Nordmazedonien – Im Aufwind oder im Auge des Sturms?

, von  Monika Butryn, übersetzt von Marcel Knorn

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Nordmazedonien – Im Aufwind oder im Auge des Sturms?
David Sassoli, Präsident des Europäischen Parlaments, und Oliver Spasovski, Premierminister Nordmazedoniens, 18.02.2020, Brüssel Foto: Europäische Union / Benoit Bourgeois / EP-100599C

Über das offizielle Datum der Aufnahme von Beitrittsverhandlungen wurde bislang noch nicht entschieden, doch wie wir von der Geschichte anderer Länder Mitteleuropas wissen, können Jahre verstreichen, bevor ein Staat Mitglied in der EU werden kann. Trotzdem lässt sich beobachten, dass Nordmazedonien in letzter Zeit eine regelrechte Glückssträhne hat: der Namensstreit mit Griechenland wurde beigelegt und das Land wurde offizielles Mitglied der NATO… Ist es nur eine glückliche Fügung, der Effekt erfolgreicher Reformen oder steht der Staat erst am Anfang von Streitigkeiten mit seinem Nachbarn jenseits der Ostgrenze?

Olivér Várhelyi, Kommissar für Erweiterung und Europäische Nachbarschaftspolitik, wählte deutliche Worte: „[bezüglich der Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien und Albanien] senden wir eine laute und klare Botschaft für den Westbalkan: Eure Zukunft liegt in der EU“. Es bestehen keine Zweifel, dass auch Nordmazedonien seine Zukunft im Kreis der Mitgliedsländer der Europäischen Union sieht, obwohl es auf dem Weg zu seinem Ziel – dem Beginn von Beitrittsverhandlungen – bereits dem ein oder anderen Hindernis begegnete. Während der Beratungen des Ministerrates im März 2020 sprachen sich Frankreich, die Niederlande und Dänemark gegen die Einleitung von Gesprächen aus. Ihrer Meinung nach seien die Länder des Balkans angesichts des mangelnden Fortschritts politischer Reformen nicht für die Aufnahme in die Union bereit. Die Erfolge Nordmazedoniens, das den seit 1992 schwelenden Konflikt mit Griechenland um die Benennung des Landes beenden konnte, blieben bei dieser Entscheidung unbeachtet.

Der entsprechende Konflikt konnte dank eines Kompromisses gelöst werden, der zur Annahme des neuen Staatsnamens führte – und das obwohl seine Aufrechterhaltung im Interesse sowohl staatsinterner Gruppen als auch externer Kräfte lag. Die mazedonische VMRO-DPMNE (dt. ‚Innere Mazedonische Revolutionäre Organisation – Demokratische Partei für die Mazedonische Nationale Einheit‘), die Partei des von 2006 bis 2016 amtierenden Premierministers Nikola Gruevski, widersetzte sich vehement dem Abkommen. Außerdem positionierte sich auch Russland gegen den Kompromiss, um Spannungen in der Region aufrechtzuerhalten und die NATO-Erweiterung auf Nordmazedonien zu verhindern. Dennoch wurde aus der Ehemaligen Jugoslawischen Republik Mazedonien (FYRM) das neue Nordmazedonien. Neben seinen Nachbarn im Süden freute dieser Schritt auch die Partner aus Übersee, da Nordmazedonien bald nach Erreichen des Konsenses das Abkommen unterzeichnete und der NATO beitrat.

Mazedonien als neues NATO-Mitglied

Das Abkommen mit Griechenland wäre ohne die Aussicht auf einen Beitritt zur NATO nicht so einfach zustande gekommen. Doch in diesem Zusammenhang kann der bergige Balkanstaat von einem glatten Erfolg sprechen: Seine Aussichten waren alles andere als eindeutig gewesen, seit Griechenland auf dem NATO-Gipfel in Bukarest 2008 wegen des Namenskonflikts ein Veto gegen die Kandidatur seines Nachbarn eingelegt hatte. Elf Jahre später ratifizierte Griechenland in einer symbolischen Geste der Versöhnung schließlich als erstes Land den Beitritt Nordmazedoniens zum Bündnis. In diesem Fall stellte sich für Nordmazedonien ausgerechnet ein anderes Land als Problemfaktor heraus: aufgrund einer internen politischen Krise verzögerte Spanien die Ratifizierung des Beitritts um einige Monate.

Bulgarien diktiert die Bedingungen

Ein weiteres Hindernis, dem sich Nordmazedonien auf seinem Weg zur europäischen Integration zu stellen hat, entsteht aus seinen angespannten Beziehungen mit Bulgarien. Im September 2019 sendeten die östlichen Nachbarn den Nordmazedonier*Innen eine Liste mit Bedingungen, die es zu erfüllen habe, wenn man auf eine Unterstützung beim EU-Beitritt hoffe. Die Liste umfasst zwanzig Punkte mit spezifischen Fristen, die sorgfältig mit den Daten der Vorverhandlungsgespräche abgepasst wurden.

