Corona als Vorgeschmack auf eine Öko-Diktatur?

Narrative der Pandemie: Das instrumentalisierte Virus und was wir davon lernen können

, von  Anna Deparnay-Grunenberg

Narrative der Pandemie: Das instrumentalisierte Virus und was wir davon lernen können
„Geschaffen in einer Krise“. Foto: Unsplash / Robert Metz / Unsplash License

In schwierigen Zeiten ist es wichtig auch Gutes berichten zu können: Drastische Rückgänge in der Umweltverschmutzung lassen sich nun überall verzeichnen. Natürlich sind die Aufnahmen der NASA, die den deutlichen Rückgang der Stickoxide über China zeigen, faszinierend. Es ist wunderbar zu sehen, wie die Natur scheinbar aufatmet, das Wasser in den Kanälen Venedigs wieder klar fließt und wie so manchen stillgelegten Häfen der Welt Delfine schwimmen. Die Vorstellung, dass genau mit den aktuellen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie, auch das Klima zu retten ist, ist jedoch gefährlich. Ein Gastbeitrag.

In Zeiten großer Umwälzungen geht es stets um die Interpretation der Situation, also die Deutungsmacht. Sie entscheidet, wie es weitergeht. Ganz klar haben konservative Kräfte und Klimawandelskeptiker*innen nun eine steile Vorlage für ihr Storytelling, das in etwa so lautet: „Corona hat geschafft, was niemand vermochte! Nun sind sie da, die drastischen Maßnahmen zum Klimaschutz, und sie lauten: Sämtliche Produktion herunterfahren, abschalten, keine Partys, keine Veranstaltungen, keine Reisen, Isolation und sogar Ausgangssperren - da ist sie also, die Öko-Diktatur, die uns retten soll! Deprimierend, vereinsamend und lebensfeindlich!“

Eine weitere Form des Storytellings, wenn nicht ganz so zugespitzt und trotzdem fast gleichermaßen gefährlich, ist die Schlussfolgerung, dass eine Re-Priorisierung nötig wird: Green Deal, Green Investments, Sustainability - alles Schnee von gestern. Seit Ausbruch der Pandemie ist zu retten, was in unserer Wirtschaft zu retten ist. Umwelt ist ein Luxusproblem, dem man sich nun nicht mehr annehmen kann. Außerdem hat man längst nachweislich überwältigende Einsparungen verzeichnen können, die Klimaziele so gut wie erreicht und seine Schuldigkeit schon getan.

Die globale Finanzkrise 2008 sollte uns bereits eines Besseren belehrt haben. In der Rezession sanken die weltweiten CO2 Emissionen von der Verbrennung fossiler Brennstoffe und Zementproduktion tatsächlich um 1.4 Prozent. Helen Mountford vom World Resource Institute warnt aber, dass nach Rezessionen die Wirtschaft meist einen starken Emissionsanstieg verzeichnet. Nach der Finanzkrise beispielsweise stiegen die Emissionen um knapp sechs Prozent. Das entspricht mehr als einer Überkompensation der vermeintlichen Einsparungen. Die Finanzkrise ist in vielerlei Hinsicht eine Geschichte verpasster Chancen - und auch hier wäre ein Moment gewesen, um mit einigem Unwesen in der Finanzwelt aufzuräumen, diese resilienter zu machen.

Corona als ein Beispiel für „Change by disaster“

Fridays for Future hat mit „Change by disaster or change by design” (Wandel durch Desaster oder durch Gestaltung) den Nagel auf den Kopf getroffen. Die Corona-Krise ist ein exzellentes Beispiel für „Change by Disaster“: Regierungen wurden überrollt, eine bedrohliche, neue Situation muss jetzt mit Hochdruck gelöst werden. Die Demokratie kommt hierbei zu kurz, denn dafür ist wenig Zeit - und vor allem, was soll es da zu diskutieren geben? Schließlich geht es erstmal um Leben und Tod.

Auch die Umweltverschmutzungen sind dramatisch, jedoch ein schleichendes Phänomen und daher schlechte Agenda-Setter. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht davon aus, dass jährlich weltweit sieben Millionen Menschen an den Folgen schlechter Luftqualität sterben. Die Agenda-Setting-Literatur sowie die Risikoforschung sind sich einig: Plötzlich auftretende, erschütternde Ereignisse werden dramatischer eingeschätzt und führen schnell die mediale und politische Agenda an. Im politischen Raum macht sich jetzt nicht nur Pragmatismus und die Infragestellung des Umweltschutzes breit. Nein, richtig ins Schaudern kommt man spätestens, wenn Rechtsextreme weiter Panik schüren, denn schließlich wird für sie – dank Corona – ein kleiner Traum war: Die Schließung der Grenzen, der Rückzug in den Nationalstaat.

Tatsächlich haben die Nationalstaaten in einem ersten Reflex die Zügel allein in die Hand genommen und die EU schien außen vor. Eine völlig neue Situation und Bedrohung, allgemeine Verunsicherung greift um sich, Menschen sind in Schockstarre und auf der Suche nach Halt, Orientierung und Führung - kurzum fruchtbarer Boden für Rechtsextremismus. In Ungarn nutzte Victor Orban die Gunst der Stunde und regiert nun auf der Grundlage von Notstandsgesetzen per Dekret. Im Klartext, er braucht keine Zustimmung des Parlamentes mehr, die Demokratie ist ausgehebelt.

