Politik und Fußball: Ein taktisches Zusammenspiel

, von  Chloé Rebaudo, Eurosorbonne, übersetzt von Katja Friedewald

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Politik und Fußball: Ein taktisches Zusammenspiel

Die Fußballweltmeisterschaft 2018 in Russland hatte kaum begonnen, und schon wurde wieder einmal deutlich, dass bei einem solchen Anlass auch die Geopolitik mit von der Partie ist. Betrachten wir einige Fälle in der Geschichte des Fußballs, in denen Sport und Politik zusammenfielen.

Mit dem Spiel Russland – Saudi-Arabien im Olympiastadion Luschniki in Moskau wurde die 21. Fußballweltmeisterschaft der FIFA (Fédération internationale de Football Association) eröffnet. Erwarten könnte man von einem solchen Ereignis schönen Fußball, gute Stimmung, und ausgelassen feiernde Fans. Bei alldem spielen geopolitische Fragen allerdings ebenfalls eine Rolle.

Diese Weltmeisterschaft am äußersten Rande Europas ist nicht das erste sportliche Großereignis, das das Land veranstaltet. Bereits die 2014 in Sotchi ausgetragenen Olympischen Winterspiele, mit 36 Millionen Euro die teuersten der Geschichte, ließen die ganze Welt nach Russland schauen.

Russland: Ein Monat im Zentrum der Aufmerksamkeit

Auch wenn das Land in sportlicher Hinsicht nicht unbedingt auf einen großen Erfolg hoffte, tat es dies doch in wirtschaftlicher. Um das Sinken des BIP um 3% seit 2014 auszugleichen, setzte Russland auf die zu erwartenden Besucherströme. Damit sowohl die Anreise zu den Spielorten als auch akzeptable Übertragungszeiten garantiert werden konnten, wurden alle Spiele im europäischen Teil des Landes ausgetragen. Außerdem verschräfte die Regierung die Sicherheitsmaßnahmen, um Ausschreitungen russischer Hooligans, wie etwa 2016 bei einem Spiel der Europameisterschaft in Marseille, zu verhindern [1].

Elf Stadien waren Spielstätten dieser WM, aus finanziellen Gründen fünf weniger als geplant. Die Einbeziehung der Halbinsel Kaliningrad in die Liste der Austragungsorte war als politische Machtdemonstration gegenüber den Nachbarländern zu verstehen – es sollte Präsenz gezeigt werden. Apropos Präsenz: Längst nicht alle Staatoberhäupter statteten ihrer Fußballmannschaft einen Besuch in Russland ab, allen voran die englische Regierung und das Königshaus, deren Mitglieder seit der Skripal-Affäre russischen Boden meiden.

Türkei: Fußball als Kontrollinstanz

Andere Länder, andere Sitten. Die Türkei hatte es nicht geschafft, sich für die diesjährige WM zu qualifizieren, doch ist man sich dort durchaus der Macht des geliebten Fußballs bewusst. Ein Paradebeispiel für die Instrumentalisierung eines Fußballclubs durch die politischen Machthaber ist der in Istanbul ansässige Verein Basaksehir, Kandidat um den türkischen Meistertitel. Der Aufstieg des Clubs ist zu großen Teilen dem Vereinspräsidenten und Investoren Göksel Gümüsdag zu verdanken. Dieser ist Mitglied der AKP, Ehemann der Nichte des Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, und offener Unterstützer des letzteren. Erdogan war es auch, der 2014 das Stadion des Vereins einweihte. Und da er damals um das Amt des 12. türkischen Staatspräsidenten kandidierte, sollte er und niemand anderes als Nummer 12 auftreten, woraufhin diese Rückennummer seither nicht mehr an die Spieler vergeben wird [2].

Auch im Stadion wird die Devise der machthabenden Partei in Szene gesetzt, mit Erdogans Wahlspruch „Eine Nation – eine Fahne – ein Vaterland – ein Staat“, der in einem Trainingsraum angebracht ist, oder mit der Zurverfügungstellung von Gebetsräumen für die Spieler. Der Verein Besiktas, ebenfalls aus Istanbul, vertritt offen andere Werte, und immer häufiger werden deshalb seine Anhänger gar nicht erst in das Basaksehir-Stadion hineingelassen. Möglich gemacht wird diese Selektion durch das 2013/14 eingeführte Passolig-System, das den Kauf von Fußballtickets über eine personalisierte Kreditkarte verpflichtet, die am Stadioneingang vorgezeigt werden muss und unterschiedliche Daten über ihren Besitzer enthält.

