Hatte Donald Trump vor einiger Zeit noch großspurig angekündigt, umfassende Strafzölle auf ausländische Produkte verhängen zu wollen, die seiner Meinung nach den US-amerikanischen Markt gefährden, wird am Ende seiner Maßnahmen vor allem ein Land überproportional getroffen. Schon im Wahlkampf hatte Trump immer wieder betont, China wolle Amerika wirtschaftlich zerstören, gegenüber der Volksrepublik baute er öffentlichkeitswirksam ein klares Feindbild auf.Strafzölle in Höhe von 60 Milliarden Dollar werden nun chinesische Produkte, insbesondere Stahlimporte, treffen. In Anbetracht der Tatsache, dass China ein immer wichtigerer Handelspartner für die USA ist und darüber hinaus die US-amerikanische Wirtschaft weitgehend am Leben erhält, weil China einen Großteil der amerikanischen Staatsanleihen hält, ist fraglich, inwiefern die US-Wirtschaft langfristig von diesem Schritt profitieren wird. Klar ist allerdings: Der Handeln mit den USA ist für China nicht alternativlos: Die Volksrepublik schaut nach Europa.
Von der Werkbank der Welt zu innovativen Technologien
Die chinesische Wirtschaft hat sich in den vergangenen Jahren tiefgreifend verändert. War die Volkswirtschaft in den 1980er und 1990er Jahren noch die „Werkbank der Welt“ und hauptsächlich Zulieferer in den Produktionsketten, ist China inzwischen in die Riege der erfindungsreichsten Staaten weltweit aufgestiegen. In einem Ranking des Europäischen Patentamts aus dem Jahr 2017 belegt China den sechsten Platz bei Patentanmeldungen und liegt damit vor den Niederlanden und Südkorea. Es gelingt der Regierung, gut ausgebildete Fachkräfte und Universitätsabsolvent*innen im Land zu halten oder nach dem Auslandsstudium mit attraktiven Anreizen zur Rückkehr zu bewegen. Die Regierung hat erkannt, dass die chinesische Wirtschaft für langfristiges Wachstum einen tiefgreifenden Strukturwandel braucht, und investiert deshalb intensiv in die Bereiche Dienstleistung, Technologie und Innovation. Nicht nur in Peking und Shanghai, sondern auch in Guangzhou, Shenzhen oder Chengdu schießen Startups regelrecht aus dem Boden, die in China entwickelten Schnellzüge lassen die europäischen Hersteller alt aussehen. Auch wenn die Zeit der Wachstumsraten von 10 Prozent wahrscheinlich vorbei ist, wächst und wächst die chinesische Wirtschaft derzeit mit noch immer. Damit das auch in Zukunft so bleibt und die Regierung ihr Ziel von rund 6,5 Prozent jährlichem Wachstum erreicht, wird China auch trotz Strukturwandel in Zukunft auf Exporte angewiesen sein - und sein Interesse am Freihandel deshalb umso größer.
Neue Seidenstraße : Chinas Weg nach Europa
Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union und ihre Nachbarländer sind für China ein hochinteressantes Terrain. Seit dem Jahr 2013 arbeitet die Volksrepublik intensiv daran, ihre Handelsbeziehungen und Handelswege gen Westen auszubauen: Mit dem Projekt „One Belt, One Road“, auch unter dem Namen „Neue Seidenstraße“ bekannt, hat sich China den Aufbau eines interkontinentalen Infrastrukturnetzes mit 64 Partnerländern zu Ziel gesetzt. Mit acht neuen Wirtschaftskorridoren, die über Land unter anderem nach Moskau, Indochina, Indien und Westeuropa, sowie über Wasser ins kenianische Mombasa und in die ägyptische Hauptstadt Kairo führen, will China seine Produkte in Zukunft noch effizienter exportieren. Für die Verbindung nach Europa fokussiert die chinesische Regierung die osteuropäischen Staaten: Bereits im Jahr 2015 hatte Peking auf einem „16+1“-Gipfel unter den Regierungschefs osteuropäischen Staaten für umfassenden Infrastrukturprojekte in der Region geworben. Für die europäischen Partner ist dieses Angebot durchaus verlockend, da die chinesische Initiative Investitionen in Höhe von mindestens zehn Milliarden US-Dollar verspricht - damit könnte die Finanzierung von Infrastrukturprojekte möglich werden, die für die Regierungen allein kaum realisierbar wäre.
Dass Osteuropa, sofern es sich tatsächlich gegenüber China öffnet, von der Neuen Seidenstraße profitieren könnte, steht außer Frage. Dennoch sieht man die chinesischen Ambitionen in Brüssel mit Skepsis und fürchtet mögliche Folgen der chinesischen Politik. So kommen Zweifel auf, ob das Wirtschafts- und Investitionsmodell, dass die Volksrepublik in Osteuropa fahren will, mit europäischen Ansprüchen an Globalisierung kompatibel ist, oder ob es zu einer Verwässerung von Standards führt. Vor allem aber sehen viele Beobachter*innen die Gefahr, dass China gezielt auf eine Spaltung Europas zu seinen Gunsten hinarbeiten könnte, indem es die Gunst der Staats-und Regierungschefs in den osteuropäischen Mitgliedstaaten der EU mit hohen Investitionen in prestigeträchtige Projekte erkauft. Für eine kohärente europäische Außenpolitik wäre das eine gewaltige Hürde.
Chancen für ein EU-China-Freihandelsabkommen?
In Reaktion auf die Ambitionen Chinas in Osteuropa sagte Angela Merkel bei einer Chinareise im Jahr 2015, man sei auch selbst schuld, wenn man in Europa nicht mit einer stimme spreche. In der Tat ist es eine europäische Stimme, die jetzt in China sicherlich gern gehört würde - sofern sie ein Bekenntnis zum Freihandel erhält. Nach der Verhängung der Strafzölle durch die USA gegenüber China ist nicht auszuschließen, dass China der EU eine Art handelspolitische Gretchenfrage stellt: Wie hält Europa es mit dem Freihandel und Zöllen auf chinesische Importe? Für Fragen der Handelspolitik ist die EU allein zuständig, die Mitgliedstaaten haben ihre Kompetenzen auf diesem Gebiet an die Union abgegeben. Aus diesem Grund sollte die EU darauf vorbereitet sein, sich der Frage zu stellen, wie sie in Zukunft handelspolitisch mit China umgehen möchte. Diese Frage betrifft jedoch nicht nur detaillierte Regelungen zum Austausch von Waren, sondern auch eine außenpolitische Dimension, da Freihandelsabkommen immer umfassender werden und auch Themen wie Klimaschutz oder Arbeitnehmer*innenrechte enthalten. Im Reflexionspapier „Die Globalisierung meistern“ betont die EU-Kommission, wie wichtig ihr die Einhaltung internationaler Standards sowie die nachhaltige Gestaltung ihrer Außenbeziehungen sind, außerdem pocht Brüssel auf internationaler Ebene intensiv auch Klimaschutz. Diese Ambitionen in Verhandlungen mit China auch tatsächlich umzusetzen, ist in der Tat ein Herausforderung, da China seine Prioritäten anders setzt. In Zeiten der unberechenbaren Außen-und Handelspolitik des US-Präsidenten und angesichts der Tatsache, dass China schon jetzt der zweitgrößte Handelspartner der EU ist und zugleich die EU der wichtigste Handelspartner Chinas, beginge die EU einen Fehler, wenn sie nicht zumindest Gespräche über Perspektiven für den europäisch-chinesischen Freihandel mit Peking führte.
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