Eine Übung planetarisch und systemisch zu denken

Ein „Rückzug“ in die Nationalstaaten ließ sich beobachten, aber gleichzeitig erfordert eine weltweite Bedrohung, eine Pandemie, weltweite Kooperation. Sie ist eine Übung im planetarischen Denken für weitere Krisen, die kommen werden. Plötzlich ist die Menschheit auf eine eigenartige Weise miteinander verbunden. Wir sitzen alle in einem Boot. Überall arbeiten Forschende fieberhaft an der Entwicklung schnellerer Tests und an der großen Hoffnung eines Impfstoffes. Die Behörden sind miteinander in Kontakt, um Infektionsketten nachzuvollziehen, verschiedene Strategien zu debattieren und voneinander zu lernen. Der Austausch von medizinischem Material, das Teilen von Forschungsergebnissen und statischen Daten, grenzüberschreitende Angebote an Notbetten - all das sind Beispiele für eine Kooperation, die weit über das hinausgeht, was wir eigentlich gewohnt sind, nämlich rein wirtschaftliche Interessen. Der gemeinsame Feind, der in Science-Fiction-Filmen die Menschen zusammenschweißt, ist da, wenn auch unsichtbar, nicht in Form eines Außerirdischen, sondern eines Virus.

Wenn das planetarische Denken, das gemeinsame Erarbeiten von Lösungen, die wir zur Bekämpfung des Klimawandels und der Umweltverschmutzung bitter benötigen, übertragen wird, können wir viel gewinnen. Umweltschutz ist kein Luxusproblem, für das wir nach Corona keinen Nerv und keine Mittel mehr haben. Es soll hier eindringlich appelliert werden, das Virus nun nicht für soziale und ökologische Rückschritte zu instrumentalisieren. Diese würden wir teuer mit einem „Change by disaster“ bezahlen. Vielleicht würde es helfen, den Kampf gegen den Klimawandel und den weltweiten Verlust an Artenvielfalt auf eine utilitaristische Devise herunterzubrechen: Erhalte das, was dich erhält. Mache heute resilient, was du Morgen zum Leben brauchst, deine Ernährungssouveränität, deine Wirtschaft, dein soziales Umfeld und dein Gesundheitssystem. Resilienz ist ein gegensätzliches Konzept zu unserem bisherigen Streben nach Maximierung. Ein System, das stets am Rand seiner Kapazität ist, ist nicht resilient. Bildlich gesprochen, dürfen wir die Zitrone nicht bis auf den letzten Tropfen auspressen wollen.

Change by design: was wir eigentlich von der Pandemie lernen können

Erbarmungslos sind die Missstände unserer Lebensweise nun im Scheinwerferlicht bloßgestellt: von unterbesetzten Krankenhäusern und Pflegestationen, von unterbezahltem Personal unter enormen Druck. Die pflegenden Berufe waren schon immer systemrelevant, aber nun sieht es jede*r. Weiter mit der Sorge nicht genügend Erntehelfer*innen zu finden, da die Saisonarbeiter*innen, die sonst zu schlechten Bedingungen stundenlang auf Spargel stechen und Erdbeeren pflücken womöglich nicht über die Grenze kommen. Was ist essenziell, was ist systemrelevant, was brauchen wir wirklich? All diese Fragen stehen im Raum und sind eigentlich der Ausgangspunkt für fruchtbare, positive Überlegungen, für Optimismus, ja, ich wage sogar zu sagen: für eine bessere Welt. Dem ewig tristen Szenario von der „Welt-Ende-Stimmung“ und dem „retten, was zu retten ist“ muss etwas entgegengesetzt werden. Fast inflationär flattern die Kriegsanalogien durch die Medien, denn zahlreiche Politiker haben es verlauten lassen: Das hier ist Krieg. Und es wird viel kaputt gehen. Sogar von einer Stunde „Null“ für die Zeit nach der Pandemie wird gesprochen. Man wird viel, viel Geld brauchen für den Wiederaufbau. Und gleichzeitig die Angst, ja fast die Erkenntnis, dass es unmöglich sein wird, alles genau wie früher wiederaufzubauen.

Noch wichtiger aber erscheint mir die Frage, wollen wir wirklich alles genauso wieder bauen? Lasst uns die Chance für einen sozial ökologisch gerechtere Wandel nutzen. Investieren wir in die Bereiche und Modelle, die etwas „produzieren“, das unendlich kostbar ist: Gemeinwohl! Erhalten wir, was uns erhält. Und definieren wir gemeinsam, was das ist: Arbeit und Arbeitsplätze, die Sinn schaffen und gut bezahlt sind, die mit Familie vereinbar sind, eine Landwirtschaft, die resilient ist und lokale Ernährungssicherheit gewährt, alternative Mobilitätsmodelle, wie der Ausbau von Nachtzügen als Alternative zum innereuropäischen Fliegen, und vieles mehr.

Viele Gedanken vieler kluger Köpfe fließen bereits in diese Ideen - und alle scheint gleichzeitig eine Frage zu beschäftigen: Ist es zu früh für diese Gedanken? Ist es pietätslos, sich ein schönes, neues „Danach“ auszumalen, während die Krise noch nicht überstanden ist und in manchen Ländern, die weniger gut aufgestellt sind, entsetzlich viele Leben verschlingt? Wie viel Energie und Gedankenkraft wären besser zur Bekämpfung der akuten Situation aufgehoben? Ich kann das nicht beantworten. Ich weiß lediglich, dass wir aufpassen und analysieren müssen, wer jetzt eigentlich Interpretationen der Krise anbietet und was für Konsequenzen diese später haben können. Und ich hoffe, dass der Gedanke an ein „Danach“ auch viel Kraft geben kann. Ich setze mich dafür ein, dass die Solidarität weitergeht, denn eines ist sicher, ob nun Klimawandel oder Corona, wir haben nur einen Planeten und wir leben gemeinsam darauf.

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