Spannungen zwischen Äthiopien und dessen Nachbarn
Dass der äthiopische Premierminister mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden ist, könnte man vermeintlich als stabilisierenden Einfluss auf die Region deuten. Jedoch ist ironischerweise das Gegenteil der Fall. Seit seiner Amtsübernahme 2018, hat der äthiopische Premierminister Abiy Ahmed (der 2019 den Nobelpreis für die Friedensverhandlungen mit Eritrea erhielt) wohl eher zu weiteren Spannungen beigetragen. Zunächst kamen starke Spannungen zwischen Äthiopien und Ägypten auf, die durch den Bau der Grand-Ethiopian-Renaissance-Talsperre im Jahr 2011 ausgelöst wurden, da Ägypten Wasserknappheit befürchtete, welche sich dann wiederum auf die Wirtschaft und das Wohlergehen der Bevölkerung auswirken würde. Doch Abiy Ahmed brachte den Konflikt auf eine neue Ebene. Er warnte Ägypten, dass nichts und niemand den Staudammbau stoppen könne und dass, wenn nötig, Millionen von Menschen kriegsbereit wären. Dann fügte er noch hinzu, dass ein Krieg jedoch nicht im Interesse aller Beteiligten wäre. Im Jahr 2020 brach dann ein weiterer Konflikt in dieser ohnehin schon gebeutelten Region aus: Die Tigray People‘s Liberation Front (TPLF) versuchte sich von der äthiopischen Regierung abzuspalten. Tigray ist im Norden Äthiopiens gelegen und die TPLF zutiefst gehasst von Seiten der damaligen Regierung sowie von Teilen der Bevölkerung, da es sich um die Partei des vorherigen Präsidenten Meles Zenawi handelt. Dieser war zwischen 1995 und 2012 an der Macht. Trotz großer Beliebtheit bei den Tigray auf Grund seiner erfolgreichen Wirtschaftspolitik, schürte der damalige Präsident Hass und Zorn, indem er die zwei größten ethnischen Minderheiten des Landes (die Oromo und die Amharen) marginalisierte. Die Sezession-Erklärung wurde von der Regierung als Hochverrat angesehen und stürzte das Land in einen zweijährigen Bürgerkrieg, dem rund 600.000 Menschen mit ihrem Leben bezahlen mussten. Seitens der EU und der USA wurden der äthiopischen Regierung, welche Schulen und Krankenhäuser in Tigray bombardierte, schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen.
Die aktuellen Spannungen in Ostafrika sind eine Konsequenz Äthiopiens Handelns, um Zugang zum Meer zu erlangen. Mit der Unabhängigkeit Eritreas 1993 verlor das Land nämlich seinen Zugang zum Roten Meer. Um diesen Verlust auszugleichen, handelte Äthiopien einen Vertrag mit Djibouti aus, um Zugang zu dessen Häfen zu bekommen. Aufgrund von hohen Kosten und einer starken Abhängigkeit Äthiopiens von Exporten aus Djibouti (90 % des äthiopischen Außenhandels wird hier abgewickelt), ist die Regierung in Addis Abeba dennoch auf der Suche nach einer anderweitigen Lösung. Im Oktober 2023 drohte Abiy Ahmed seinen Nachbarn und warnte diese, dass der fehlende Meereszugang zukünftig einen bewaffneten Konflikt befeuern könne und dass die „natürliche“ Grenze seines Landes bis zu der Küste des Roten Meeres reichen würde. Kurz darauf schickt er Truppen an die eritreische Grenze und inszenierte eine Militärparade in der Hauptstadt. Ein Krieg brach letzten Endes nicht aus, jedoch verunsicherte Abiy Ahmed die drei Nachbarländer Eritrea, Djibouti und Somalia mit seinem Vorgehen. Die aktuellen Spannungen (seit Jahresbeginn) wurden durch einen weiteren Deal ausgelöst, der Addis Abeba Zugang zum Roten Meer verschaffen sollte. So hat Äthiopien einen Vertrag mit Somaliland, einer separatistischen Region Somalias (die aber stabiler und demokratischer als Somalia ist) ausgehandelt, der Äthiopien Zugang zu einem Hafen gewähren sollte. Wie erwartet, rief dieser Deal eine starke Ablehnung Somalias hervor. Abyi Ahmed sagte dem Magazin „The Economist“ gegenüber, dass, falls der Zugang zu den Häfen Somalilands nicht auf andere Weise erzielt werden würde, Krieg eine Option sei.
