Madgermanes: Mosambikanische Vertragsarbeiter*innen in der DDR

, von  Sofia Helfrich

Madgermanes: Mosambikanische Vertragsarbeiter*innen in der DDR
Blick auf die Hafengegend von Maputo, Mosambik. Foto: Flickr / PBS NewsHour / CC BY-NC 2.0

Mehr als 20.000 Mosambikaner*innen lebten und arbeiteten nach 1979 als Vertragsarbeiter*innen in der DDR. Die meisten von ihnen kehrten nach der Wende zurück nach Mosambik, wo sie bis heute jede Woche für ihre Rechte demonstrieren. Die dort oft als „Madgermanes“ bezeichneten Rückkehrer*innen wollen aufmerksam machen auf ihre Geschichte und die Ungerechtigkeiten, die ihnen noch immer widerfahren.

Anfangs eine Fremdbezeichnung in der mosambikanischen Gesellschaft, um die zurückgekehrten Vertragsarbeiter*innen zu bezeichnen, übernahmen diese den Begriff Madgermanes bald als Selbstbezeichnung. Einige meinen, der Begriff sei eine Verballhornung von „Made in Germany“, andere vermuten den Ursprung in der Bantu-Sprache Shangaan, in der „Ma German“ „die, die aus Deutschland zurückkommen“ bedeutet. Jeden Mittwoch laufen die Madgermanes mit Deutschlandfahnen durch die Straßen der Hauptstadt Maputo. Sie machen Lärm mit Trillerpfeifen und singen. Einige unterhalten sich, Freund*innen und Gleichgesinnte treffen sich. Die Demonstrierenden haben Geschichten zu erzählen, die sich über zwei Kontinente und mehrere Jahrzehnte erstrecken. In Deutschland werden diese Geschichten heute jedoch nur selten erzählt.

Von Maputo nach Ost-Berlin

Die Volksrepublik Mosambik erkämpfte sich 1975 die Unabhängigkeit von der Kolonialmacht Portugal. Ein mehr als 10 Jahre andauernder Unabhängigkeitskrieg beendete fast 500 Jahre kolonialistische Herrschaft, die insbesondere nach der Konferenz von Berlin in den Jahren von 1884 bis 1885 intensiviert und institutionalisiert wurde. Nur zwei Jahre nach der Unabhängigkeit begann ein Bürgerkrieg, der 15 Jahre andauerte. Die regierende Partei FRELIMO war marxistisch ausgerichtet und wurde zu der Zeit unter anderem von der Sowjetunion unterstützt. Die gegnerische Partei RENAMO wurde unter anderem vom Apartheidsregime in Südafrika und den USA unterstützt.

Die Regierung Mosambiks war somit auf der Suche nach neuen Partner*innen für die Zukunft. Eine solche fand die Volksrepublik in der DDR. Diese hatte kürzlich die „Exportoffensive Afrika“ gestartet und „sozialistische Bruderhilfe“ unter anderem für Mosambik angekündigt. Dabei verfolgte die DDR klare ökonomische Interessen: Sie befand sie in einer Devisenkrise, ihr fehlte also der Zugang zu Fremdwährungen, und sie war überschuldet. Länder wie Mosambik sollten helfen. Staatschef Erich Honecker reiste 1979 erstmals in das Land im südlichen Afrika. Bei diesem Besuch wurden über 80 Verträge zwischen den beiden Staaten geschlossen, unter anderem über die Einreise von mosambikanischen Vertragsarbeiter*innen in die DDR.

