Der entscheidende Tag war Mitte Februar: Der italienische Ministerpräsident Enrico Letta musste sich einem internen Misstrauensvotum der Demokratischen Partei (PD) stellen. Dieses wurde von Renzi initiiert, unter dem Vorwand, die Regierung Letta sei ins Stocken geraten und zur „Last“ für Italien geworden. Vor allem wurde ihm vorgeworfen, das Ziel eines neuen Wahlgesetzes aus den Augen verloren zu haben. Renzi konnte seinen Parteigenossen mit einer überwältigenden Mehrheit von 136 zu zwei Stimmen entmachten und wurde kurz darauf von Staatspräsident Giorgio Napolitano mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt. Vom Rücktritt Lettas bis zur Vereidigung Renzis vergingen genau acht Tage. So schnell es am Ende auch ging, die „Revolte“ war von langer Hand geplant. Bereits seit 2010 bemühte sich der junge und äußerst ehrgeizige Politiker um eine erhöhte Sichtbarkeit auf nationaler Ebene. So forderte er in einem eigenen „Manifest“ einen Führungswechsel innerhalb seiner Partei. Seine energischen Forderungen brachten ihm den Spitznamen „Der Verschrotter“ ein. Im Dezember 2013 wurde er zum Parteivorsitzenden ernannt - 68 Prozent der PD-Wähler stimmten für ihn, auch Letta hatte seine Kandidatur befürwortet.
Junge Gesichter
Nun hat es der 39-jährige Renzi geschafft. Er ist nicht nur der jüngste Regierungschef aller Zeiten, auch das Kabinett hat das niedrigste Durchschnittsalter in der Geschichte Italiens. Außerdem ist es das erste, in dem die 16 Ministerposten gleich verteilt an Frauen und Männer gingen. Zwar hatte Renzi anlässlich seiner ersten Bewerbung als Parteivorsitzender angegeben, er würde höchstens zehn Ressortleiter einsetzen. Die jetzige Größe ist aber durchaus überschaubar – zumindest für italienische Verhältnisse.
Deutlich kontroverser ist die Tatsache, dass Italien nach Mario Monti und Enrico Letta seinen nun dritten Ministerpräsidenten in Folge erlebt, der bei keiner Parlamentswahl kandidierte. Was für die einen einem Affront gegen die Demokratie gleichkommt, wird von den anderen als Chance für eine radikale Erneuerung der italienischen Politik angepriesen.
Silvio und Matteo: Doch nicht so unterschiedlich?
Die politischen Gegner Renzis sehen in ihm ein sozialdemokratisches Pendant zu Silvio Berlusconi. So hat der neue Ministerpräsident hat einen äußerst geschickten Umgang mit den Medien bewiesen, der im Mitte-links-Bündnis bisher unbekannt gewesen war. Souverän sind seine Fernsehauftritte, fast täglich kommt ein neuer Hashtag aus seinem Twitter-Kanal, und zu seinen Arbeitsunterlagen gehört ein Macbook. Seine Rhetorik, unterstrichen durch einen starken toskanischen Akzent, bedient sich selten einer übertrieben bildhaften Sprache. Lieber greift er auf eine direktere Art der Kommunikation zu, die auf konkrete Beispiele und große, teils eher gewagte Ankündigungen basiert. So hatte Berlusconi im Laufe seiner letzten Wahlkampagne etwa die Rückerstattung einer kontroversen Grundsteuer angekündigt – bei Bedarf sogar aus eigener Tasche. Renzi hat vor wenigen Tagen versprochen, allen Bürgern mit einem Einkommen von weniger als 1.500 Euro im Monat Steuersenkungen in Höhe von 1.000 Euro im Jahr zu gewähren. Bereits ab Mai soll das Vorhaben umgesetzt werden. „Wenn das nicht klappt, habe ich mich eben zum Narren gemacht“, sagt er. Ein solches Angebot hätte nur Berlusconi selbst überbieten können. Beide polarisieren, beide versuchen das Herz der Wähler anzusprechen.
