wie der Neubau der Nationalbibliothek, die die lettische Hauptstadt wachsen lassen. Die Stadt will der Kultur einen repräsentativen Raum bieten. Koste es, was es wolle. In diesem Fall sind es 193 Millionen Euro, die der Bau des in Riga geborenen US-amerikanischen Architekten Gunnar Birkerts schätzungsweise kosten wird.
Auch das lettische Sinfonie-Orchester wird anlässlich der EU-Kulturinitiative eine neue Konzerthalle bekommen. Daneben wird im ehemaligen Kraftwerksgebäude Andrejsala ein nagelneues Museum für Zeitgenössische Kunst entstehen. Im Licht der lettischen Wirtschaftskrise im Jahr 2009 und einer damit verbundenen 30-prozentigen Budgetkürzung im Kultursektor sind es hohe Opfer, die Riga bringt, um dem Titel „Kulturhauptstadt“ gerecht zu werden.
Ziel: Mehr Verständnis füreinander
Die Bürger Europas sollen durch die europäische Kulturinitiative mehr Verständnis füreinander bekommen. Das Ziel: Die kulturelle Vielfalt Europas, der jeweiligen Stadt und der Region sollen besser zur Geltung kommen. Auf Initiative der ehemaligen griechischen Kulturministerin Melina Mercourihin wird deswegen seit 1985 jährlich der Titel „Kulturstadt Europas“, seit 1999 „Kulturhauptstadt Europas“ vergeben. Insgesamt 1,5 Millionen Euro investiert die europäische Kommission in jede Kulturhauptstadt. Für Riga lohnt sich der Titel damit sowohl finanziell als auch touristisch. Dem sind sich auch die Einwohner der Stadt bewusst.
„Dialog europäischer Kulturen fördern“
Um den Beinamen „Kulturhauptstadt“ tragen zu dürfen, musste Riga vor einer siebenköpfigen Jury aus hochrangigen Mitgliedern des Europäischen Parlaments, des EU-Rats, der EU-Kommission und eines Mitglieds des Ausschuss der Regionen bestehen. Auch mussten elf von der EU auferlegte Evaluationskriterien bestmöglich erfüllt werden. Gefordert sind unter anderem Aktionen, die den „Dialog europäischer Kulturen fördern“, die kulturelle Historie der Stadt herausheben und die Stadtentwicklung der nächsten Jahre aufzeigen.
Spätestens vier Jahre im Voraus erfahren die Städte, welche es von ihnen zur „Kulturhauptstadt Europas“ geschafft hat. Um jüngeren EU-Mitgliedsstaaten, wie Lettland – seit 1. Mai 2004 EU-Mitglied - und seiner 700.000 Einwohner-Hauptstadt Riga in die Aktion zu integrieren, werden seit 2009 jeweils eine Stadt aus den alten und eine aus den neuen EU-Mitgliedsstaaten ausgezeichnet.
Deutschlands letztes Kulturhauptstadt-Jahr weckt tragische Erinnerungen
Die letzte deutsche Kulturhauptstadt war Essen. Unter dem Motto „Ruhr 2010“ hat die Stadt die Stahlkraft und Tücken dieser Auszeichnung erlebt. Millionen von Besuchern strömten über das Jahr hinweg ins Ruhrgebiet. An Veranstaltungen wie dem „Still-Leben-Ruhrschnellweg“ – der Stilllegung einer Autobahn für 31 Stunden – beteiligten sich etwa drei Millionen Menschen.
Etwa halb so viele waren es am 24. Juli 2010. In Duisburg fand an diesem Tag die 19. Auflage der „Loveparade“ statt. Was als rauschendes Techno-Fest begann, endete in einer Tragödie: 21 Menschen kamen in Folge fehlgeleiteter Besucherströme ums Leben, 541 weitere wurden verletzt. Auch die horrenden Kosten der „Ruhr.2010“, etwa 62 Millionen Euro, die zu einem großen Teil durch Fördergelder und Sponsoren getragen wurde, sorgten für Probleme. Nach Ende der Veranstaltung klaffte eine Finanzierungslücke von sieben Millionen Euro.
All das möchte Nils Ušakovs nicht erleben. Der amtierende Bürgermeister hofft, dass Riga sich bald zu einer nachhaltigen Kulturhochburg wandelt. Um die kulturelle Bedeutung des Landes zu unterstreichen, reichte bei der Eröffnungsfeier eine zwei Kilometer lange Menschenkette Werke von der alten in die neue lettische Nationalbibliothek weiter. Kultur transportieren, das möchte Riga in diesem Jahr. Fehlen durfte bei der Eröffnungsfeier Mitte Januar auch Richard Wagner nicht. Er war von 1837 an zwei Jahre als Kapellmeister in Riga tätig. Aufwendig wurde dessen tragische Oper „Rienzi“ inszeniert.
Alles in allem ist es eine spannende Entscheidung der Jury, Riga als eine von zwei „Kulturhauptstädten Europas“ zu wählen. Die Stadt bekommt so die Chance, sich noch mehr Europäern zu öffnen, den - für das ganze Land sehr wichtigen – Tourismus-Sektor weiter zu beleben und die Wirtschaft anzukurbeln. Auch die wunderschöne Innenstadt Rigas, die seit 1997 UNESCO-Weltkulturerbstätte ist, kann endlich einer breiteren Öffentlichkeit präsentiert werden. Riga bleibt zu wünschen, dass es von finanziellen und sicherheitstechnischen Fehlplanungen, wie sie bei der „Ruhr.2010“ in Essen offensichtlich geworden sind, verschont bleibt. Ansonsten könnte der Titel für die reizvolle Stadt im Baltikum mehr Albtraum als Aufbruch bedeuten.
Foto: Gontek
Kommentare verfolgen: |