Über 20.000 Vertragsarbeiter*innen arbeiteten in den nächsten 20 Jahren in Deutschland vorwiegend in Fabriken der Schwerindustrie und des Maschinenbaus - und minderten so auch den in der DDR herrschenden Arbeitskräftemangel. Wählen, in welchem Bereich sie eingesetzt wurden, durften die Arbeiter*innen nicht. Untergebracht wurden sie in Wohnheimen in Mehrbettzimmern. Angetrieben von Hoffnungen auf eine Ausbildung und ein besseres Leben als in dem damals von einem Bürgerkrieg zerrütteten Mosambik akzeptierten die Vertragsarbeiter*innen, dass ihnen ihr Lohn nicht jeweils sofort und in voller Summer ausgezahlt wurde. Anfangs 25, später sogar bis zu 60 Prozent des Lohns wurde stattdessen als sogenannter „Transferpflichtbetrag“ einbehalten. Dieser sollte den Vertragsarbeiter*innen bei ihrer Rückkehr nach Mosambik ausgezahlt werden.

Ungeklärte Lohnzahlungen

Nach 1989 haben rund 2.000 Mosambikaner*innen das Bleiberecht im wiedervereinigten Deutschland erhalten. Die weiteren mussten zurück nach Mosambik gehen. Für viele bedeutete das eine überstürzte Rückkehr in ein Land, das ihnen nach fast 20 Jahren Abwesenheit fremd geworden war. Die Wiedereingliederung fiel vielen von ihnen schwer. Den ausstehenden Lohn erhielten sie nie. Bis heute ist nicht abschließend geklärt, wo das Geld einbehalten wurde. Das Auswärtige Amt gibt an, dass alle ausstehenden Gelder nach Mosambik geflossen seien, dies wurde von der mosambikanischen Botschaft bestätigt. Auf einer Internationalen Tagung im Februar 2019, die zum 40. Jahrestag des Abkommens zwischen der DDR und Mosambik vom Lothar-Kreyssig-Ökumenezentrum in Magdeburg veranstaltet wurde, berichtete ein früherer Mitarbeiter des DDR-Staatssekretariats für Arbeit und Löhne jedoch, „die von den Vertragsarbeitern ‚transferierten‘ Beträge wurden von Anfang an im gegenseitigen Einvernehmen beider Regierungen nicht nach Mosambik überwiesen, sondern in der DDR in die zwischenstaatliche Verrechnung einbezogen, um zum Schuldenabbau des Landes [Mosambik, Anm. d. Red.] beizutragen.“ Mosambik war damals, auch wegen der überdurchschnittlichen Zinssätze, in hohem Maße gegenüber der DDR verschuldet.

Zu den nicht ausgezahlten Löhnen kommen ungeklärte Rentenansprüche aus Einzahlungen in das Sozialsystem der DDR. Insgesamt wurden die Vertragsarbeiter*innen Schätzungen zufolge um fast 600 Millionen Euro betrogen. Die Vertreter*innen der Bundesregierung machten bei der Tagung in Magdeburg klar, dass sie ihre Verantwortlichkeiten als erfüllt betrachten und keine weiteren Zahlungen an ehemaligen Vertragsarbeiter*innen in Betracht ziehen. Die Verträge seien Sache der DDR gewesen, finanzielle Hilfen durch die Bundesrepublik an Mosambik seien ebenfalls erfolgt.

Erinnerungen an die Zeit in der DDR

Die Zeit, die die Mosambikaner*innen in Deutschland verbrachten, wurde in vielseitiger Form aufgearbeitet und dokumentiert. Ibraimo Alberto kam 1981 aus Mosambik in die DDR und lebt heute in Karlsruhe. In seiner Autobiografie „Ich wollte leben wie die Götter“ schildert er, wie Ostberlin zu seiner neuen Heimat wurde, nachdem er 1981 aus Mosambik in die DDR gekommen war. Anfangs überwältigt von dem neuen Land lebte er sich bald ein und fand Freund*innen, vor allem in einem Boxverein. Nach anfänglichen Schwierigkeiten machte ihm auch die Arbeit in dem Schlachtereibetrieb Fleischkombinat Berlin Spaß. Das Leben in der DDR gefiel ihm von Tag zu Tag besser, es bescherte ihm laut seiner Autobiografie viele Privilegien.

