Maastricht Debatte: Teil I

Maastricht-Debatte: Die Kandidat*innen für die Präsidentschaft der EU-Kommission kennenlernen

, von  Lorène Weber, Paola Lo Bue Oddo, übersetzt von Anja Meunier

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Maastricht-Debatte: Die Kandidat*innen für die Präsidentschaft der EU-Kommission kennenlernen
Foto: Maija Maunu von JEF-Europe.

Die Debatte zwischen fünf Spitzenkandidat*innen für die Präsidentschaft der Europäischen Kommission an der Universität Maastricht war bisher die bedeutendste Episode des europaweiten Wahlkampfes. Lorène Weber und Paola Lo Bue Oddo fassen die wichtigsten Äußerungen der Teilnehmer*innen zusammen.

Der Countdown bis zu den Wahlen des Europäischen Parlaments läuft. Die Parteien organisieren den Wahlkampf wie gut geölte Maschinen, Politiker*innen treiben ihre Kampagnen voran und Euroskeptiker provozieren. Alle fünf Jahre werden die 751 Mitglieder des Europäischen Parlaments aus (noch) 28 Mitgliedstaaten von den EU-Bürger*innen gewählt.

Um zu entscheiden, wer der*die nächste*r Kommissionspräsident*in wird, hat sich seit der letzten Wahl 2014 das System der Spitzenkandidat*innen etabliert, bei dem jede europäische Partei ein Mitglied nominiert. Der*die Kandidat*in der Partei, die nach der Europawahl die meisten Sitze im Parlament erhält, hat das Mandat, eine Mehrheit im Parlament hinter sich zu versammeln.

Die Maastricht-Debatte: Ein Paradebeispiel der Demokratie vor den Wahlen

Während die nationalen Kandidat*innen für die Europawahlen eine gewisse Sichtbarkeit in den heimischen Medien genießen, sind die gemeinsamen Spitzenkandidat*innen der europäischen Parteien meist weniger bekannt. Das ist schade, denn sie sind diejenigen, die für das Amt der*des Kommissionspräsident*in kandidieren. Diese Kandidat*innen müssen gesehen und gehört werden, und ihre Ideen verteidigen. Doch wie schon 2014 scheinen die nationalen Medien nicht sehr daran interessiert, ihnen Sichtbarkeit zu verschaffen.

Deshalb taten sich das European Youth Forum, das European Journalism Centre und Politico Europe zusammen, um am 29. April in der Universität Maastricht ein Paradebeispiel der Demokratie zu organisieren, einen Monat vor den Europawahlen 2019: die sogenannte Maastricht-Debatte der Spitzenkandidat*innen. Die Debatte war von und für junge Leute konzipiert. Tatsächlich befragten die Organisator*innen vor dem Event die Studierenden von Maastricht, welche Themen sie am meisten interessieren. Die drei Hauptthemen, die während der Debatte diskutiert wurden, waren demnach: Digitales Europa, Nachhaltiges Europa und die Zukunft Europas.

Obwohl die Europäische Volkspartei sich nicht dazu herabließ, an der Debatte teilzunehmen (Manfred Weber hatte „andere Verpflichtungen“), sahen sich fünf andere Parteien dem demokratischen Prozess verpflichtet und schickten ihre Spitzenkandidat*innen zu der leidenschaftlichen Debatte: Bas Eickhout, der die Europäischen Grünen vertrat, betonte die Wichtigkeit eines grünen und sozialen Europas, Frans Timmermans konzentrierte sich im Namen der Sozialdemokratischen Partei Europas auf die Notwendigkeit, Grenzen zu beseitigen. Violeta Tomic der Europäischen Linken zeigte Leidenschaft für die Bekämpfung der Sparpolitik, Guy Verhofstadt von der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa warb für ein stärkeres vereintes Europa, und die Argumente von Jan Zahradil, der für die Europäischen Konservativen und Reformer antrat, drehten sich um den Respekt vor Unterschiede zwischen den Nationen.

Eröffnungsstatements: Ein Überblick über die Grundprinzipien der Kandidat*innen

In ihren ersten Statements hatten die Spitzenkandidat*innen je eine Minute, um einen Überblick ihrer Ideen zu geben.