Huthi Angriffe im Roten Meer
Neben den Spannungen auf der afrikanischen Seite des Roten Meeres (den Bürgerkrieg im Sudan außen vorgelassen), ist der Konflikt an der jemenitischen Küste der bedeutsamste. Im Gegensatz zu dem, was der Namen „Arabia Felix“ (fruchtbares/glückliches Arabien) vermuten lässt, leidet der Jemen seit 2014 unter einem Bürgerkrieg zwischen der von Saudi-Arabien gestützten Regierung und den Huthi Rebellen, die vom Iran unterstützt werden. Das Land durchlebt laut UN-Angaben derweil eine der „schlimmsten humanitären Krisen“ (75 % der Bevölkerung ist dringend auf humanitäre Hilfe angewiesen). Die Huthi Rebellen verloren den Krieg gegen Saudi-Arabien, obwohl sie die Hauptstadt Sanaa kontrollierten. Viele Beobachter*innen waren davon ausgegangen, dass die Rebellen einen Friedensvertrag mit Riad schließen würden, jedoch war der Krieg in Gaza ein Wendepunkt. Durch diesen erlangten die Rebellen, die sich nun auf einen externen Feind konzentrieren konnten, erneut Popularität im Jemen. Und so starteten die Huthi Rebellen im Oktober 2023 Drohnen- und Raketenangriffe auf Israel. Einen Monat später begannen sie auch Schiffe im Roten Meer anzugreifen. Seitdem haben sie bereits sechs Schiffe beschädigt, sowie zwei Frachter eingenommen. Eines wurde wieder freigegeben, während 25 Besatzungsmitglieder des zweiten Schiffes als Geiseln genommen wurden. Angesichts dieser Angriffe starteten die USA die Operation „Prosperity Guardian“, eine internationale Koalition aus 20 Ländern mit europäischen Mitgliedern wie das Vereinigte Königreich, Griechenland, Spanien, Italien und Frankreich (letztere beiden wollen jedoch in Kontrolle ihrer eigenen Schiffe bleiben) sowie weiteren westlichen Partnern. Als Reaktion darauf drohten die Rebellen den Seestreitkräften, dass das Rote Meer ihr Friedhof werden würde.
Eine Destabilisierung mit starken Auswirkungen auf Europa
MSC, Maersk, Cosco, Hapag-Lloyd, Evergreen, … wenige Tage nach dem ersten Angriff der Huthi Rebellen, kündigen die meisten großen Reedereien an (abgesehen von CMA CGM), das Rote Meer umgehen zu wollen und stattdessen an Südafrika vorbeizufahren (diese Route ist wesentlich langsamer und deshalb auch kostspieliger): somit wechselten 150 Containerschiffe mit Gütern im Wert von 105 Milliarden Dollar ihren Kurs, was den europäischen Handel bedrohte. 15 % des gesamten Welthandels wird über das Rote Meer abgewickelt (30 % des maritimen Handels) und 40 % der Güter des Weltmarkts passieren die Meerenge von Bab-el-Mandab (zwischen dem Roten Meer und dem Indischen Ozean). Außerdem ist das Rote Meer eine Schlüsselregion für die europäische Ölversorgung. Viele Beobachter*innen sind besorgt über diese Entwicklungen und befürchten eine Steigerung der Inflation und Lieferengpässe in Europa, sollten die Angriffe weitergehen.
Obwohl CMA CGM trotz dieser Umstände das Rote Meer weiterhin passiert, zeigt die Reaktion der meisten Unternehmen, die Region zu umfahren, doch, welch großen Einfluss eine relativ schwache Gruppierung auf den europäischen Handel haben kann. Der weitere Verlauf bzw. eine eventuelle Entspannung der Lage hängt nun von dem Erfolg der Operation „Prosperity Guardian“ ab. Sollte diese scheitern oder zu lange dauern, ist mit großen Schäden für die, durch den Angriffskrieg in der Ukraine bereits geschwächte, europäische Wirtschaft zu rechnen.
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