In einem Dokumentarfilm von Malte Wandel erzählt ein ehemaliger Vertragsarbeiter außerdem, in Deutschland sei das Leben gut gewesen, die Mosambikaner*innen hätten gelebt wie die Deutschen, sie hätten am Mittagessen alle zusammen an einem Tisch gesessen. Birgit Weyhe hat zudem eine Graphic Novel über die Madgermanes geschrieben. Einige Stimmen beschreiben darin die Zeit in der DDR als die beste Zeit ihres Lebens, eine Sichtweise, die sich auch in Gesprächen auf den Straßen Maputos wiederfindet.

Mit Rassismus konfrontiert

Doch es gibt auch eine weniger positive Seite der Erinnerungen an das Leben in der DDR. Viele beklagen schlechte Lebens- und Wohnbedingungen: Es gab zum Beispiel Ausgangssperren und die Vertragsarbeiter*innen durften sich nicht frei bewegen. Von Beginn an erfuhren die Mosambikaner*innen rassistische Ausgrenzungen und Anfeindungen bis hin zu expliziter Gewalt. Zu Deutschen nach Hause eingeladen wurde Ibraimo Alberto selten, die Freund*innen seiner Freundin wollten nicht, dass sie ihn zu Treffen mitbrachte. Alberto berichtet auch von Schlägereien und Weyhes Graphic Novel erzählt, wie Mosambikaner*innen in Restaurants nicht bedient oder gar hinausgeworfen wurden. Auch am Arbeitsplatz erfuhren sie Rassismus. Einen traurigen Höhepunkt fand diese Gewalt im rassistisch motivierten Mord an Albertos Freund Manuel, von dem er in seiner Autobiografie berichtet. Er wurde von Neonazis zusammengeschlagen und aus einem fahrenden Zug geworfen. Vorfälle wie dieser wurden oft nicht aufgeklärt. Stattdessen wurde versucht, sie unter den Teppich zu kehren.

Zur Wendezeit wurden die rassistischen Anfeindungen häufiger und gewalttätiger. Unter dem durch verschiedene Faktoren bedingtes Erstarken des Rechtsextremismus in Ostdeutschland hatten die Vetragsarbeiter*innen direkt zu leiden. Fast täglich, so wird beispielsweise in der Graphic Novel berichtet, kam es nun zu Anfeindungen. Manuel Alexandre Nhacuton arbeitete damals in Hoyerswerda. In einem Video der Kampagne „Rassismus tötet!“ berichtet er, wie sein Wohnheim von bewaffneten Menschen angegriffen wurde, Flaschen flogen und die Polizei nur zugesehen habe. Besonders getroffen hat ihn, dass er viele der Personen, die an den Übergriffen beteiligt waren, erkannte: Es waren Nachbar*innen und Arbeitskolleg*innen.

Was bleibt ist die Enttäuschung: Zu der sowohl strukturellen als auch individuellen Diskriminierung im Alltag kam das Gefühl, ausgenutzt und verkauft worden zu sein - von der Regierung der DDR ebenso wie von der Regierung Mosambiks. Viele Vertragsarbeiter*innen gelangten zu der bitteren Erkenntnis, dass sie keinesfalls ausgebildet werden sollten, um Mosambik anschließend aufbauen zu können, sondern dass sie der DDR vor allem als günstige Arbeitskräfte dienen sollten und ihr Lohn in die Taschen der Regierenden in der DDR und Mosambik floss. Die Enttäuschung darüber zeigt sich auch heute jeden Mittwoch auf den Straßen von Maputo. Die Vertragsarbeiter*innen fordern Anerkennung und vor allem die Auszahlung der einbehaltenen Lohnanteile. Aufgeben wollen sie nicht.


Trailer eines Films von Malte Wandel auf Vimeo.