Viele Reformen, wenig Zeit
Die Pläne des neuen Ministerpräsidenten sind ambitioniert. In der öffentlichen Verwaltung will er für mehr Transparenz sorgen, außerdem ist für Juni eine Justizreform anvisiert. Einen hohen Stellenwert haben die geplanten Änderungen im Bereich Arbeit: Durch Steuersenkungen in Höhe von 35 Milliarden Euro sollen Arbeitnehmer mehr Netto vom Brutto erhalten. Vor allem niedrigere Einkommen sollen davon profitieren. Ein großes Projekt ist das „Jobs act“ genannte Reformpaket, das nebst der Schaffung von mehr Arbeitsplätzen zudem ein flächendeckendes Arbeitslosengeld (auch für Selbstständige) und Bildungskurse für Arbeitssuchende vorsieht. Die geschätzten Kosten der Reformen, die im Monatstakt verabschiedet werden sollen, belaufen sich auf etwa 100 Milliarden Euro. In Rom scheint die Regierung zu großen Änderungen bereit. Allerdings könnten diese immer noch nicht genügen, um Italien wirklich wettbewerbsfähig zu machen.
Renzis erster wahrer Prüfstein ist wohl die Verabschiedung eines neuen Wahlgesetzes. Der Streit um das aktuelle Gesetz kulminierte Ende 2013 mit dem Urteil des italienischen Verfassungsgerichts, das Teile des Textes für verfassungswidrig erklärte – unter anderem, weil den Wählern keine Möglichkeit gegeben wird, konkrete Personen zu wählen. Der von Renzis Kabinett vorgelegte Gesetzentwurf wurde nach intensiven Verhandlungen mit den Mitte-Rechts-Koalitionspartnern über Frauenquoten, Vorzugsstimmen und Mehrheitsprämien schließlich von der Abgeordnetenkammer verabschiedet. Nun muss der Senat, in dem die Regierungskoalition nur eine knappe Mehrheit besitzt, über den Entwurf abstimmen. Entscheidend wird das Votum vor allem für Renzi selbst: Das Schicksal seiner Regierung ist stark mit dem Erfolg dieser Reform verbunden, hatte er doch dem Kabinett Letta den Laufpass gegeben, weil es keinen Konsens über ein neues Wahlgesetz erreichen konnte.
Darüber hinaus strebt Renzi eine umfassende Umstrukturierung des italienischen Parlaments an. Dieses besteht derzeit aus der Abgeordnetenkammer und dem Senat. Abgesehen von der Anzahl und dem Wahlmodus der Mitglieder sind beide Organe vollkommen gleichberechtigt, wodurch es sehr schnell zu einem Stillstand im Gesetzgebungsverfahren kommen kann. Renzis Wunsch ist es, den Senat in seiner aktuellen Form abzuschaffen und in einen „Rat der Regionen“ umzustrukturieren. Als Modell soll der Deutsche Bundesrat dienen.
Ein möglicher Neustart
Das innenpolitische Programm des neuen Regierungschefs ist ehrgeizig, wenn nicht sogar riskant. Auf europäischer Ebene gibt es ebenfalls Bedenken bezüglich der Schulden des Landes, da die Drei-Prozent-Grenze überschritten werden könnte. Dessen ungeachtet ist Renzi aber ein überzeugter EU-Befürworter, der kaum eine Chance verpasst, sich zu Europa zu bekennen. So betonte er in seiner Rede nach dem ersten Vertrauensvotum im Senat, dass seine Altersgenossen an ein vereintes Europa glauben und sich selbst als „Generation Erasmus“ bezeichnen.
Renzi spricht die jüngeren Generationen an und verspricht einen Neustart Italiens. Sein Kommunikationsstil könnte ihm dabei zum Erfolg verhelfen. Zumindest konnte er damit Merkel überzeugen. Die deutsche Bundeskanzlerin zeigte sich bei Renzis Antrittsbesuch in Berlin „sehr beeindruckt“ von dessen Reformvorhaben. Sie habe „nicht den geringsten Grund, daran zu zweifeln“, dass die Regierung in Rom die Vorgaben der EU in Bezug auf die Verschuldung einhalten werde.
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