Eine von ihnen beinhaltet den Rücktritt der mazedonischen Seite von jeglichen Ansprüchen im Zusammenhang mit der mazedonischen Minderheit Bulgariens. Zudem seien jegliche Aufzeichnungen einer „bulgarischen faschistischen Okkupation“ von allen historischen Denkmälern und Gedenktafeln zu entfernen. Im Zusammenhang dazu sei ein Lustrationsprozess einzuleiten, der auf die Entfernung aller ehemaligen jugoslawischen kommunistischen Aktivist*Innrn aus dem Staatsapparat abzielt. Die Harmonisierung des Inhalts der Geschichtsbücher beider Länder bildet eine weitere Bedingung der bulgarischen Seite, die zu erfüllen ist, damit das Nordmazedonien auf die Ratifizierung von seiner östlichen Seite zählen kann. Hierbei handelt es sich lediglich um einen Bruchteil der gestellten Anforderungen. Es ist zu erwarten, dass diese nicht über Nacht umgesetzt werden können.

Ein ebenso wichtiger, jedoch wenig überraschender Streitpunkt – schließlich handelt es sich dabei um den Kernpunkt fast jeden politischen Streits auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens – bildet die Sprache. Bulgarien stellt die Forderung, die Union dürfe in den Beitrittsgesprächen nicht den Begriff „mazedonische Sprache“ verwenden, sondern den Ausdruck „Amtssprache der Republik Nordmakedonien“. In weiten Teilen Bulgariens finden sich Anhänger*Innen der extremistischen Ansicht, bei Mazedonier*Innen handele es sich genetisch gesehen um Bulgar*Innen. Bulgarien selbst sieht Mazedonisch als bulgarischen Dialekt an, dessen Unterschiede lediglich auf die weitreichende anti-bulgarische Politik des ehemaligen jugoslawischen Staates zurückzuführen seien.

Wahlkampf (fast) einstimmig verschoben

Wie in der Mehrheit der europäischen Staaten, stellt auch in der mazedonischen Politik die Coronavirus-Pandemie das drängendste Problem dar. Alle anderen Angelegenheiten traten zwangsläufig in den Hintergrund, inklusive der für den 12. April angesetzten Parlamentswahlen. Diese wurden ohne Angabe eines Alternativdatums vorläufig verschoben. An der Erstellung eines neuen Wahlkalenders arbeitet derzeit eine von Präsident Stevo Pendarovski einberufene Expertengruppe, welche die legalen und moralischen Aspekte der Wahldurchführung zu einem späteren Zeitpunkt analysieren soll. Am Tag nach der Verkündigung der Wahlverschiebung verkündete der Präsident die Verhängung des Ausnahmezustandes im Land – ein nie dagewesener Schritt in der kurzen Geschichte Nordmazedoniens. Die Entscheidung über die Verschiebung der Wahlen fiel, laut Angabe der Politiker, mit dem Einverständnis aller politischen Kräfte des Landes.

In den für April geplanten Wahlen erwartete man einen erbitterten Kampf zwischen den prowestlichen sozialdemokratischen Gruppierungen und der rechten VMRO-DPMNE, die das regierende Lager beschuldigt, im Namen der europäischen und transatlantischen Ambitionen einen viel zu einfachen Kompromiss im Namensstreit eingegangen zu sein und somit die nationalen Interessen missachtet zu haben. Vorwahlumfragen ergaben, dass ein Kopf-an-Kopf-Rennen beider Fraktionen zu erwarten war. Das hätte eine erneute Koalition mit einer der Parteien der albanischen Minderheit bedeutet. Angesichts der Entscheidung zur Wahlverschiebung, unterstützte eine dieser Parteien – die „Allianz für Albaner*Innen“ – die Entscheidung mit Verweis auf den höchsten Wert: die Gesundheit der Bürger. Die kleinere, die „Demokratische Partei der Albaner*Innen“, beschuldigte jedoch die Regierung, die albanischen Interessen zu ignorieren und sie lediglich als „Dekoration“ der politischen Bühne zu behandeln.

Wird die Corona-Krise das Wähler*Innenverhalten beeinflussen? Und was, womöglich, noch wichtiger ist: Wie wird die mazedonische Wirtschaft mit den Auswirkungen der Krise zurechtkommen? Es ist noch zu früh, um über die Bemühungen des Landes zur Erfüllung der Kopenhagener Kriterien zu sprechen. Erst nach dem Höhepunkt der Corona-Krise wird sich zeigen wie einschneidend die Auswirkungen für die mazedonische Wirtschaft sein werden. Die Krisenauswirkungen könnten den Prozess der Erfüllung wirtschaftlicher Kriterien, die Brüssel im Beitrittsverfahren vorschreibt, verlangsamen. Wird dies in den kommenden Monaten das größte Problem Nordmazedoniens darstellen oder doch eher die die feindselige Haltung der bulgarischen Nachbar*Innen? Was auch immer geschieht, eines ist sicher: Nordmazedonien wird entweder Vorbild für andere potenzielle EU-Beitrittsländer in der Region werden oder dasjenige, das auf dem Weg zum Beitritt über einige Hindernisse stolpert und jene Fehler macht, die andere Länder vermeiden sollten.

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