Mein europäischer Traum lebt in Schottland weiter

, von  übersetzt von Marie Menke, Valentina Romanazzi

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Mein europäischer Traum lebt in Schottland weiter
Eine EU-freundliche Demonstration in Schottland. © alister / Flickr/ CC BY-NC-ND 2.0-Lizenz

Valentina Romanazzi ist eine Italienerin, die in Edinburgh lebt und arbeitet. In diesem Beitrag erklärt sie, warum sie sich durch das Brexit-Votum nicht in ihrer europäischen Lebensart einschränken lassen will.

Ich bin in einer Gesellschaft aufgewachsen, die mir eingetrichtert hat, ohne Englisch könne man nichts erreichen. Nun zähle ich zur Generation Erasmus, ich reise ausschließlich mit meinem Personalausweis und mit Low-Cost-Flügen; immer habe ich mich mehr wie ein Weltbürger gefühlt, danach wie ein Europäerin und erst ganz zuletzt wie eine Italienerin.

Seit einem Jahr wohne ich nun in der schottischen Hauptstadt Edinburgh, im Land des Haggis und des Kilts. Ich kam ursprünglich um einen vierwöchigen Englischkurs zu machen und blieb wegen dieser Stadt, die voller Geschichte ist und in der das Meer und die Berge harmonisch zusammenleben scheinen, genau wie Schotten, Spanier und Italiener, die die Stadt bevölkern. Letztendlich beschloss ich, auf unbestimmte Zeit zu bleiben.

Vor dem 23. Juni machte ich mir Sorgen, aber ich vertraute vor allem in meine Generation, in diese jungen und weltoffenen Reisenden. Aber London, Manchester, Liverpool, Schottland und Nordirland waren nicht genug. Großbritannien ist raus aus der Europäischen Union. Der Großteil der Briten scheint den Fehler nicht bemerkt zu haben. Sie haben aus Angst gewählt, Angst vor der Einwanderung aus Osteuropa und dem Süden des Mittelmeers und der dadurch diffus empfundenen Bedrohung.

Sicherlich ist die EU kein perfekter Ort. Man müsste einen europäischen Wohlfahrtsstaat schaffen sowie eine echte vereinte Politik. Es gibt viel, an dem man noch arbeiten muss, viel, das wir noch diskutieren und versuchen zu verändern sollten, aber eine echte und tiefgreifende Veränderung kann nur aus dem Inneren der europäischen Institutionen kommen. Mit dem Brexit haben die Wähler den Traum von einem in Zukunft wirklich vereinten Europa verraten, nicht nur auf wirtschaftlicher, sondern auch auf politischer und – in erster Linie – auf sozialer Ebene. Denn sie entziehen vielen jungen Menschen die Möglichkeit, entscheiden zu können, ob sie im Ausland studieren oder einfach ein Erasmussemester dort verbringen möchten und haben somit ein Stück unserer Freiheit verraten.

Und jetzt? Das Pfund verliert an Wert, David Cameron ist zurückgetreten, die Labour Party hat ihr Vertrauen in Jeremy Corbyn verloren, die Mitglieder der europäischen Institutionen bitten um direktes Einleiten der notwendigen Prozesse, um Großbritannien offiziell und definitiv aus der Union auszuschließen. In Großbritannien werden hingegen Unterschriften für eine Petition ans britische Parlament gesammelt, damit es ein zweites Referendum einberuft. In London setzen sich Menschen für eine „Trennung“ der Stadt ein, um weiterhin im „Herzen Europas“ bleiben zu können. Die schottische Premierministerin, Nicola Sturgeon, verkündete, dass ihre Regierung den sofortigen Beginn der Diskussionen mit Brüssel fordern wird, um Schottland zu erlauben, in der Europäischen Union zu bleiben. Die Vorsitzenden der europäischen populistischen Rechten (Matteo Salvini und Marine Le Pen zum Beispiel) stehen schon jetzt in der ersten Reihe, um auch in ihren eigenen Ländern lautstark um ein Referendum zu bitten.

Aber was ändert sich für diejenigen, die wie ich, als Expats in Großbritannien studieren, arbeiten und leben? Es wird keinen freien Waren- und Personenverkehr mehr geben, deshalb werden Zölle und Preise für importierte Produkte steigen. Ein Reisepass wird plötzlich notwendig und Grenzüberquerungen umständlich. Das Bildungs- und Gesundheitswesen ist nicht mehr kostenlos. Plötzlich wird eine Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigung benötigt, um weiterhin im Land von Königin Elisabeth leben zu können. Das Ergebnis sind mehr Bürokratie und weniger Freiheit für alle.

Viele europäische Bürger, die auf der britischen Insel wohnen, gaben an, sich nach der Brexitentscheidung nun zum ersten Mal wie Ausländer zu fühlen, aber ich gebe nicht nach. Ich werde weiterhin im abwechslungsreichen und verlockendem Schottland leben und arbeiten, trotz all der Papiere, die ich dafür unterschreiben muss. Denn ich werde mich weiterhin für eine multikulturelle Gesellschaft einsetzen, in der Ausländer eine Bereicherung und kein Klotz am Bein sind. Und ich werde weiterhin von einem Europa ohne Grenzen und ohne jegliche Barrieren träumen.

Ihr Kommentar
  • Am 5. September 2016 um 21:29, von  Markus Titus Als Antwort Mein europäischer Traum lebt in Schottland weiter

    Hallo Ihr Lieben:-))

    Das ist auch meine Meinung und ich denke das wir kleinen Bürger es in der Hand haben, für eine offene Welt zu kämpfen und für ein Europa ein zustehen. Ich bin stolz Europäer zu sein und werde dafür auch immer und überall einstehen:-))

  • Am 6. September 2016 um 12:12, von  Marcel Wollscheid Als Antwort Mein europäischer Traum lebt in Schottland weiter

    Lieber Markus,

    schön, dass dich diese Zeilen in deinen Überzeugungen bestärken.

    Danke für dein Interesse.

    Beste Grüße aus der Redaktion, Marcel Wollscheid

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