Jan Zahradil zelebrierte die Tatsache, dass sein eigenes Land Tschechien der EU vor 15 Jahren beigetreten ist. Doch er betonte auch die Ungleichheiten zwischen den Mitgliedstaaten und führte als Beispiel das unterschiedliche Lohnniveau zwischen den Niederlanden und Tschechien an. Er verteidigte deshalb ein „flexibles Europa“, da „maßgeschneiderte Lösungen manchmal nötig sind, um mit Problemen umzugehen“. Er glaubt, dass ein „neues Gleichgewicht“ zwischen der EU und den Mitgliedstaaten nötig sei, um aus der aktuellen Sackgasse zu entkommen.

Frans Timmermans lobte die Personenfreizügigkeit und die *Grenzen, die es nicht mehr gibt”. Er sprach sich für „Dialog statt Konfrontation“, „Gleichberechtigung statt Diskriminierung“ und „eine nachhaltige Zukunft statt einer Ökonomie fossiler Brennstoffe“ aus. Er versprach, diese Herausforderungen als EU gemeinsam mit der europäischen Jugend anzugehen, und „Nationalisten keinen Raum zu geben“. Timmermans zollte auch Pedro Sanchez‘ Sieg in Spanien Respekt.

Guy Verhofstadt hob hervor, dass Europa in einem neuen Kontext internationaler Beziehungen von schnell expandierenden “Imperien“ (China und Indien, die Vereinigten Staaten und Russland) umgeben sei. Um als Gegengewicht zu diesen Mächten bestehen zu können und als Kontinent und Einflusssphäre an nicht an Bedeutung zu verlieren, müssten Europäer sich zusammenschließen und einen Standpunkt der Mitte annehmen, sowohl von einer politischen und militärischen, wie auch einer wirtschaftlichen und sozialen Sichtweise her.

Violeta Tomic argumentierte, dass die EU heutzutage noch weit von den Idealen Demokratie, Gleichheit und Gerechtigkeit entfernt sei. Sie sagt, während die Finanzkrise für Banker und Aktienhändler nur noch eine blasse Erinnerung sei, sähe es für normale Leute ganz anders aus. Viele leiden noch immer unter den Folgen der Sparpolitik und machen sich sorgen um die Zukunft ihrer Kinder. Die Verteidigung der Interessen dieser Menschen sei deshalb essenziell.

Seiner Partei ganz treu sprach Bas Eickhout sofort den Klimawandel an und beschrieb ihn als Herausforderung, die wir nur auf europäischer Ebene meistern können. Er betonte die Notwendigkeit von Klima- und Umweltpolitik, welche mit Sozialpolitik Hand in Hand gehen müsse. Er verteidigte ein „grünes und soziales Europa“ und die „Stärkung der europäischen Demokratie“ zusammen mit der Bekämpfung des Klimawandels.

Ein digitales Europa

Im ersten Teil der Debatte konzentrierten sich die Kandidaten auf eine Reihe von Fragen rund um die Digitale Revolution, Datenschutz, Hackerangriffe und Desinformation im Netz, sowie Europas Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den Tech-Giganten aus Amerika und Asien.

Jan Zahradil lobte die Arbeit der EU bei der Entwicklung des digitalen Binnenmarktes und findet, dass die EU gut mit aktuellen Fragen umgeht. Er ist der Meinung, die EU-Kommission solle nicht als „Europa-Regierung“ auftreten, sondern den nationalen Regierungen helfen und assistieren. Tatsächlich wurden bereits 30 Gesetzesentwürfe von der EU angenommen, die sich mit Themen wie Datenschutz und Schutz vor Cyberattacken beschäftigen. Zahradil erinnerte das Publikum auch daran, dass einige Ziele noch erreicht werden müssen (wie zum Beispiel die e-Datenschutz-Richtlinie). Insgesamt betonte er wie wichtig es sei, die Meinungsfreiheit beim Kampf gegen Fake News und Desinformation nicht zu beschränken. Zusätzlich erklärte Zahradil, dass Unternehmen zwar besteuert werden müssten, aber auf nationaler, nicht europäischer, Ebene.

