Manchmal ist Europa direkt vor der Haustür spürbar. Ich wohne in Berlin und habe in den letzten zwei Wochen mit großer Aufmerksamkeit und Sorge die Besetzung einer ehemaligen Grundschule in Kreuzberg mitverfolgt. Seit anderthalb Jahren wird das Gebäude von etwa 200 Flüchtlingen besetzt. Als die Stadt ankündigte, die Schule räumen zu lassen, zogen sich einige Asylsuchende aufs Dach zurück und drohten mit Suizid. Innerhalb kürzester Zeit versammelten sich hunderte Menschen um die Absperrgitter, die die Schule großräumig abschirmten, um sich mit den Flüchtlingen zu solidarisieren. Mitte dieser Woche konnte die Situation glücklicherweise entschärft werden:Die Flüchtlinge unterschrieben am Mittwochabend eine Vereinbarung mit dem Bezirk, wonach sie unter bestimmten Auflagen in der Schule bleiben können.
Keine bloße Krawallaktion
Einige konservative Medien sahen das Drama als bloße Krawallaktion, ja gar als ein Protestspektakel, wie es für Kreuzberg vermeintlich charakteristisch ist. Da wird der Stadtteil plötzlich zur „Riesensozialstation der Republik“. Dieses Urteil ist nicht nur respektlos, zynisch und falsch, es ist ganz und gar ignorant: Bei der Besetzung der ehemaligen Grundschule in Kreuzberg ging es nicht um die Belustigung eines Kiezes, sondern um klare politische Forderungen – ein bedingungsloses Bleiberecht, eine Abschaffung der Residenzpflicht und menschenwürdige Lebensbedingungen in den Lagern. Mit diesem Protest sind die Flüchtlinge in Kreuzberg nicht allein.
Freiheit statt Frontex
Zeitgleich zu der angekündigten Räumung und der Zuspitzung der Lage in Kreuzberg liefen Flüchtlinge im Rahmen eines großen Protestmarsches durch Brüssel. Mit dem Motto „Freiheit statt Frontex“ zogen sie durch die Innenstadt und vorbei an allen wichtigen EU-Institutionen. Erschreckend war dabei, dass die Demonstration kaum mediale Aufmerksamkeit erhielt. Dabei war dem Protest eine politisch beeindruckende Symbolkraft vorausgegangen: Die etwa 100 Flüchtlinge, die pünktlich zum Weltflüchtlingstag in Brüssel eintrafen, waren zuvor über 400 Kilometer von Straßburg nach Brüssel gelaufen.
Die Asylpolitik der EU muss sich ändern
Die Frage ist, was von diesen politisch aufgewühlten Geschehnissen der vergangenen zwei Wochen in Brüssel und Berlin bleibt. Die Botschaft der Flüchtlinge ist zumindest klar: Eine radikale Reform der restriktiven Asylpolitik der EU ist dringend nötig. Wer bereit ist, so weit für seine politischen Forderungen zu gehen, der sollte ernst genommen werden, denn er hat offenbar nichts mehr zu verlieren.
Momentan ist die Asylpolitik der EU nach wie vor menschenverachtend und viel zu restriktiv. Es wird Zeit, dass die EU ihre Verantwortung wahrnimmt und die Proteste der Flüchtlinge ernst nimmt. Europa sollte solidarisch die Haustür öffnen und den Flüchtlingen Schutz in Form von einem bedingungslosen Bleiberecht gewähren.
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