Für viele sind die Proteste ihre letzte Hoffnung

Entgegen den Versprechungen haben die meisten keine Ausbildung erhalten, die ihnen in Mosambik weiterhilft, zahlreiche leben in Armut. Viele der Vertragsarbeiter*innen kamen zudem sehr jung in die DDR: Prägende Jahre ihres Lebens haben sie dort verbracht, einige kennen sich in Ostdeutschland besser aus als in Mosambik. Die Wiedereingliederung nach der erzwungenen Rückkehr fällt bis heute schwer, insbesondere da die ehemaligen Vertragsarbeiter*innen von der mosambikanischen Gesellschaft Ausgrenzungen erfahren und beispielsweise bei der Arbeitssuche diskriminiert werden. Einige Mosambikaner*innen werten zudem als Verrat, dass die Madgermanes während der schweren Jahre des Bürgerkriegs in der fernen DDR waren. Andere erwarten, dass die ehemaligen Vertragsarbeiter*innen nun reiche Menschen seien, und bezeichnen sie als geizig, da sie ihren vermeintlich hohen Lohn nicht teilen wollen. Unterhält man sich in Mosambik auf Deutsch, so wird man bis heute oft von ehemaligen Vertragsarbeiter*innen angesprochen, die fließend Deutsch sprechen und sich freuen, dieses nutzen zu können.

In Deutschland haben die Madgermanes Spuren hinterlassen

Auch in Deutschland ist die Geschichte der Madgermanes nicht vorbei. Wurde eine mosambikanische Vertragsarbeiterin schwanger, so wurde sie zu einer Abtreibung gezwungen oder zurück nach Mosambik geschickt. Unterbunden werden sollten beispielsweise durch Ausgangssperren auch Beziehungen zwischen Vertragsarbeitern und deutschen Frauen. Trotzdem entwickelten sich viele Beziehungen zwischen ihnen, aus einigen sind Kinder entstanden. Viele Vertragsarbeiter haben ihre Kinder seit der erzwungenen Rückkehr nach Mosambik nie wieder gesehen, viele dieser schätzungsweise 1500 Kinder kennen ihre Väter nicht.

Mütter und Kinder in Deutschland vernetzen sich heute, um ihre ehemaligen Partner und unbekannten Väter zu finden. In der geschlossenen Facebook-Gruppe „Solibaby. Das was bleibt“ werden Informationen ausgetauscht und sich gegenseitig unterstützt. Auch das deutsch-mosambikanische Netzwerk „Reencontro familiar“ versucht, Kontakt zwischen mosambikanischen Väter und ihren deutschen Kindern herzustellen.

Respekt und Anerkennung

Bei der Tagung in Magdeburg im Februar 2019 diskutierten Vertreter*innen der Madgermanes, der DDR und der BRD über Versäumnisse, Zuständigkeiten und Schuldzuweisungen, vor allem aber auch darüber, wie es weitergehen kann für die ehemaligen Vertragsarbeiter*innen. Ein Memorandum fasst eine Reihe von erarbeiteten Forderungen zusammen, beispielsweise die Aufarbeitung der intransparenten Verträge und ihre Folgen, die Initiierung eines Mediationsprozesses zwischen allen Beteiligten, die Anerkennung der Lebenswege der Vertragsarbeiter*innen durch finanzielle Entschädigungen, die Unterstützung bei der Zusammenführung von Familienangehörigen, die Aufarbeitung der Todesfälle von Mosambikaner*innen in Deutschland und die Beendigung der Ausgrenzung der Madgermanes in Mosambik.

Ein wichtiges Anliegen ist den Initiator*innen der Tagung auch, das Wissen über die Madgermanes im kollektiven Gedächtnis zu verankern und die Öffentlichkeit über ihre Geschichten zu informieren. Bedauert wird in dem Memorandum, dass die kulturellen Erfahrungen und Sprachkenntnisse der Madgermanes nicht ausreichend genutzt wurden, um eine Verständigung zwischen Mosambik und Deutschland heute voranzutreiben. Welche der Forderungen erfüllt werden, bleibt abzuwarten. Klar ist jedoch: Die Madgermanes werden weiter jeden Mittwoch demonstrieren, um Respekt und Anerkennung für ihre Leistungen und Lebensgeschichten zu fordern.

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