Im Gegensatz zu Zahradil glaubt Bas Eickhout nicht, dass sich Europa schon auf dem richtigen Weg ist. Er hob die Gefahr von „Datenmonopolen“ hervor, und erklärte, es sei notwendig, dass diese Firmen Dienstleistungen anböten, statt ihre Profite aus Konsumentendaten zu ziehen. Die Tatsache, dass die EU es geschafft hat, die Datenschutzgrundverordnung entgegen die Interessen der Tech-Giganten zu verabschieden, lobte er. Und nach der Annahme der DSGVO hätten sogar diese verstanden, dass diese nicht nur auf europäischer, sondern auf globaler Ebene durchgesetzt werden muss. Eickhout betonte, es sei wichtig die EU zu stärken, um es ihr zu erlauben, Unternehmen zu besteuern und als „Heldin, die für Transparenz sorgt“ zu agieren.

Guy Verhofstadt sprach eine Notwendigkeit nach stärkerer Regulierung an und zitierte die DSGVO. Doch er wolle noch weiter gehen, insbesondere bei Tech-Giganten wie Facebook. Er betonte auch, wie wichtig es sei, europäische digitale Unternehmen aufzubauen. Der Kandidat brachte sogar leidenschaftlich einige Grafiken in die Debatte ein, die das Gewicht amerikanischer und asiatischer Firmen im Vergleich mit europäischen darstellten. Als Antwort darauf könne eine europäische Aufsichtsbehörde eine exzellente Chance für Europa bieten, eigene Technologie-Riesen zu schaffen.

Frans Timmermans glaubte im Gegensatz zu Guy Verhofstadt nicht daran, dass es wirklich nötig sei, ein europäisches Facebook zu entwickeln. Stattdessen prangerte der Kandidat die Tatsache an, dass Tech-Unternehmen die Daten, die wir ihnen kostenlos zur Verfügung stellen, nutzen und Profite in Milliardenhöhe einfahren. Konsumenten müssten Bescheid wissen und kontrollieren können, wie ihre Daten verwendet werden, ganz Besonders mit Blick auf die Möglichkeit russischer Einmischung. Außerdem erklärte Timmermans, dass die Unternehmen, die diese Profite erzielten, besteuert werden müssten. Er warf den Mitgliedstaaten in diesem Punkt vor, zu zögerlich zu agieren, obwohl das Parlament bereit sei, diese Firmen zu besteuern. Er verteidigte außerdem die Idee eines EU-weiten Mindeststeuersatzes von 18% für Unternehmen. Eickhout und Tomic unterstützten die Idee, Zahradil und Verhofstadt hingegen nicht.

Violeta Tomic erinnerte das Publikum daran, dass die heutige junge Generation die erste seit dem Zweiten Weltkrieg ist, die unter schlechteren Bedingungen lebt als ihre Eltern. Dies sei teils auch den großen Konzernen wie Google, Amazon und Facebook zuzuschreiben, die in Ländern in denen sie tätig sind dennoch keine Steuern zahlen. Dieses Geld fehlt in den Töpfen für Sozialhilfe, Gesundheit und Bildung und für grüne Transformation und Technologien. Tomic plädiert deswegen entschlossen für die Abschaffung von Steueroasen und eine faire Besteuerung für alle. Außerdem verteidigte sie einen Green New Deal zur Schaffung von Jobs und zur Bekämpfung von Sparpolitik und Depression. Damit schlug sie den Bogen zu ihrem Ausgangspunkt, in dem es darum ging, dass Europa keine Sparpolitik, sondern Investitionen benötige.

Die Kandidierenden antworteten auch auf Fragen zur Kommunikationsstrategie der EU Timmermans, Eickhout und Verhofstadt nannten Förderung von Medienkompetenz als Vorschlag. Eickhout betonte außerdem Datensicherheit, während Verhofstadt Facebooks Algorithmus kritisierte, weil er Usern jeweils nur eine eingeschränkte Auswahl an ähnlichen Inhalten anzeige, und forderte eine größere Auswahl für Benutzer. Zahradil schien mit der jetzigen Situation deutlich zufriedener zu sein und ist der Meinung, junge Menschen seien in der Lage, Fake News und Realität zu unterscheiden – ein Standpunkt den er aus seiner persönlichen Erfahrung als junger Mensch unter einem kommunistischen Regime entwickelt hat. Tomic, der dieses Thema sehr wichtig zu sein schien, konzentrierte sich auf die Notwendigkeit, Fake News und Hate Speech zu bekämpfen.

Teil II: Klima, Gleichberechtigung und Mindestlohn

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