Mindestlohn in Deutschland: Sozialer Arbeitsplatzvernichter?

, von  Daniela Scherer

Mindestlohn in Deutschland: Sozialer Arbeitsplatzvernichter?
© Foto: blu-news.org via Flickr: „Mindestlohn von 8,50 Euro“, https://www.flickr.com/photos/95213174@N08/14525697806. CC BY-SA 2.0: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/

Ab Januar 2015 wird fast jeder Beschäftigte in Deutschland 8,50 Euro die Stunde erhalten. Vor allem Arbeitgeber im Niedriglohnsektor fürchten nun um ihre Gewinne und kündigen Entlassungen an. Ein Blick ins EU-Ausland zeigt, ob es tatsächlich zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit kommen wird.

Der Einsatz der SPD für den Mindestlohn zahlt sich aus: Ab 1. Januar 2015 wird der Stundenlohn von 8,50 € für fast alle Beschäftigten in Deutschland eine flächendeckende Lohnuntergrenze darstellen. Ehrenamtliche, Auszubildende und Studenten, die ein Pflichtpraktikum absolvieren, Praktikanten bis zu drei Monaten sowie Jugendliche unter 18 Jahren sind davon ausgenommen. So soll der Anreiz vermieden werden, dass Minderjährige auf eine Ausbildung verzichten, um (kurzfristig) mehr zu verdienen und dadurch den Fachkräftemangel weiter verstärken. Übergangsfristen wird es für Zeitungsausträger, Friseure, Metzger und Beschäftigte in der Landwirtschaft bis Ende 2017 geben. Ehemalige Langzeitarbeitslose erhalten zurück im Berufsleben nach sechs Monaten den Mindestlohn.

Um den Mindestlohn an die Preisentwicklung zu koppeln, wird in Deutschland eine Kommission aus Arbeitnehmervertretern, Gewerkschaftlern und Wissenschaftlern alle zwei Jahre über eine Erhöhung beraten.

Großer Zuspruch in der Bevölkerung

Die von der SPD vorangetriebene Lohnuntergrenze stößt auch in der Bevölkerung auf großen Zuspruch, die laut Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) etwa fünf Millionen Menschen ein höheres Einkommen beschert. So sprechen sich laut einer DGB-Umfrage vom Mai 86 Prozent der deutschen Wahlberechtigten dafür aus.

Sozialpolitisch gesehen macht der Mindestlohn zwar nicht reich, verhindert aber, dass viele Arbeitnehmer Sozialleistungen beziehen müssen: Laut der Agentur für Arbeit waren zwischen März 2012 und Februar 2013 1,32 Millionen Erwerbstätige sogenannte ‚Aufstocker‘. Außerdem beugt die Lohnuntergrenze Altersarmut, Lohndumping und unfaire Wettbewerbsvorteile vor. Strittig ist hingegen, ob die Bessergestellten eine höhere Nachfrage provozieren und somit die Binnenwirtschaft ankurbeln.

Auf Arbeitgeberseite hingegen wird der Verlust von Arbeitsplätzen befürchtet. Sie beklagen, dass die höheren Personalkosten klein- und mittelständische Unternehmen im Niedriglohnsektor überfordern würden. Die Folge wäre der Wegfall von Arbeitsplätzen oder das Abwandern des Betriebes ins Ausland. Besonders in strukturschwachen Gegenden würde dieses Problem verstärkt auftreten. Auch seien Kontrollen, ob Arbeitgeber den Mindestlohn tatsächlich zahlten, kaum durchführbar und der Bürokratieaufwand zu hoch. Die Umsetzung in den Betrieben wird von der FKS, Finanzkontrolle Schwarzarbeit, kontrolliert.

Sind die Befürchtungen reine Panikmache oder realistisch? Ein Blick ins europäische Ausland gibt Aufschluss.

EU-Weitblick

Insgesamt 21 der 28 EU-Mitgliedsstaaten haben den Mindestlohn bereits eingeführt. Die Spannweite erstreckt sich von rund einem Euro in Bulgarien bis etwa elf Euro in Luxemburg. Jedes Land hat seine speziellen Regelungen. So ist in den Niederlanden der Mindestlohn bis zum Alter von 23 Jahren gestaffelt, bei Nichteinhaltung droht eine hohe Geldstrafe. Zu einem Wegfall von Arbeitsplätzen kam es nach der Einführung nicht, ebenso wenig wie im Vereinigten Königreich. "In Großbritannien, das immerhin als Musterland des Mindestlohns gilt, schüttelt man den Kopf über die Diskussionen“, sagt Joachim Möller, Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung gegenüber Zeit Online. „Dort fühlt man sich an die Debatten erinnert, die in den neunziger Jahren geführt wurden. Dabei sind die Prognosen, die man damals anstellte, etwa der Verlust von zwei Millionen Arbeitsplätzen, dort nicht eingetreten.„Wichtig sei aber eine Staffelung nach Alter. „Wir können es uns schlicht nicht leisten, dass Jugendliche auf eine Ausbildung verzichten, weil sie aufgrund des Mindestlohns in irgendwelchen Jobs ohne dauerhafte Perspektiven erst einmal deutlich mehr verdienen. Da sollten wir keine Fehlanreize setzen“, sagt Möller. Auch eine Studie vom Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) zeigt auf, dass die Einführung eines Mindestlohns keinen Anstieg der Arbeitslosigkeit mit sich führt.

Dass sich die Löhne verstärkt nach unten und nicht nach oben entwickeln, lässt sich zumindest am Beispiel Niederlande nicht bestätigen. Seit der Einführung gab es dort eine normale Lohnentwicklung. Zudem blieben die Produktionskosten gleich.

Im Sinne einer sozialen Marktwirtschaft ist es deswegen längst Zeit, auch in Deutschland einen gesetzlichen Mindestlohn zu installieren. Die 8,50 € werden für viele nicht ausreichen, sie sind aber ein Anfang.

Mitarbeit: Julius Leichsenring

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