Die türkische Regierung nimmt außerdem Einfluss auf den Fußball, indem sie mit der Kürzung von finanziellen Subventionen für den Neubau von Stadien droht. Die betroffenen Bauprojekte begannen ursprünglich mit dem Ziel, als Austragungsort verschiedener internationaler Großveranstaltungen zu kandidieren. Allerdings müssten hierfür erst einmal die Menschenrechte respektiert werden. Die Türkei hingegen hatte darauf gesetzt, durch Erfolge im Fußball auch politischen Einfluss in Europa zu gewinnen. Der Sieg von Galatasaray im UEFA Cup 2000 änderte allerdings für die Türkei, die bereits 1987 einen Antrag zur Aufnahme in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft stellte, nichts an dem Status als Beitrittskandidat der EU.

Balkan: Offene Feindseligkeiten

In den ehemaligen jugoslawischen Ländern wird das Fußballstadion geradewegs zum Austragungsort von übernationalen Konflikten. So etwa, als 2014 während des EM-Qualifikationsspiels Serbien – Albanien eine Drohne mit der Flagge Großalbaniens auf das Spielfeld gesteuert wurde und Spieler wie Zuschauer zur Eskalation brachte [3]. Albanische Nationalisten fordern mit der Wiederherstellung eines „Großalbaniens“, wie es allein während des Zweiten Weltkriegs unter Hitler und Mussolini existierte, die Vereinigung aller zu großen Teilen von Albanern bewohnten Gebiete, und somit unter anderem die Einbindung des Kosovo, den Serbien bis heute für sich beansprucht und nicht als Staat anerkennt.

Der französische Geopolitologe Pascal Boniface stellt in seiner Monographie „Football et Mondialisation“ („Fußball und Globalisierung“) [4] folgende These auf: „Der Staat [Jugoslawien] ist vielleicht bereits am 26. September 1990 symbolisch untergegangen, als die Fans von Hadjuk Split [Kroatien] und Partizan Belgrad [Serbien] das Spielfeld stürmten und die jugoslawische Flagge verbrannten.“ Wieder einmal ein Zusammentreffen von Fußball und Politik.

Als der Staat Jugoslawien noch existierte, sollte der dortige Fußball gefördert werden, indem den Spielern, die stolz die „Brasilianer Europas“ genannt wurden, verboten wurde, vor Ende ihres 28. Lebensjahrs zu einem anderen europäischen Verein zu wechseln [5]. Seit dem Sieg von Roter Stern Belgrad über Olympique Marseille im Finale um den Europapokal der Landesmeister im Jahr 1991 hat jedoch keine Mannschaft der Balkanhalbinsel mehr einen bedeutenden Erfolg gefeiert. Und wenn sich diese Länder zusammentäten, in einer Balkan-Liga, um das spielerische Niveau wieder anzuheben? [6] Die UEFA könnte 20 Millionen Euro zur Gründung eines Verbandes beisteuern, der 24 Clubs in Bosnien und Herzegowina, Kroatien, Mazedonien, Slowenien und Serbien umfassen würde. Bis jetzt ist allerdings noch nichts offiziell.

Die Ausrichtung sportlicher Wettkämpfe kann dem jeweiligen Land durchaus politische und wirtschaftliche Vorteile bringen. Die Ukraine und Polen, 2012 gemeinsame Gastgeber der Europameisterschaft, profitierten beispielsweise vom Ausbau der Infrastrukturen, vor allem der Verkehrswege. Insbesondere Polen, das zu diesem Zeitpunkt als einziges Land nicht von der europäischen Wirtschaftskrise betroffen war, konnte 2009 steigende Investitionen verzeichnen. Bereits jetzt ist davon auszugehen, dass auch die nächste Europameisterschaft im Zeichen der Geopolitik stehen wird. Die Spiele werden in zwölf Stadien in unterschiedlichen Ländern ausgetragen, mit einem Finale in London – ein Ausdruck des Bedürfnisses nach politischem Zusammenhalt?

Quellen:

[1] https://www.sportschau.de/uefaeuro2016/russische-hooligans-marseille-100.html

[2] http://www.faz.net/aktuell/sport/fussball/erdogan-klub-basaksehir-trifft-auf-hoffenheim-in-el-15253732.html

[3] https://www.welt.de/sport/fussball/em-2016/article133297254/Warum-diese-Flagge-einen-Spielabbruch-provozierte.html

[4] https://journals.openedition.org/questionsdecommunication/2841

[5] https://comptoir.org/2016/03/23/yougoslavie-le-pays-ou-le-football-ne-pouvait-etre-que-politique/

[6] https://www.deutschlandfunkkultur.de/serbien-und-kroatien-kicken-auf-dem-balkan.966.de.html?dram:article_id=301409

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